Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder bekommt sein Büro samt Personal nicht zurück. Schröder habe keinen Rechtsanspruch auf Personalausstattung. Vor Gericht wurde deutlich: Der Gesetzgeber sollte sich dringend um Regeln für Altkanzler kümmern.
Nach gut zwei Stunden fällt zum ersten Mal im Saal der Satz, den alle so oder so ähnlich den ganzen Vormittag im Kopf gehabt haben dürften: "Und was ist eigentlich mit dem Ukrainekrieg?", fragte die Vorsitzende Richterin Erna Viktoria Xalter. Denn es ist nicht einfach nur ein verwaltungsrechtlicher Streit, den das Verwaltungsgericht (VG) Berlin am Donnerstag zu verhandeln hatte.
Geklagt hatte Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, er wollte sein Büro im Bundestag samt Personal zurück. Im Mai 2022, wenige Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs, hatte der zuständige Haushaltsausschuss im Bundestag beschlossen, Schröder nicht mehr länger sein Büro und Personal als Ausstattung zu gewähren. Begründet wurde der Schritt damit, dass Schröder keine nachwirkenden Aufgaben aus einem Amt mehr wahrnehme. Schröder war von 1998 bis 2005 Bundeskanzler. In der Begründung aus dem Bundestag war keine Rede vom russischen Angriffskrieg in der Ukraine, den guten Beziehung Schröders zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, zu seinen Posten beim russischen Staatskonzern Gazprom sowie weiterer Energiekonzerne. Schröder wollte Büro samt Ausstattung und Personal zurück, das ihm nach seiner Zeit als Kanzler nach 2005 zur Verfügung gestellt worden war. Das kostete den Bund zuletzt mehr als 400.000 Euro im Jahr.
Das VG Berlin hat die Klage des Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder nun also abgewiesen. Soweit die Klage einen Beschluss des Haushaltsauschusses im Bundestag betraf, war sie schon unzulässig, die begehrte Ausstattung des Büros mit Personal war dagegen zulässig, aber unbegründet (Urt. v. 05.05.2023 Az. VG 2 K 238/22). Es fehle an einer Rechtsgrundlage für den Anspruch, weder aus Gewohnheitsrecht noch Art. 3 Grundgesetz (GG) ergebe sich ein solcher. Auch einen Hilfsantrag auf Feststellung lehnte die 2. Kammer des VG ab.
Kein Anspruch aus Gewohnheitsrecht und Art. 3 Grundgesetz
Unzulässig war die Klage insoweit als sie gegen die Entscheidung des Haushaltausschusses gerichtet war, denn dabei handele es sich, so Richterin Xalter bei der Verkündung, um ein rechtliches Internum zwischen Bundestag und Kanzleramt ohne Außenwirkung. Damit fehle Schröder die Klagebefunis, ein subjektives Recht könne er daraus nicht ableiten, in dem er verletzt sein könnte. An der Klagebefugnis im Übrigen hatte das Gericht keine Zweifel.
Die Klage war im Übrigen zulässig, aber unbegründet. Es fehle an einem Anspruch auf ein Altkanzlerbüro samt Ausstattung. Was einen Anspruch aus Gewohnheitsrechts auf Austattung des Büros angehe, gebe es zwar seit über 50 Jahren eine einheitliche und dauernde Praxis, so Xalter bei der Verkündung, es fehle aber an der subjektiven Überzeugung der Beteiligten, dass daraus ein Anspruch erwachsen sollte. Für einen Anspruch aus Art. 3 GG fehlte es nach Auffassung der Kammer an einer Begünstigung, denn die Gewährung des Büros samt Austattung seien im öffentlichen Interesse zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben eingerichtet. Ein Vorteil, den ein Bundeskanzler a.D. daraus ziehen könne, sei nur ein bloßer Rechtsreflex, keine Begünstigung. Damit lief Schröders Art.-3-GG-Argumentation ins Leere.
Unsichere Rechtslage, Botschaft an den Gesetzgeber
Das Gericht nahm sich viel Zeit, den ganzen Vormittag über wurden im Plenarsaal immer wieder ganz grundsätzliche Rechtsfragen diskutiert: Müssten die Vorgaben rund um die Ausstattung für Altkanzlerinnen und Altkanzler nicht klar und transparent im Gesetz geregelt werden? Auch schon wegen des Demokratieprinzips? Wie lange, mit wie vielen Mitarbeitenden muss so ein Büro ausgestattet sein, nimmt die Ausstattung über die Zeit ab, wer kontrolliert alles?
Richterin Xalter, zugleich auch die Präsidentin des VG, führte souverän, lebendig und hochkonzentriert durch die Verhandlung. Fragte immer wieder scharf und hartnäckig nach: "Aber was ist das Altkanzlerbüro denn eigentlich organisationsrechtlich?" Unsichere Blicke im Team des Bundeskanzleramts, die Vertreterinnen und Vertreter schauten sich gegenseitig an, drehten sich um zur zweiten Tischreihe, wo der Rest des Teams auch unsicher zurückschaute. Wo ist das Altkanzlerbüro verortet, schwebt es frei im Aufbau der Staatsorganisation? Im Organigramm des Kanzleramtes taucht das Büro nicht auf. Das Kanzleramtsteam einigte sich auf die Antwort: Das Büro sei eine verselbstständigte Stelle, aber dienstrechtlich beim Bundeskanzleramt eingebunden. Xalter: "Aha. Wie weit geht denn die Verselbstständigung?" Einige Lacher im Publikum.
Quasi im Vorbeigehen sprach das Gericht auch noch an, dass Fraktionen, die ihren Altkanzlern Büroräume aus Bundesmitteln zur Verfügung stellen, damit gegen das Parteiengesetz verstoßen. Denn solche Mittel dürften nur für die parlamentarische Arbeit verwendet werden. Das hatte auch schon der Bundesrechnungshof angemahnt. Insgesamt wurde deutlich, wie groß die rechtlichen Unsicherheiten im Umgang mit den Altkanzlern sind. Es fehlt an gesetzlichen Regelungen. Die Ausführungen des Gerichts in der Verhandlung darf man auch als Botschaft an den Gesetzgeber verstehen, zeitnah für Regelungen zu sorgen. Denn bislang darf der Bundestag ziemlich freihändig entscheiden. Auch die Voraussetzung für die Ausstattung, "nachwirkende Aufgaben" im Staatsinteresse zu verfolgen, hat kaum Konturen. Als Beispiele wurden in der Verhandlung genannt: Reisen zur Beratung ausländischer Regierungen oder Schirmherrschaften bei Preisverleihungen, Beantwortung von Bürgerzuschriften, Reden auf Veranstaltungen. Wie genau aber rechtlich die Rolle eines Altkanzlers oder einer Altkanzlerin zu fassen ist, das fiel erkennbar schwierig.
Letzte Botschaften von Gerhard Schröder
Schröders Anwalt Ralph Heiermann von der Kanzlei Heiermann Losch aus Hannover, der gemeinsam mit Anwalt Michael Nagel von der Hannoveraner Kanzlei Nagel Schlösser am Donnerstag nach Berlin kam, sagte, ein Altkanzler arbeite noch Nachwirkungen ab, seine Tätigkeit sei aber auch nicht mehr so richtig eine amtliche. "Es gibt keine Dienstpostenbeschreibung für einen Altkanzler", so Heiermann.
Richterin Xalter sah das so: "Es ist eine Mischform, bekannte Kategorien passen hier nicht. Man bekommt es nicht in den Griff, aber wir müssen es in den Griff bekommen." Pünktlich um 12 Uhr ist die Verhandlung abgeschlossen, "High Noon", wie Xalter sagt. Rund drei Stunden später verkündete sie das Urteil.
Schröder war am Donnerstag nicht gekommen, seine Stimme tauchte dann aber doch in der Verhandlung auf. "Herr Schröder wollte das eigentlich gar nicht vor Gericht bringen", berichtete Anwalt Nagel in der Verhandlung. Er habe mit dem Haushaltsausschuss sprechen wollen, das sei nicht gewährt worden.
"Herr Schröder ist noch ein brillanter Jurist", betonte Nagel. Man habe im Team gearbeitet, man sei sich schnell sicher gewesen, diese ungeklärten Rechtsfragen müssten vor Gericht geklärt werden. Darf der Bundestag einfach so einem Altkanzler gewährtes Büro und Ausstattung entziehen? Schröder hat trotz der Niederlage noch eine Chance. Das VG ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu. Heiermann hatte schon in der Verhandlung angekündigt, dass er bei einer Niederlage von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wolle. Noch eine letzte Botschaft von Schröder hatte sein Kollege Nagel mitgebracht: "Schröder wird das Verfahren nicht kommentieren, er ist verreist."
Zuletzt hatte es auch Diskussionen um die Ausstattung des Büros und zum Personal (neun Stellen) von Altkanzlerin Angela Merkel gegeben. Freiwillig oder unfreiwillig könnte Schröder auch noch 18 Jahre nach seiner Kanzlerschaft nun den Staatsinteressen doch noch einen Dienst erwiesen haben, wenn seine Klage dazu führt, dass der Gesetzgeber sich die Regelungen für Altkanzlerinnen und Altkanzler vornimmt.
VG Berlin weist Klage auf Altkanzlerbüro ab: . In: Legal Tribune Online, 04.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51692 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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