2/2: Schlichter müssen das Recht nur "berücksichtigen"
Um den zu erwartenden steigenden Fallzahlen Rechnung zu tragen, wird man die Verfahren der Schlichtungsstellen bald stärker regulieren müssen. Langfristig werden solche "Prozesse" damit auch aufwändiger und teurer. Eine kontraproduktive Entwicklung, die ebenjene Vorteile verblassen ließe, mit denen das Schlichtungsverfahren im Vergleich zur Justiz beim Verbraucher gerade punkten möchte.
Zwar reguliert das VSBG vorerst noch relativ zurückhaltend, ruft aber schon jetzt eine stärkere Kontrollbürokratie ins Leben. Private Schlichtungsstellen müssen sich behördlich anerkennen lassen und den Behörden über ihre Tätigkeit berichten. Eine zentrale Anlaufstelle berichtet ihrerseits an die Europäische Kommission. Wie viel Aufwand das bedeutet und wie hoch die Mehrkosten für die Verwaltung sein werden, beziffert das Justizministerium nicht.
An anderer Stelle hingegen ist der Gesetzentwurf erstaunlich unbürokratisch. Die Schlichter müssen gerade einmal über "allgemeine Rechtskenntnisse" verfügen und das geltende Recht "berücksichtigen". Das ist für die Leitung eines Verfahrens zur Lösung rechtlicher Konflikte herzlich wenig und gleichzeitig reichlich diffus. Der Verdacht liegt nahe, dass die Schlichtersprüche mit dem materiellen Verbraucherrecht wenig zu tun haben werden. Zwar ist der Vorschlag eines Schlichters nicht rechtlich bindend, faktisch aber wird kaum ein Verbraucher noch vor Gericht ziehen, wenn seine Beschwerde abgewiesen wurde.
Aus der Warte des Verbraucherschutzes gibt das Grund zur Sorge. Glaubt der Gesetzgeber etwa, für Verbraucher genüge eine oberflächliche Rechtsanwendung? In Großbritannien hat man in den vergangenen Jahren eben diesen Weg eingeschlagen. Um Verbrauchern ein kostengünstiges Verfahren anzubieten und die Gerichte zu entlasten, werden ihre Streitigkeiten dort zunehmend vor privaten Institutionen im Schnellverfahren ausgetragen. In eine ähnliche Richtung gehen auch die Bemühungen deutscher Rechtsschutzversicherer, welche die so genannte Telefonmediation fördern. Das Ganze hinterlässt den Eindruck, die Waage der Iustitia müsse für Verbraucher nicht geeicht sein.
Der Zivilprozess muss sich modernisieren
Der Trend zur Verbraucherschlichtung kommt natürlich nicht von ungefähr. Zwar schneiden die deutschen Zivilgerichte im internationalen Vergleich hervorragend ab, dennoch gibt es hier erheblichen Reformbedarf. Insbesondere die anstehende Umstellung auf den elektronischen Rechtsverkehr bietet dabei aber auch eine große Chance, das Verfahren einfacher zu gestalten, ohne gut begründete Formalien aufzugeben.
Der deutsche Juristentag 2014 hat sich in seiner Abteilung Prozessrecht mit einer Reihe von Reformvorschlägen zu diesem Thema befasst. Unter anderem empfiehlt er dem Gesetzgeber, über verbindliche Regelungen sicherzustellen, dass die Parteien vor Gericht ihren tatsächlichen und rechtlichen Vortrag strukturieren müssen. Kombiniert man dies mit den heute verfügbaren Möglichkeiten zu elektronischer Informationserfassung und -relation, ergibt sich das Bild eines Zivilverfahrens, in dem Verbraucher ihre geringwertigen Forderungen zukünftig deutlich einfacher durchsetzen können als heute.
Daneben bleibt durchaus Platz für die außergerichtliche Beilegung ihrer Streitigkeiten. Die Schlichtungsstellen sollten den Verbrauchern allerdings nicht als moderne Alternative zur Ziviljustiz verkauft werden – denn das Kleid der Iustitia steht ihnen nicht. Lieber sollten sie im eigenen Gewand auftreten und für die Schlichtung als das Verfahren werben, das sie tatsächlich ist: Eine Selbstkontrolle imagebewusster Unternehmen.
Der Autor Dr. Martin Engel ist Habilitand an der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er befasst sich in seinem Habilitationsvorhaben mit der Durchsetzung materieller Verbraucherrechte.
Entwurf für ein Verbraucherstreitbeilegungsgesetz: . In: Legal Tribune Online, 04.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14010 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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