Genießt der US-Präsident uneingeschränkte Immunität? Am Donnerstag urteilte der Supreme Court zur Offenlegung von Trumps Finanzverhältnissen. Die Auswirkungen der Urteile werden dem Präsidenten politisch kaum schaden, erläutert Ole Schley.
Seit 1976 haben alle Präsidenten und auch alle Präsidentschaftskandidaten der beiden großen US-amerikanischen Parteien ihre Steuererklärungen freiwillig offengelegt – bis auf Donald Trump. Dessen Geheimniskrämerei bietet seit seiner Wahl im Jahr 2016 Anlass zu teils wilden Spekulationen. Doch seit auch Parlamente und Staatsanwaltschaften die Offenlegung dieser Dokumente verlangen, verbergen sich hinter dem Streit um die Steuererklärung grundlegende Fragen um die Stellung des Präsidenten und die Gewaltenteilung in der US-Verfassung – Fragen, die der Supreme Court mit seinen Entscheidungen am Donnerstag zu beantworten hatte.
Die Entscheidungen konsolidieren zwei unterschiedliche Verfahrenskomplexe. Der erste ist das Vance-Verfahren. Hier hatte der Bezirksstaatsanwalt von New York eine Auskunftsanordnung, eine sogenannte subpoena, an die Steuerberatungsgesellschaft des Präsidenten ausgehändigt. Der Anordnung liegt eine strafrechtliche Ermittlung zugrunde, deren Kern der Vorwurf ist, bei der Zahlung von Schweigegeldern an Bekanntschaften Trumps seien Gesetze des Bundesstaates New York gebrochen worden. Es ist allerdings unklar, ob am Ende dieser Ermittlungen eine Anklage stehen wird, und gegen wen sich diese richten würde.
Im zweiten Verfahrenskomplex, dem Mazars-Verfahren, hatten Ausschüsse des Repräsentantenhauses – die derzeit von den Demokraten kontrollierte Kammer des Parlaments – entsprechende subpoenas an die Hausbank und die Steuerberatungsgesellschaft des Präsidenten adressiert, um möglichen Hinweisen auf dessen finanzielle Verstrickungen nachzugehen. Die Anordnungen betrafen die gesammelten Unterlagen der Trump-Familie.
Darauf, die Dokumente von Trump direkt anzufordern, hatten beide Stellen vorsichtshalber verzichtet. Zu groß war wohl die Gefahr, dass dieser die subpoenas einfach ignorieren und so eine Verfassungskrise heraufbeschwören würde. Allerdings klagte er auch gegen die Anordnungen an seine Dienstleistungsfirmen. Im Fokus stehen dabei zwei grundsätzliche Fragen: Ist der Präsident vor strafrechtlichen Ermittlungen vollständig immun? Und verstößt es gegen die Gewaltenteilung, wenn der Präsident auf diese Weise durch das Parlament zur Herausgabe von Dokumenten gezwungen wird? Oder, kurzgefasst: Steht der US-Präsident eigentlich über dem Gesetz?
Trump selbst scheint das zu glauben. Seine griffige Interpretation der Rechtslage lautet wie folgt: "Die Verfassung erlaubt mir als Präsidenten zu tun und lassen, was immer ich will." In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung hatte er mit dieser Argumentation alle Verfahren verloren. Mit Spannung war nunmehr erwartet worden, wie sich das konservativ dominierte höchste Gericht, an dem Trump auch bereits zwei Richter hatte ernennen können, positionieren würde.
Die vorläufige Antwort des Supreme Court ist weniger spektakulär, als im Vorfeld vermutet und teils auch befürchtet worden war. Recht einhellig – jeweils mit 7:2 Stimmen – befanden die Richter in beiden Verfahren, dass zwar grundsätzlich nichts gegen die Wirksamkeit der subpoenas spreche. Gleichzeitig verwiesen sie die Verfahren aber zur weiteren Verhandlung an die unteren Instanzen zurück.
Ein Hauch von Watergate: Das Vance-Verfahren
Im Vance-Verfahren hatte Trump die weitaus schwierige rechtliche Ausgangslage. Dieses reiht sich in die illustre Reihe des Watergate-Verfahrens und des Clinton-Prozesses ein. Präsident Nixon war zugemutet worden, einer strafrechtlichen subpoena für die Watergate-Tapes Folge zu leisten (United States v. Nixon, 1974). Präsident Clinton hatte sich gegen eine zivilrechtliche Klage, bezogen auf einen Sachverhalt vor seiner Vereidigung als Präsident, nicht mit der Berufung auf seine Immunität verteidigen können (Clinton v. Jones, 1997).
Gegen diese Präzedenzfälle musste eine möglichst weitreichende Argumentation her. Trumps Anwälte fanden sie in der These der absoluten Immunität des Präsidenten, und zwar auch bei prozessualen Akten, die ihn gar nicht unmittelbar betreffen. Insbesondere sollte diese Immunität dann greifen, wenn auf bundesstaatlicher Ebene gegen ihn ermittelt wird, was damit zusammenhängen dürfte, dass Strafverfolgung weitgehend Sache der Bundesstaaten ist.
Ob das heiße, dass der Präsident eine Person auf offener Straße erschießen könnte und trotzdem niemand gegen ihn ermitteln dürfte, wollten die Richter des Berufungsgerichts in Abwandlung einer Wahlkampfaussage von Trump wissen. In der Tat, so die Anwälte, während der Amtszeit scheide jede bundesstaatliche Ermittlungsmaßnahme wegen der absoluten Immunität des Präsidenten aus.
Das wollte der Supreme Court der Präsidentschaft in Einklang mit seiner vorherigen Rechtsprechung nicht zugestehen. Mit wuchtigen Worten befand er: Niemand, auch nicht der Präsident, könne sich Beweisanordnungen in Strafprozessen verweigern. Zumindest insoweit sei der Präsident Teil des normalen justiziellen Prozesses und müsse sich diesem stellen. Eine Stigmatisierung der Präsidentschaft gehe damit nicht einher. Das Risiko schikanöser strafrechtlicher Verfolgung werde durch prozessuale Vorschriften aufgefangen. Nicht einmal einen erhöhten Maßstab an die Darlegung der Notwendigkeit der subpoenas ließ das Gericht gelten. Damit hatte der Supreme Court das seinige zum Verfahren gesagt. Vor dem Berufungsgericht wird es nunmehr darauf ankommen, ob die subpoena im Übrigen wirksam ist.
Mazars-Verfahren: Neue Prüfkriterien für die Instanzgerichte
Es blieb noch die staatsorganisationsrechtliche Frage des Mazars-Verfahrens. Zu deren Einordnung muss man wissen, dass das Parlament nach ständiger Rechtsprechung Untersuchungen einleiten darf, wenn das legitimen gesetzgeberischen Zwecken dient (siehe nur Watkins v. United States, 1957). Solche legitimen Zwecke können die Kontrolle der Exekutive und insbesondere die Vorbereitung neuer Gesetze sein, und diese wurden vom Repräsentantenhaus im aktuellen Verfahren auch geltend gemacht.
Am Ende der Untersuchung in die finanziellen Verhältnisse des Präsidenten sollten Gesetze stehen, die möglicher Korruption, etwaigen Interessenkonflikten und der Einflussnahme ausländischer Mächte auf die Präsidentschaft vorbeugen sollten. Allerdings ist diese Investigativkompetenz nicht grenzenlos und erfasst nicht die Ausforschung privater Belange. Hier hatten die Anwälte des Präsidenten eingehakt: Dem Repräsentantenhaus gehe es nicht um Gesetzgebung, sondern um politisch motivierte Schikane. Eine Untersuchung dieses Vorwurfs freilich würde dazu führen, dass die Gerichte den Willensbildungsprozess des demokratischen Gesetzgebers in dieser frühen Phase auf legitime Interessen abzuklopfen hätten. In "Watkins v. United States" hatte der Supreme Court das noch abgelehnt. Solange am Ende des investigativen Prozesses ein legitimes gesetzgeberisches Ziel stehe, sei das Motiv irrelevant.
Nunmehr allerdings war vom Auskunftsverlangen der Präsident betroffen. Da, so der Supreme Court, gelte doch ein anspruchsvollerer Standard. Vier Aspekte seien von Gerichten besonders zu gewichten. Zunächst hätten sie zu untersuchen, ob das gesetzgeberische Ziel eine Auskunft durch den Präsidenten in Ermangelung anderer Quellen unbedingt erforderlich mache. Zweitens solle eine solche Auskunftsanordnung bestimmt und eng umrissen sein, um sich so auf die erforderlichen Informationen zu beschränken. Drittens solle das Parlament das gesetzgeberische Vorhaben detailliert nachweisen. Viertens solle die knapp bemessene Zeit des Präsidenten Berücksichtigung finden, damit dieser nicht über Gebühr an der Führung seiner Amtsgeschäfte gehindert werde. Diese neu ersonnenen Kriterien hatten die Instanzgerichte nicht angewandt, was es nun nachzuholen gilt.
Offenlegung noch vor den US-Wahlen unwahrscheinlich
Die vorläufige Zwischenbilanz fällt damit gemischt aus. Der Supreme Court konnte sich darauf beschränken, im Vance-Verfahren die besonders verwegenen Argumente Trumps zurückzuweisen und im politisch besonders aufgeladenen Mazars-Verfahren ein technisches Urteil zu fällen. Trump steht nicht über dem Gesetz, immerhin. Beide Fälle gehen vor den Instanzgerichten in eine neue Runde und von dort wohlmöglich erneut zum Supreme Court.
Zwar ist mittelfristig absehbar, dass am Ende des Vance-Verfahrens eine Einsichtnahme der Staatsanwaltschaft in die begehrten Unterlagen stehen dürfte. Doch eine etwaige Anklage ist, wie schon ausgeführt, noch Zukunftsmusik. Zudem unterliegen die Dokumente auch im Ermittlungsverfahren der Geheimhaltung und können zumindest auf legalem Wege nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Insgesamt ist damit eher nicht davon auszugehen, dass es noch 2020 – und insbesondere nicht vor den Wahlen im Herbst – zu einer Offenlegung kommt. Auch wenn Trump nach Bekanntgabe der Urteile auf Twitter tobte: Für seine politischen Ziele könnte dieser Zeitplan ausreichend sein.
Ass. iur. Ole Schley ist Doktorand und Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg.
Nach den Entscheidungen des US-Supreme Court: . In: Legal Tribune Online, 10.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42164 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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