Der Verfassungsschutz will die AfD beobachten. Das VG Köln muss entscheiden, ob seine Funde dafür ausreichen. Das Urteil wird Folgen für die Parteienlandschaft haben - und schon der Anlauf zum Prozess war alles andere als störungsfrei.
Kommende Woche dürfte es in der Messe Köln um nicht viel weniger gehen als um das politische Schicksal der AfD. In einen Saal auf dem Messegelände am Rhein hat das Verwaltungsgericht (VG) Köln einen Prozess der innenpolitischen Superlative verlegt, die Süddeutsche Zeitung nannte es ein "Endspiel". Die Partei klagt gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der Inlandsnachrichtendienst will die Gesamtpartei AfD beobachten (Az. 13 L 105/21 u.a.).
Sollte das Gericht dem Verfassungsschutz Recht geben, dürfte der Nachrichtendienst sein volles Instrumentarium zum Einsatz bringen: Parteifunktionäre durchleuchten, ihre E-Mails mitlesen, Telefongespräche abhören. Ein sensibler Schritt in der politischen Landschaft gegen eine Partei, die nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten, in allen Landtagen sowie dem Bundestag vertreten ist und dort in der vergangenen Legislatur die größte Oppositionspartei war.
Knackpunkt I: Welche verfassungsfeindlichen Aussagen muss sich die AfD zurechnen lassen?
In den vergangenen beiden Jahren haben die Geheimdienstmitarbeiterinnen und -mitarbeiter Tausende Seite an Belegen zusammengetragen, Aussagen von Parteimitgliedern bei Reden und Statements auf Facebook analysiert. Es sind abwertende Äußerungen Einzelner in der Partei zum Islam, halb versteckter Antisemitismus, Verächtlichmachung der Demokratie und seiner Institutionen.
Im Kern wird es in der mündlichen Verhandlung darum gehen, ob diese Einzelaussagen der gesamten Partei zugerechnet werden können. Inwiefern muss sich die Bundespartei vorhalten lassen, dass eine extremistische Aussage in einem Landesverband auch die Partei einfärbt? Wann wurde was ausdrücklich gebilligt? Und wann sind es so viele Einzelaussagen, dass sie in der Summe ein Gesamtbild abgeben?
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat 2010 – in einem Verfahren zur Beobachtung der Partei Die Linke – entschieden, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen einer Partei nicht nur dann vorliegen, "wenn die Partei in ihrer Gesamtheit solche Bestrebungen entfaltet", sondern sieht sie "auch dann erfüllt, wenn solche Bestrebungen nur von einzelnen Gruppierungen innerhalb der Partei ausgehen." Gerade parteiinterne Kämpfe und Zerrissenheit könnten eine Beobachtung rechtfertigen, um genauer herauszufinden, welche Gruppe sich durchsetzt und der Partei das Gepräge gibt, so das BVerwG. Eine Aussage, die sich die Juristinnen und Juristen des BfV und ihre Bonner Anwaltskanzlei unterstrichen haben dürften.
Der Verfassungsschutz darf erst bei feststellbaren Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung beobachten. Dazu gehört unter anderem die Unabhängigkeit der Gerichte und vor allem die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Das BVerwG hat 2010 auch betont, dass es bei den verfassungsfeindlichen Äußerungen auch einen Bezug zur Durchsetzung politischer Ziele braucht. Bloßes Sinnieren reicht nicht, ein Aufruf zu politischem Handeln schon. Das Verfahren wird kein Selbstläufer für das BfV, die Hürden sind hoch und der Verfassungsschutz ist in der Beweispflicht. Aufgeboten hat das BfV ein gut 1.000 Seiten starkes geheimes Gutachten und dazu 3.000 Quellennachweise. Insgesamt sollen die Prozessakten rund 160 Leitz-Ordner füllen.
Bei Parteien ist als Beweismaterial das Grundsatzprogramm ein vielversprechender Ansatzpunkt – das fällt bei der AfD in seiner geschriebenen Form aber eher harmlos aus, wenn man es etwa mit dem der NPD vergleicht. Deshalb müssen die Verfassungsschützer sich auf die Einzelaussagen derjenigen konzentrieren, die die Partei ausmachen: Bundesvorstand, Landesvorstände, Funktionäre.
Für einen Geheimdienst ist der Auftritt vor Gericht kein besonders beliebtes Ereignis. Es ist ein Balanceakt: Wieviel Material muss der Dienst für einen Erfolg in den Ring werfen, wie viele Quellen und Arbeitsmethoden dadurch einem Risiko aussetzen?
Prüffall, Verdachtsfall, Beobachtung – die Unterschiede
Teile der AfD werden bzw. wurden bereits beobachtet. Im März 2020 stufte das BfV den sogenannten Flügel der Partei, ein von Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke 2015 gegründetes Netzwerk, als "erwiesen rechtsextremistisch" ein. Kurz darauf löste sich die Gruppe formal auf. Die Bedeutung dieser Gruppe in der Gesamtpartei wird im Prozess eine wichtige Rolle spielen. In Thüringen ist der gesamte Landesverband seit Mai 2021 als "gesichert extremistisch" eingestuft, dort darf der Nachrichtendienst mit allen seinen Mitteln beobachten.
Das Bundesamt hat gegenüber den Landesämtern eine Koordinierungsaufgabe, Daten werden ausgetauscht. Mit anderen Worten: Über die AfD insgesamt hat der Verfassungsschutz auch Informationen aus nicht-öffentlichen Quellen zu Verfügung. Die verschiedenen Verfahren und Einstufungen dürften sich überlappen. Im Verfahren vor dem VG wird es deshalb auch darum gehen, woher welche Erkenntnisse stammen.
Denn die AfD als Gesamtpartei wurde vom Verfassungsschutz bislang nur als sogenannter Prüffall behandelt, also als eine Vorstufe zum Verdachtsfall, bevor es letztlich zur Beobachtung kommen könnte. Die Beamtinnen und Beamten dürfen in diesem Stadium nur aus öffentlichen Quellen Material sammeln, um zu entscheiden, ob die Partei zu einem Verdachtsfall hochzustufen ist.
Knackpunkt II: Verfallsdatum für die Funde?
Derzeit ruht die Bearbeitung der AfD mit verdeckten nachrichtendienstlichen Mitteln, die Beobachtung aus öffentlich zugänglichen Quellen geht aber weiter. In den vergangenen Monaten interessierten sich die Verfassungsschützer etwa für die Verbindungen von AfD zur Szene der "Querdenker", zuletzt dürfte es auch um die Russlandverbindungen der Partei gehen.
Die Vorprüfung auch als Verdachtsfall kann nicht dauerhaft aufrechterhalten werden, sie muss in einer Entscheidung über die endgültige Beobachtung münden. Sollte die AfD vor dem VG Köln Erfolg haben und die Einstufung als Verdachtsfall zurückgewiesen werden, fällt die Partei wieder zurück in das Prüffall-Stadium.
Ein zweiter Knackpunkt des Prozesses könnte das Alter der Aussagen werden. Kann eine drei Jahre alte Aussage für den extremistischen Zustand der AfD heute ausschlaggebend sein, gibt es eine Art Verfallsdatum für die Funde?
Vorgeschichte 2021: Ein Gutachten wird durchgestochen, das VG ist verstimmt
Der Prozessbeginn hat zudem eine Vorgeschichte: Im Januar 2021 wird bekannt, dass der Inlandsgeheimdienst die AfD zum bundesweiten Verdachtsfall hochstufen wird. Die AfD will der Hochstufung und ihrer Veröffentlichung zuvorkommen, sie reicht Klagen ein und strengt Eilverfahren dagegen an. Dem BfV soll damit untersagt werden, die AfD als "Verdachtsfall" oder "gesichert extremistische Bestrebung" einzustufen, so zu behandeln sowie das Vorgehen öffentlich bekanntzugeben. Den Verfassungsschutz bringt das in eine unglückliche Lage, seine geplante Kommunikation ist erst einmal gestoppt.
Anfang März 2021 berichten mehrere Medien über einen Schriftsatz der BfV-Anwälte, der die Begründung enthält, warum das BfV die AfD insgesamt zum Verdachtsfall gemacht hat. Nun sind die Einschätzungen also doch in der Welt. Das VG Köln war über diese Entwicklung maximal verstimmt, wie sich in seinem Beschluss aus dem März 2021 nachlesen lässt. Es sei dem BfV zuzurechnen, dass die Information in einer die Gerichte "missachtende Weise 'durchgestochen' worden ist". Bis heute ist nicht aufgeklärt, wer das Gutachten durchgestochen hat. Aus Sicherheitskreisen heißt es: jedenfalls nicht das BfV.
Eines dürfte klar sein: Der Schritt hat beiden Seiten genutzt - und geschadet. Die Einschätzung des Verfassungsschutzes zur AfD ist nun in der Welt, obwohl gegen diesen Schritt Gerichtsverfahren laufen; das Gericht hält das BfV für verantwortlich und sieht einen Vertrauensbruch. Die AfD muss mit dieser Veröffentlichung umgehen; erringt vor dem VG aber einen sogenannten Hängebeschluss. Damit darf das BfV die AfD bis zum Abschluss eines Eilverfahrens nicht als Verdachtsfall einordnen, behandeln und beobachten.
Vor dem Hintergrund der 2021 immer näher rückenden Bundestagswahl im September wurde aus dem Eilverfahren quasi ein Hauptsacheverfahren. Denn klar war, eine Gerichtsentscheidung kurz vor dem Wahltermin würde wohl nicht die Wahl, aber über einige Prozente für die AfD entscheiden. Im Sommer 2021 zeichnete sich dann ab: Das VG lässt sich Tausende Seiten Material kommen, es wird nicht mehr auf die Schnelle vor der Wahl entscheiden, sondern gründlich prüfen und nur einmal in der Sache entscheiden.
Nun ist es soweit.
Wann kommt das Urteil?
Die Entscheidung des VG wird bedeutende Folgen haben. Eine Beobachtung durch das BfV dürfte die Partei weiter polarisieren. Noch verbliebene gemäßigte Mitglieder werden über ihre Zukunft in der Partei zweimal nachdenken – vor allem wenn sie Beamte oder Richter sind. Andere Mitglieder werden sich bestätigt sehen und ihre Arbeit trotz Überwachung fortzusetzen. Das ganze Verfahren mag auch zeigen, dass bereits die Beobachtung durch den Verfassungsschutz eine starke Wirkung auf das Schicksal einer politischen Partei haben kann, lange bevor es zu einem Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht kommt.
Insgesamt werden vier Klagen und zwei Eilverfahren verhandelt. Es geht nicht nur um die Frage der Beobachtung, aber auch der Information über die Beobachtung durch das BfV. Gelten für die Behörde auch die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung? Nicht zufällig wird die AfD von einer Kölner Medienrechtskanzlei vertreten.
Eine Menge Stoff wartet also in dem Prozess, das VG hat dafür zwei Tage terminiert. Ob auch beide Tage verhandelt werden muss und vor allem ob am Ende schon ein Urteil verkündet wird, ist offen. Sollte es nicht gleich ein Urteil geben, könnte für den weiteren Zeitplan möglicherweise auch eine Rolle spielen, dass Mitte Mai in NRW Landtagswahlen stattfinden. Auch die AfD tritt an.
VG Köln zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz: . In: Legal Tribune Online, 04.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47728 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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