Öffentliche Einschätzung durch Verfassungsschutz: "Prüf­fall"-Klage der AfD unzu­lässig

von Dr. Markus Sehl

20.11.2019

Darf der Verfassungsschutz die AfD öffentlich als "Prüffall" bezeichnen? Das wird jedenfalls nicht der Thüringer VerfGH klären. Der AfD-Landesverband scheitert an der fehlenden Zuständigkeit, hat aber parallel Klage beim VG Weimar erhoben.

Ein Antrag der Thüringer AfD gegen ihre öffentliche Einstufung als "Prüffall" des Verfassungsschutzes ist unzulässig, das hat am Mittwoch der Thüringer Verfassungsgerichtshof (VerfGH) entschieden (Entscheidung v. 20.11.2019, Az. 28/18).

Das Organstreitverfahren war gegen den Thüringer Innenminister und den Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz gerichtet. Die AfD wurde im September 2018 zum Prüffall erklärt - einer Vorstufe zu einer möglichen Beobachtung wegen extremistischer Tendenzen. Das hatte der Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer öffentlich bekannt gegeben sowie in einem Interview geäußert. Der AfD-Landesverband wirft dem Thüringer Verfassungsschutzpräsidenten sowie Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) eine Verletzung ihrer Neutralitätspflicht sowie einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte der Partei vor.

Der Verfassungsschutz sei eine Behörde und kein Verfassungsorgan, sagte der Vorsitzende Richter Klaus von der Weiden am Mittwoch. Laut Pressemitteilung des VerfGH entschieden die Richter, dass allein der Innenminister nach Rang und Funktion als Verfassungsorgan anzusehen sei. Er sei aber kein tauglicher Antragsgegner gewesen, weil die angegriffenen Äußerungen nicht von ihm ausgegangen seien. Damit erklärte sich das Verfassungsgericht in Weimar für die Klage nicht zuständig. Eine Klage wäre an einem anderen Gericht besser aufgehoben, so von der Weiden. Zweifel an der Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts waren bereits in der mündlichen Verhandlung im September deutlich geworden.

VG Köln per Eilentscheidung: Öffentliche Einschätzung unzulässig

Das Verwaltungsgericht Köln hatte im Februar 2019 einem Eilantrag der Bundespartei stattgegeben, wonach der Verfassungsschutz die AfD nicht öffentlich als Prüffall bezeichnen darf. Es geht in allen diesen Fällen nicht darum, ob der Verfassungsschutz die AfD als "Prüffall" einstufen darf, sondern nur darum, ob er über seine Entscheidung zur Einstufung auch öffentlich berichten darf.

Gesetzliche Grundlage für das Bundesamt für Verfassungsschutz ist dabei  § 16 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Für die Öffentlichkeitsarbeit der Thüringer Behörde ist es § 5 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes. Dort heißt es: "Darüber hinaus dürfen auch solche Vereinigungen oder Einzelpersonen genannt werden, bei welchen aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte der Verdacht von Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 vorliegt (Verdachtsfälle)". Zu "Prüffällen" trifft die Norm keine ausdrücklichen Aussagen.

Bereits zurückhaltender war zuletzt der Verfassungsschutz in Niedersachsen mit der Mitteilung einer Einstufung der Partei umgegangen. Nach einem NDR-Bericht nimmt die Behörde die AfD in ihrem Land als "Prüffall" ins Visier – aber bislang ohne öffentliche Erklärung. Informationen erhielten zunächst nur die Abgeordneten in vertraulicher Sitzung des Landtagsausschusses. Damit wird die AfD in mindestens sechs Bundesländern und auf Bundesebene als "Prüffall" geführt. Neben Niedersachsen war die Einstufung in der Vergangenheit auch in Sachsen, Bremen, Thüringen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen bekanntgeworden.

Parallel ist noch Klage beim VG Weimar anhängig

Mehr als ein Fünftel der potentiellen Wähler würde nicht für die Partei stimmen, sollte der Verfassungsschutz tatsächlich die Beobachtung der Partei aufnehmen. Das geht aus einer Umfrage hervor, die die AfD-Bundestagsfraktion selbst 2019 in Auftrag gegeben hatte.

Inzwischen wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz der rechtsnationale "Flügel" der AfD als "Verdachtsfall" im Bereich des Rechtsextremismus bewertet. Zu den Wortführern des Flügels gehört Thüringens AfD-Chef Björn Höcke.

Maier und Kramer bezeichneten das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs am Mittwoch als Erfolg. "Die Strategie der AfD, mich und Kramer persönlich anzugreifen, hatte keinen Erfolg", sagte der Innenminister. Die AfD hat in der Sache neben dem Verfahren beim Verfassungsgerichtshof auch vor dem Verwaltungsgericht in Weimar Klage erhoben.

Mit Material der dpa

Zitiervorschlag

Öffentliche Einschätzung durch Verfassungsschutz: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38799 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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