Die DUH ist der Ansicht, dass sogenannte Thermofenster bei der Abgasreinigung in Dieselfahrzeugen unzulässig sind. Nach nationalem Recht kann die DUH aber nicht dagegen klagen, befand das VG Schleswig – doch womöglich nach europäischem.
Nach Ansicht der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sind Millionen von Dieselfahrzeugen in Deutschland immer noch mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet und stoßen mehr Abgase aus, als eigentlich zulässig ist. Der Umweltverband hat deswegen vor dem Verwaltungsgericht (VG) Schleswig Klage gegen das das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erhoben. Wie am Dienstag bekannt wurde, hat das Gericht das Verfahren allerdings ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen zur Reichweite der Klagerechte von Umweltverbänden und zur Zulässigkeit von sogenannten Thermofenstern vorgelegt (Beschl. v. 20.11.2019, Az. 3 A 113/18).
Im Zuge der Dieselaffäre war bekannt geworden, dass bestimmte Dieselfahrzeuge mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung ausgerüstet wurden. Dadurch wurden die zulässigen Grenzwerte für Stickoxid-Emissionen zwar auf dem Prüfstand im Labor eingehalten, im normalen Straßenbetrieb jedoch nicht. Der VW-Konzern, der im Verfahren vor dem VG beigeladen war, reagierte mit einem Softwareupdate, das vom KBA genehmigt wurde. Die neue Programmierung soll dafür sorgen, dass die zulässigen Abgasgrenzwerte immer eingehalten werden.
Die betroffenen Motoren verfügen aber noch über eine weitere Abschalteinrichtung, nämlich das sogenannte Thermofenster. Die Abgasreinigung funktioniert dadurch nur bei Temperaturen von über 15 Grad zu 100 Prozent. Wird es jedoch kälter, verringert sich die Abgasreinigung. Vor dem VG begehrte die DUH deshalb die Aufhebung des Freigabebescheids, mit dem das KBA das Thermofenster für zulässig erachtete. Laut DUH ist es den Herstellern möglich, die Motoren so zu konstruieren, dass die Abgasreinigung auch bei kälteren Temperaturen in vollem Umfang funktioniert.
VG hält DUH nach nationalem Recht nicht für klagebefugt
Das VG hielt die DUH nach nationalem Recht aber nicht für klagebefugt. Der Anwendungsbereich des deutschen Umwelt-Rechtbehelfsgesetzes (UmwRG), in dem das Klagerecht für Umweltverbände geregelt ist, ist laut VG nicht eröffnet. Eine PKW-Typengenehmigung stelle nämlich kein "Vorhaben" im Sinne des UmwRG dar, sondern sei ein Fall einer Produktzulassung, gegen die nicht geklagt werden könne.
Das UmwRG geht dabei auf das völkerrechtliche Übereinkommen von Aarhus über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten zurück. Das Abkommen hat zwar keine unmittelbare Wirkung, nach der Rechtsprechung des EuGH müssen die Gerichte das nationale Verfahrensrecht aber soweit wie möglich im Einklang mit den Zielen des Abkommens, zu denen unter anderem der Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten zählt, auslegen.
Art. 9 Abs. 3 des Aarhusener Abkommens enthält eine allgemeine Öffnungsklausel für Klagemöglichkeiten bei Umweltrechtsverstößen. Das UmwRG zählt im Gegensatz dazu einzelne Verfahrensarten und -umstände auf, bei deren Vorliegen Umweltverbände klagen können. Ob dieser Katalog im deutschen Recht indes weit genug gefasst ist, ist umstritten. Der Gesetzgeber habe sich jedenfalls bewusst gegen eine Anwendbarkeit des UmwRG auf Produktzulassungen entschieden, so das VG.
Wenn doch klagebefugt: Thermofenster in Motoren zulässig?
Das VG will deshalb nun vom EuGH wissen, ob sich die Klagebefugnis auch unmittelbar aus dem Unionsrecht ergeben könnte, konkret aus Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Abkommens in Verbindung mit Art. 47 der EU-Grundrechtecharta (Recht auf wirksamen Rechtsbehelf). Das Luxemburger Gericht hatte bereits 2017 in einem Fall aus Österreich entschieden, dass Verbänden nicht die Möglichkeit genommen werden dürfe, die Beachtung der aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen (Urt. v. 20.12.2017, Az. C-664/15). Was das für die Beurteilung des deutschen UmwRG bedeutet, wird in der Rechtsprechung seitdem unterschiedlich beurteilt.
Das VG zweifelt daran, dass das Aarhus-Abkommen wirklich jede Produktzulassung mit Umweltbezug zum Gegenstand von Verbandsklagen machen will. "Aufgrund der Vielzahl behördlicher Entscheidungen mit Umweltbezug könnte eine Beschränkung auf bestimmte, im Hinblick auf die Umweltauswirkungen schwerwiegende Entscheidungen sinnvoll sein", so das Gericht.
Das ist aber nicht alles, was das VG im Rahmen des Vorabentscheidungsgesuchs von den Luxemburger Kollegen wissen möchte. Denn sollte der EuGH die DUH für klagebefugt halten, kommt es laut VG Schleswig auf die Rechtmäßigkeit des Freigabebescheids an und darauf, ob das von Thermofenster in den VW-Autos – wie vom KBA angenommen – zulässig ist. Das VG stellte deswegen noch weitere Fragen zur Auslegung der Emissions-Grundverordnung. Nach dieser sind Abschalteinrichtungen grundsätzlich unzulässig, es sei denn, sie schützen den Motor vor Beschädigungen und gewährleisten den sicheren Betrieb des Autos. Wann dass der Fall ist, regelt die Verordnung allerdings nicht. Nach Ansicht des VG dürfte eine Ausnahme nach der Verordnung allerdings nicht in Betracht kommen, wenn die Hersteller die Motoren aus Kostengründen mit dem Thermofenster versehen.
DUH wertet Vorlage als Erfolg
Die DUH begrüßte den Beschluss des Gerichts, dem EuGH vorzulegen. "Es ist ein großer Erfolg für unsere Arbeit, dass endlich die rechtwidrige Beschränkung unserer Klagebefugnis im Interesse der von den Dieselkonzernen geschädigten Fahrzeughalter vom EuGH geklärt wird", sagte Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH. "Es ist für uns nicht nachvollziehbar, wie eine deutsche Behörde diesen anhaltenden Missstand einfach hinnehmen kann. Wir hoffen auf eine Bestätigung unserer Klagerechte, um sowohl die gesundheitlichen als auch die verbraucherschutzrechtlichen Interessen endlich durchzusetzen", so Resch weiter.
Ein Statement des Autoherstellers lag bis zur Veröffentlichung des Artikels nicht vor.* VW betonte in der Vergangenheit jedoch immer wieder, dass seine Autos nach dem Update gesetzeskonform seien. Es handele sich bei dem Thermofenster um eine zulässige Abschalteinrichtung, da es zum Bauteileschutz verwendet werde und den Motor im Betrieb vor Schäden schütze.
*Passage nachträglich von der Redaktion am 27.11.19, 11.45 Uhr, präzisiert.
VG Schleswig legt EuGH vor: . In: Legal Tribune Online, 26.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38897 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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