Nach ihrer Kritik an der Rückkehr der Familie von Bivsi aus Nepal gab es Schelte für die Düsseldorfer Verwaltungsrichter. Dabei geben ihnen Kollegen inhaltlich zum Teil Recht – doch die Lautstärke ihrer Beschwerde sorgte für Verwunderung.
Für seine Kritik an der Abschiebepraxis im Fall der Familie von Bivsi aus Nepal erntet das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf nun selbst Schelte von den Grünen: "Eine solche öffentliche Diffamierung durch einen Richter ist nicht angemessen", sagte Grünen-Landeschef Felix Banaszak der Zeitung "Die Welt". Die Familie versuche, ihr altes Leben zu führen. "Es ist deshalb sehr bedauerlich, wenn sie durch solche Äußerungen des Gerichtspräsidenten wieder rausgerissen werden und fürchten müssen, dass sich alles wiederholt." Das Grundgesetz sehe explizit vor, dass im Einzelfall auch außergerichtliche Lösungen gefunden werden können.
Anlässlich des Jahrespressegesprächs hatte der Präsident des VG Düsseldorf die Abschiebepraxis der Behörden insbesondere in dem Fall der Familie aus Nepal mit deutlichen Worten kommentiert: "Der Staat muss rechtsstaatliche Entscheidungen vollziehen, ansonsten kann er sich das Geld sparen", so Gerichtspräsident Andreas Heusch, der bereits früher in die Kritik geraten war- am vergangenen Freitag. Dass auch die Eltern des Mädchens Bivsi wieder hätten einreisen dürfen, sei "ein Schlag ins Gesicht aller Ausländer, die sich rechtskonform verhalten". Bivsis Eltern hätten "getrickst, betrogen und getäuscht, den Staat jahrelang vorgeführt", sagte Heusch. "Es dreht sich ein riesiges rechtsstaatliches Rad, und die Urteile laufen dennoch ins Leere", sagte Vizepräsidentin Gabriele Verstegen.
Die in Duisburg lebende Bivsi war am 29. Mai 2017 mit ihren Eltern nach Nepal abgeschoben worden, nachdem der Asylantrag der Familie in allen Instanzen gescheitert war. Die 15-Jährige und ihre Eltern waren nach erfolgreichem Protest auch von Politikern im vergangenen August mit einem Schüleraustausch-Visum wieder eingereist. Die Eltern dürfen Bivsi aus humanitären Gründen für die Dauer der Ausbildung begleiten. Das VG Düsseldorf hatte ursprünglich über den Fall entschieden.
Bis zu drei Stunden für mündliche Verhandlung
Die Anzahl der Asylverfahren an den Verwaltungsgerichten – nicht nur in Düsseldorf, sondern bundesweit und nicht nur im vergangenen Jahr, sondern seit 2015 – lässt klarer werden, worum es den Richtern am VG Düsseldorf mit ihrer Kritik ging. Der versprochene Personalausbau hat zwar auch dieses Gericht erreicht, dennoch arbeiten die Richter seit Jahren am Limit.
Für eine mündliche Verhandlung in einem Asylverfahren muss ein Richter 40 Minuten bis hin zu drei Stunden einplanen, abhängig vom Herkunftsland und der Anzahl der klagenden Familienmitglieder. Diese Zahlen hört man nicht nur aus Düsseldorf, sondern auch von anderen Verwaltungsgerichten, mit denen LTO gesprochen hat. Eine mündliche Verhandlung durchzuführen, ist Pflicht – es sei denn, der Kläger hat ausdrücklich darauf verzichtet.
Die Verhandlungen sind sodann geprägt von vielen Nachfragen durch die Richter, sich widersprechenden Aussagen der Kläger und von Anwälten, die auch nicht immer Licht in die Geschichten bringen können. Dabei sind die Richter, die inzwischen klare Länderzuständigkeiten haben, sehr gut informiert über die Lage im jeweiligen Zielland.
Über die Lageberichte des Auswärtigen Amtes kennen sie die einzelnen Regionen, ethnische Minderheiten, Verfolgungsgefahren. Was sie noch nicht wissen oder wo Informationen veraltet sind, recherchieren sie selbst, über die Medien oder individuelle Anfragen in den deutschen Botschaften. Die Bewertung der Lage obliegt dann jedem einzelnen Richter, was etwa bei Klagen syrischer Flüchtlinge erstinstanzlich bundesweit zu unterschiedlichen Urteilen geführt hatte.
Folgeantrag statt Abschiebung
Viele Gerichte verlassen sich auf die Informationen, die ihnen vorliegen, und schließen die Verfahren nach einigen Monaten ab – sollte man meinen. Denn nach § 71 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) besteht die Möglichkeit, nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag zu stellen. Die Anzahl dieser Folgeanträge ist nicht beschränkt. Das Problem verschärft sich, wenn rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber ohne Duldung nicht abgeschoben werden. Doch nicht erst hier setzt die Kritik des VG Düsseldorf an.
"Wir weisen seit Jahren auf die Probleme bei den Abschiebungen hin", sagt Dr. Nicola Haderlein, Richterin am VG Düsseldorf. Sie ist zuständig für Kläger aus dem Herkunftsland Irak. "Es gibt in den Irak einen Abschiebestopp und seit zehn Jahren keine Abschiebungen dorthin", sagt sie. "Da frage ich mich schon, warum ich das mache." Die Verwaltungsrichter jedoch müssten ein Verfahren nach dem anderen entscheiden, auch wenn es kaum Folgen habe. Das gelte zwar nicht mehr für den Balkan, aber doch weitgehend noch für Afghanistan. "Wir prüfen die Sicherheitslage und differenzieren sehr genau nach den Personen, die abgeschoben werden können", sagt Haderlein.
Während am VG Düsseldorf im Jahr 2016 die mit Abstand meisten Rechtsuchenden aus Syrien kamen, haben im vergangenen Jahr die Klagen afghanischer Staatsangehöriger die Zahl der Verfahren von Syrern übertroffen: 12 Prozent aller Gesuche wurden von Afghanen eingereicht.
Die Frage der Gefahren
Ein Problem für die Richter bei der Recherche: "Der letzte Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Afghanistan stammt aus dem Jahre 2016 und ist veraltet", sagt Bellinda Bartolucci, rechtspolitische Referentin bei ProAsyl. Der Zwischenbericht von Juli 2017 sei unvollständig, er beinhalte nicht die asyl- und abschiebungsrelevanten Fakten. Die Botschaft in Kabul ist nach dem Anschlag Mitte 2017 noch nicht wieder eröffnet, der UNHCR berichte, die Lage dort verschlimmere sich weiter. "Daher hat beispielsweise auch das VG Wiesbaden Beweisanträge erhoben, auch das Auswärtige Amt und Amnesty International sollen neue Gutachten einreichen.", so Bartolucci.
Abschiebungen nach Afghanistan hatte der Bundesinnenminister Mitte 2017 nach einem Anschlag in Kabul teilweise ausgesetzt. Generell wird die Gefahrenlage im jeweiligen Herkunftsland allerdings schon im Asylverfahren geprüft. Daher erhalten Flüchtlinge z.B. den subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG, wenn ihnen in ihrem Heimatland - vereinfacht gesagt - Gefahren drohen.
Ob eine solche vorliegt, beurteilen die Gerichte wiederum anhand einer Risikobewertung. Dazu werden die zivilen Opfer in einer Region über einen festgelegten Zeitraum gezählt. Liegt diese Anzahl noch in einem Bereich des allgemeinen Lebensrisikos, ist eine Abschiebung möglich. Die sonstigen Abschiebehindernisse prüft das Gericht nach § 60 Abs. V und VII Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Und erst die Ausländerbehörde prüft dann unmittelbar vor dem Vollzug der Ausreisepflicht, ob akut Ausreisehindernisse bestehen, die einer Abschiebung entgegenstehen können.
Gewaltenteilung, Meinungen und wirklich Ausreisepflichtige
Viele Stellen – angefangen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bis hin zur Ausländerbehörde – prüfen also ziemlich viel, bis eine Abschiebung überhaupt vollzogen werden kann. Die angeblich dramatisch mangelnde Durchführung derselben, die das VG Düsseldorf auf seiner Jahrespresseveranstaltung kritisierte, mögen indes nicht alle Kollegen der Düsseldorfer erkennen: "Natürlich kann man schon mal die Nase rümpfen, wenn man den fünften Folgeantrag vorliegen hat, nachdem man die vorherigen bereits abschlägig beschieden hat", sagt ein Richter an einem Verwaltungsgericht gegenüber LTO. "Die Aussagen des VG Düsseldorf halte ich aber für zu weitgehend." Öffentlich äußern möchte er sich nicht: "Wir haben als Richter die Pflicht, uns zurückzuhalten."
So sieht es auch ein Kollege an einem anderen Verwaltungsgericht: "Wir haben einen klar definierten Auftrag, und der liegt nicht darin, ein Player im Meinungskampf zu sein", sagt ein weiterer Richter. "Schon, um gerade mir als Richter im Asylrecht keine politische Färbung nachsagen lassen zu können, würde ich mich dazu nicht öffentlich äußern." Doch vor allem sei die Durchführung Abschiebungen Aufgabe der Exekutive – und eben nicht der Richter.
Und die hat gar nicht so viel abzuschieben, wie es oft suggeriert wird. Auf eine Kleine Anfrage der Linken hat die Bundesregierung im Februar die Daten aus 2017 mitgeteilt: Bundesweit gab es 62.791 Menschen, die tatsächlich ausreisepflichtig ohne Duldung waren, die also überhaupt abgeschoben werden dürften. Davon hatten bundesweit 29.278 zuvor ein Asylverfahren durchlaufen. In Nordrhein-Westfalen gab es 19.022 ausreisepflichtige Menschen ohne Duldung, davon waren 8.738 abgelehnte Asylbewerber. Das sind 0,048 Prozent an der Gesamtbevölkerung des Bundeslandes. Abgeschoben – ausgenommen Zurückweisungen schon an der Grenze - wurden im vergangenen Jahr insgesamt 23.966 Menschen. Erfasst sind darin auch Überstellungen in andere EU-Mitgliedstaaten beispielsweise nach der Dublin-Verordnung.
Mit Material von dpa
Tanja Podolski, Zur Kritik des VG Düsseldorf an der Abschiebepraxis: . In: Legal Tribune Online, 15.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27553 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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