Die Beschlagnahme von 77 Immobilien im Juli in Berlin war spektakulär. Aber die ihr zugrundeliegende Neureglung zur selbständigen Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft ist verfassungsrechtlich problematisch, meint Martin Schorn.
Ungewöhnlich umfangreich waren Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt im Juli gegen eine arabische Großfamilie vorgegangen. In mehreren Berliner Stadtteilen hatten die Beamten Wohnungen und Häuser im Wert von mehreren Millionen Euro beschlagnahmt. Angewandt wurde dabei das am 1. Juli 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung. Dieses erweitert sehr weitgehend die Befugnis, Vermögensgegenstände, die in einem späteren gerichtlichen Verfahren einer Einziehung unterliegen, zu beschlagnahmen. Der Einziehung unterliegen nach § 73 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) nicht nur solche Vermögensgegenstände, die der Täter oder Teilneh-mer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sondern auch Surrogate, also solche Vermögensgegenstände, die der Täter oder Teilnehmer einer Straftat mit seiner Beute erworben hat.
Das gilt auch, wenn die Taterträge Dritten zugutegekommen sind: Erfasst ist damit nicht nur das Vermögen des Täters, sondern auch Vermögensgegenstände von Dritten, wenn ihnen das aus der Straftat Erlangte unentgeltlich oder ohne rechtlichen Grund übertragen wurde oder wenn sie wussten oder hätten wissen müssen, dass die Vermögenswerte aus einer Straftat stammen. Genau hier setzt die Beschlagnahme vom 19. Juli in Berlin an: Beschlagnahmt wurde nicht die Tatbeute des Einbruchs in eine Sparkassenfiliale im Oktober 2014, circa neun Millionen Euro, sondern vordergründig legal erworbene Immobilien. Betroffen als Eigentümer waren auch nicht die damaligen Täter, sondern Personen aus deren familiärem Umfeld.
Die Beschlagnahme ist nur vorläufig, für eine endgültige Einziehung wird das Gericht aber den Nachweis, dass die Vermögenswerte mit Geldern aus dem spektakulären Bankeinbruch erworben wurden, möglicherweise gar nicht zu führen haben. Zur Hilfe kommt ihnen dabei das neu geschaffene Instrument der selbständigen Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft (non conviction based confiscation). Geregelt in § 76a Abs. 4 StGB erlaubt dieses Instrument die Einziehung von aus rechtswidrigen Taten herrührenden Ge-genständen auch dann, wenn der Betroffene nicht wegen der Straftat verurteilt werden kann, solange das Erlangte aus bestimmten Katalogstraftaten herrührt.
Auch rückwirkende Abschöpfung möglich
Diese Katalogtaten umfassen beispielsweise Terrorismusdelikte, die Bildung krimineller Vereinigungen, Menschenhandel oder Betäubungsmitteldelikte. Diese Aufzählung mutet eng an, sie ist es aber nicht: Über die Aufnahme auch der Geldwäsche wird der Weg in deren deutlich weiteren Vortatenkatalog eröffnet, der eine Einziehung beispielsweise auch bei gewerbsmäßigem Diebstahl oder Bandendiebstahl ermöglicht. Flankiert wird diese Vorschrift durch § 437 der Strafprozessordnung (StPO), der dem Tatrichter Vorgaben an die Hand gibt, worauf er seine Überzeugungsbildung, dass die Vermögensgegenstände aus einer dieser Taten stammen, stützen soll, nämlich vor allem das grobe Missverhältnis zwischen dem Wert des Gegenstandes und den rechtmäßigen Einkünften des Betroffenen.
Der Berliner Fall ist dafür ein Bilderbuchbeispiel. So soll der neunzehnjährige Bruder eines der damaligen Einbruchstäter trotz Bezugs von Hartz-IV mehrere Wohnungen in Berlin gekauft haben. Genau hier setzt die Neuregelung an: Am verständlichen Ermittlerfrust und dem Gefühl, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann und man trotzdem, wenn der Tatnachweis nicht gelingt, nicht auf diese Vermögenswerte zugreifen kann. Dieses Ziel hatte bereits der Koalitionsvertrag der letzten Legislatur vorgegeben: Der Gesetzgeber sollte regeln, dass "bei Vermögen unklarer Herkunft verfassungskon-form eine Beweislastumkehr gilt, sodass der legale Erwerb nachgewiesen werden muss".
Die neu geregelte strafrechtliche Vermögensabschöpfung ist nach den gesetzlichen Übergangsregelungen auch rückwirkend möglich. Das ermöglichte es den Berliner Ermittlern, Immobilien zu beschlagnahmen, die mit Vermögenswerten aus Straftaten erworben wurden, die mutmaßlich vor dem 1. Juli 2017 begangen wurden. Das soll trotz des strengen strafrechtlichen Rückwirkungsverbots möglich sein, weil es sich bei der Einziehung nicht um eine Sanktion im engeren Sinne handeln soll, sondern nur eine Wiederherstellung des ursprünglich rechtmäßigen Zustands, vergleichbar dem Bereicherungsrecht. Dem widerspricht nicht das für den Umfang des einzuziehenden Vermögens geltende Bruttoprinzip. Danach können Aufwendungen, die der Täter zur Begehung der Straftat gemacht hat, vom abzuschöpfenden Vermögen nicht abgezogen werden und damit mehr abgeschöpft werden, als der Täter wirtschaftlich erlangt hat. Die Abschöpfung kann dann als zusätzliche Sanktion empfunden werden. Allerdings unterstellt die Neuregelung nur in deliktischer Absicht gemachte Aufwendungen einem Abzugsverbot, was dem Rechtsgedanken des zivilrechtlichen Bereicherungsrecht (§ 817 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) entspricht.
Regelung zum Nachteil von sozial Schwächeren?
Trotzdem bleibt die selbständige Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft verfas-sungsrechtlich problematisch. Denn sie tangiert nicht nur die Unschuldsvermutung, sondern zwingt den Beschuldigten bzw. den Einziehungsbetroffenen auch, sich aktiv zur Herkunft seiner Vermögenswerte zu erklären, berührt also sein Schweigerecht. Hierüber mag man noch hinwegkommen, denn auch für eine selbständige Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB ist eine richterliche Überzeugungsbildung notwendig, die trotz Schweigens des Be-schuldigten gebildet werden kann. Solange die Überzeugungsbildung nach den allgemeinen Grundsätzen abläuft, ist auch die Unschuldsvermutung nicht verletzt. Dies hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits zur erweiterten Einziehung nach altem Recht entschieden (Beschl. v. 14.01.2004, Az. 2 BvR 564/95).
Problematischer ist der in § 437 StPO vorgenommene Eingriff in die Grundlage dieser Überzeugungsbildung, die freie richterliche Beweiswürdigung. Der Tatrichterin werden Vorgaben gemacht, worauf sie ihre Überzeugungsbildung zu stützen hat. Auf diese verfassungsrechtliche Problematik lässt sich auch die erwähnte Rechtsprechung des BVerfG zur erweiterten Einziehung nicht übertragen. Eine vollständige Überzeugungsbildung der Herkunft aus einer bestimmten rechtswidrigen, wenn auch nicht der abgeurteilten Tat, war dafür notwendig. Beweisregeln, wie nun in § 437 StPO für die selbständige Einziehung von Vermögenswerten unklarer Herkunft geschaffen, bestehen für die erweiterte Einziehung nicht.
Zwar gilt auch bei dieser die Notwendigkeit richterlicher Überzeugungsbildung. Dass der Gesetzgeber dem Tatrichter so weitgehende Vorgaben macht, wann er zu einer solchen Überzeugungsbildung zu gelangen hat, ist ein verfassungsrechtlich bedenklicher Eingriff in die freie richterliche Überzeugungsbildung. Und will man noch beckmesserischer formulieren: Bekommen wir dann, wenn diese Überzeugung auf ein Missverhältnis zwischen bekannten rechtmäßigen Einkünften und aufgefundenen Vermögenswerten gestützt werden soll, nicht ein Strafrecht, das sozial Schwächere benachteiligt?
Dr. Martin Schorn ist Rechtsanwalt im Düsseldorfer und Münchener Büro der internationalen Kanzlei Noerr LLP. Er berät Unternehmen und Einzelpersonen im Wirtschaftsstrafrecht und beschäftigt sich gerade in der Unternehmensverteidigung regelmäßig mit dem Recht der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung.
Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft: . In: Legal Tribune Online, 20.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30433 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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