Der Gesetzentwurf zur Reform des Vergaberechts durchläuft gerade die politischen Instanzen. Und stößt dabei auf heftige Kritik von Praktikern. Einer von ihnen ist Ralf Leinemann.
Die Reform bringt wenig Gutes, sondern begünstigt Hoflieferanten und verteuert die öffentliche Beschaffung. Zudem wird mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz (Bundestagsdrucksache 18/6281) der hohe Wettbewerbs- und Antikorruptionsstandard des deutschen Vergaberechts abgesenkt – und das unter dem Deckmantel der Angleichung an europäische Vorschriften.
Ein Beispiel ist der vorgesehene Umgang mit öffentlichen Ausschreibungen. Bisher müssen öffentliche Auftraggeber vorrangig alle Aufträge im offenen Verfahren ausschreiben, das jeden Interessenten zur Teilnahme berechtigt. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die öffentlichen Auftraggeber künftig frei wählen können zwischen offenem und nicht offenem Verfahren.
Das offene Verfahren setzt dabei einen vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb voraus, in dem der öffentliche Auftraggeber meist nur drei potenzielle Bieter auswählen wird, die dann erst in einem zweiten Schritt zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden. Ein solcher Auswahlprozess würde aber bestehende Lieferantenbeziehungen begünstigen und viele potenziell am Auftrag interessierte Unternehmen ausschließen, weil sie gar nicht erst ein Angebot abgeben dürfen. Die Folge wird sein, dass sich die Auftraggeber verstärkt Haus- und Hoflieferanten wählen. Ein echter Wettbewerb wäre mit diesem Verfahren nicht mehr möglich.
Widersprüchliches Verhalten der Bundesregierung
Während die Bundesregierung bei dem TTIP-Abkommen das Ziel hochhält, dass hohe deutsche Standards nicht durch internationale Verträge abgesenkt werden sollen, findet beim Vergaberecht das Gegenteil statt: Die EU-Richtlinien sehen keinen Vorrang des offenen Verfahrens vor. Daher will die Regierung hier die traditionell hohen deutschen Standards von Wettbewerb und Antikorruption bei öffentlichen Aufträgen auf das niedrigere EU-Niveau absenken. Das ist ein politisch widersprüchliches Verhalten, das kaum nachvollziehbar ist.
Der Gesetzentwurf enthält jedoch noch weitere problematische Regelungen. So wird es künftig für öffentliche Auftraggeber wesentlich leichter, statt eines offenen Verfahrens ein wesentlich intransparenteres Verhandlungsverfahren durchzuführen. Dies war früher nur in seltenen Ausnahmefällen möglich.
Künftig soll die Art des Vergabeverfahrens – ob öffentliches oder Verhandlungsverfahren - bei jeder auch komplexeren Beschaffung frei gewählt werden können. Das könnte etwa bei der Einfügung von Bauten in einen vorhandenen Gebäudebestand gelten, aber auch bei komplizierten Konstruktionen oder der Lieferung von Komponenten, die in einen vorhandenen Gerätebestand integriert werden .
In den Verhandlungsverfahren wird allerdings über Preis- und Leistungsinhalt mit den einzelnen Bietern verhandelt, ohne dass nachvollziehbar sichergestellt wird, dass am Ende gleichartige Konditionen gewährleistet sind. Die Erfahrung zeigt, dass diese Verhandlungsverfahren kleine und mittlere Unternehmen weitgehend vom Wettbewerb um öffentliche Aufträge ausschließen, weil ihnen die Erfahrung und Kompetenz für so aufwändige Verfahren fehlt.
Diese binden viel Personal, weil oft mehrere Verhandlungsrunden zu führen sind und sich daraus jeweils wieder Änderungen der Leistungen und der Angebote ergeben, deren Bearbeitung Kapazitäten erfordert, die kleine Unternehmen nicht haben. Ihre Erfahrung schafft großen Bietern einen Wettbewerbsvorteil, weil sie entsprechende Stäbe vorhalten und solche Verfahren regelmäßig begleiten.
Landesgesetze gleich mit abschaffen
Wichtig ist, dass der Gesetzentwurf vor allem von diesen geplanten Änderungen Abstand nimmt, um auch künftig ein ausgewogenes Vergaberecht vorweisen zu können. Darüber hinaus könnte eine Vergaberechtsreform diesen Namen wirklich verdienen, wenn sie es erreichte, die unseligen Landesvergabegesetze ersatzlos abzuschaffen.
In diesen Landesgesetzen werden teilweise länderspezifische, abweichende Mindestlöhne verlangt, in einigen Ländern müssen Bieter erklären, dass sie die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation einhalten, einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen. In anderen Bundesländern werden besondere ökologische Kriterien aufgestellt, zum Teil werden Frauenfödermaßnahmen gefordert oder eine Erklärung zu Entgeltgleichheit von Frauen und Männern. Zu allen Punkten und zusätzlich zur Einhaltung der Tariflöhne, teils auch durch Nachunternehmer und Lieferanten, müssen die Bieter schriftliche Erklärungen einreichen, die in einigen Ländern auch mit Vertragsstrafeklauseln versehen sind.
Derartige Landesregelungen haben mit der Einführung des bundesweiten Mindestlohns jegliche Existenzberechtigung verloren. Mittlerweile ist ein regelrechter Krieg der Formulare in jedem Bundesland entstanden, wo lokale politische Strömungen noch höhere Mindestlöhne, veränderte Umweltstandards und immer umfassendere Formularerklärungen für Subunternehmer und Lieferanten durchzusetzen versuchen.
Der Autor Prof. Dr. Ralf Leinemann ist Seniorpartner von Leinemann Partner Rechtsanwälte. Der Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht ist Honorarprofessor für Bau- und Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, Referent bei zahlreichen wissenschaftlichen Tagungen sowie Verfasser und Herausgeber zahlreicher Veröffentlichungen im Vergabe- und Baurecht.
Pläne zur Vergaberechtsreform: . In: Legal Tribune Online, 26.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17334 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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