Viele Medien griffen die Correctiv-Recherche zum "Potsdamer Geheimtreffen" auf, entnahmen ihr aber oft mehr als dort tatsächlich behauptet wurde. Nun wehrte sich ein Teilnehmer erfolgreich vor dem OLG Hamburg gegen einen Tagesschau-Bericht.
Am 10. Januar veröffentlichte die Investigativ-Plattform Correctiv den Artikel "Geheimplan gegen Deutschland". Darin geht es um ein Treffen von rechten Politikern und Rechtsextremen in Potsdam Ende November 2023. Die umstrittene Recherche sorgte bundesweit und international für Aufsehen.
Nun wendete sich ein Teilnehmer des Treffens, der Verfassungsrechtler und AfD-Anwalt Ulrich Vosgerau, mit Erfolg gegen mehrere Passagen in einem Artikel auf Tagesschau.de. Die Tageschau hatte die Correctiv-Recherche wie viele andere Medien aufgegriffen. Offenbar hatte sie den Correctiv-Bericht dabei so verstanden, dass dort über Ausweisung von deutschen Staatsbürgern diskutiert wurde, und entsprechend berichtet.
Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) untersagte dem Norddeutschen Rundfunk (NDR), der für die Tagesschau verantwortlich ist, "in Bezug auf" Vosgerau zu berichten, dass auf dem Potsdamer Treffen auch eine Ausweisung von Staatsbürgern diskutiert worden sei (Beschl. v. 23.07.2024, Az. 7 W 78/24). Damit änderte das Gericht die Entscheidung des Hamburger Landgerichts (LG) ab, welches dem NDR noch Recht gegeben und Vosgeraus Unterlassungsantrag abgelehnt hatte (Beschl. v. 30.05.2024, Az. 324 O 169/24). Beide Beschlüsse liegen LTO vor.
Pläne zur Ausbürgerung oder Ausweisung von Staatsbürgern nicht belegt
Der 7. Zivilsenat des OLG untersagte damit nur solche Aussagen in dem Artikel vom 8. Februar, die die Diskussionen auf dem Potsdamer Treffen eindeutig mit der Idee, "nicht-assimilierte" deutsche Staatsbürger auszubürgern, in Verbindung bringen. Daraus folgt: Passagen, die die Diskussionen um die Remigrationspläne beschreiben, dürfen nicht die Aussage enthalten, dass davon auch die Ausweisung von Staatsbürgern erfasst sei. Soweit abstrakt Ausführungen zur Rechtslage gemacht werden, wonach eine Ausweisung von Staatsbürgern "ganz klar verfassungswidrig" sei, darf hier nicht dabeistehen: “wie auf dem Potsdamer Treffen diskutiert.”
Das OLG stützte das Verbot dieser Aussagen darauf, dass es sich hierbei um prozessual unwahre Tatsachenbehauptungen handele. Was auf dem Treffen diskutiert worden sei und was nicht, sei eine Frage, die dem Wahrheitsbeweis zugänglich sei. Die Unwahrheit der Aussagen stellte das Gericht nicht nach einer abschließenden Beweiswürdigung fest, sondern nur – wie im zivilrechtlichen Eilverfahren vorgeschrieben (§§ 920 Abs. 2, 936 Zivilprozessordnung) – im Wege der Glaubhaftmachung. Dafür reicht, dass das Gericht die Beweistatsache (hier die Unwahrheit der Äußerung) nach Sichtung der Beweismittel für überwiegend wahrscheinlich hält.
Hier hielt der Senat die von Vosgerau vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen mehrerer Teilnehmer des Treffens für glaubhaft, wonach eine Ausweisung von Staatsbürgern nicht Thema des Treffens war. Der NDR habe dem nicht viel entgegenzusetzen gehabt; der Sender habe lediglich auf Medienberichte und Mitteilung von Correctiv verwiesen.
Correctiv-Bericht selbst nicht betroffen
Damit gilt zwar die Behauptung, in Potsdam sei über die Ausweisung von Staatsbürgern diskutiert worden, für das vorliegende Eilverfahren als unwahr. Doch in einem etwaigen Hauptsacheverfahren könnte nach umfassender Beweisaufnahme das Ergebnis ein anderes sein.
Das OLG ließ offen, ob Correctiv selbst auch – prozessual – unwahr berichtete. Allerdings findet sich im Tatsachenteil des Correctiv-Berichts die Aussage, dass über Ausweisungen diskutiert worden sei, so nicht eindeutig. Correctiv steht dafür in der Kritik, in der Reportage mit vielen wirkmächtigen Meinungsäußerungen zu arbeiten, die ein Fehlverständnis vom eigentlichen Geschehen zur Folge haben können. Vosgeraus Anwalt Carsten Brennecke (Höcker Rechtsanwälte) jedenfalls ist der Ansicht, gegen viele Passagen im Correctiv-Bericht nicht vorgehen zu können, da diese Wertungen enthielten, die man äußerungsrechtlich nicht angreifen könne.
Gegen Correctiv ist Vosgerau zwar teilweise mit Erfolg vorgegangen – angegriffen hat er dort aber primär, dass seine Stellungnahme gegenüber Correctiv in dem Bericht nicht vollständig wiedergegeben war. LTO hatte berichtet.
Vosgerau gar nicht namentlich benannt
Bemerkenswert ist der vorliegende Beschluss des OLG zum Tagesschau-Bericht deshalb, weil Vosgerau in dem Artikel gar nicht namentlich benannt wird. Der NDR hatte deshalb argumentiert, dass ihm bereits die für den Unterlassungsantrag erforderlich individuelle Betroffenheit fehle. Das LG war dieser Argumentation gefolgt.
Für die abweichende Position des OLG war maßgebend, dass der Tagesschau-Bericht die Recherche von Correctiv ausdrücklich aufgreift und verlinkt. Hier wird Vosgerau mehrfach namentlich als Teilnehmer des Treffens benannt. Um Unterlassungsansprüche geltend zu machen, reicht aus, dass die Person "durch eine Berichterstattung erkennbar" sei. Hier genüge "die Möglichkeit einer Identifizierung durch eine mühelose Recherche". Durch die Bezugnahme und Verlinkung der Tagesschau auf Correctiv sei dies hier gegeben.
Wenn also die Aussage, auf dem Potsdamer Treffen sei auch über die Ausweisung von Staatsbürgern diskutiert worden, unwahr ist und Vosgerau in der Berichterstattung erkennbar ein Teilnehmer des Treffens ist, so fehlt es noch einer letzten Brücke. Denn da der Tagesschau-Bericht Vosgerau nicht namentlich nennt, behauptet er auch nicht ausdrücklich, dass dieser zum Thema der Ausweisung von Staatsbürgern mitdiskutiert habe.
Insofern argumentierte das OLG Hamburg mit dem "sehr überschaubaren" Teilnehmerkreis von nur 19 Personen. "Angesichts dieser geringen Zahl der Teilnehmer beinhaltet bereits die Aussage, man habe an einem solchen Treffen teilgenommen, […] einen Vorwurf." Dafür ist nach Ansicht des 7. Zivilsenats maßgebend, dass "der Leser auch nicht den Eindruck gewinnt, Teilnehmer hätten sich deutlich dagegen ausgesprochen oder aufgrund dieses diskutierten klaren Bruchs mit der Verfassung das Treffen verlassen".
Gegen den Beschluss kann der NDR noch Widerspruch einlegen, dann verhandelt das OLG mündlich über den Fall. Eine weitere Instanz gibt es danach im Eilverfahren nicht; will der Sender den Fall zum Bundesgerichtshof bringen, muss er Vosgerau zur Erhebung der Klage in der Hauptsache auffordern. Dann wären aber zunächst erneut die beiden Hamburger Instanzen zu durchlaufen. Im Übrigen bliebe dem NDR aktuell noch die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde.
* Zunächst hieß es hier, der Beschluss sei unanfechtbar. Tatsächlich kann der NDR aber noch Widerspruch einlegen, allerdings entscheidet dann erneut das OLG (korrigiert am 29.07.2024, 14:28 Uhr).
** Zunächst hieß es an mehreren Stellen, es sei um den Vorwurf der Ausbürgerung deutscher Staatsbürger gegangen. Richtig ist, dass es um den Vorwurf der Ausweisung deutscher Staatsbürger ging. Allerdings käme - abgesehen von der Frage Verfassungswidrigkeit - formalrechtlich eine Ausweisung deutscher Staatsbürger nur bei vorangegangener Ausbürgerung in Betracht.
OLG Hamburg gibt Vosgerau Recht: . In: Legal Tribune Online, 26.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55085 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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