In zwei Wochen ist Joe Biden der nächste Präsident der USA. Doch nach den Ausschreitungen im Capitol wird geprüft, ob Donald Trump vorher abgesetzt werden kann. Kirk Junker hält das für möglich - und für nötig, schon für die Geschichtsbücher.
Herr Professor Junker, nach Informationen von US-Medien beraten Mitglieder der US-Regierung darüber, den amtierenden Präsidenten Donald Trump abzusetzen, nachdem seine Anhänger am Mittwoch das Kongressgebäude gestürmt haben. Es geht darum, ob der 25. Zusatzartikel der Verfassung zum Einsatz kommt – was heißt das?
Prof. Dr. Kirk W. Junker: Dieser Artikel besteht aus vier Absätzen, mit den ersten dreien haben wir bereits Erfahrung: Der Vizepräsident übernimmt das Amt des Präsidenten, wenn dieser nicht in der Lage ist, die Amtsgeschäfte zu führen. Ronald Reagan und George W. Bush mussten während ihrer Amtszeit ins Krankenhaus und sich einer Operation unterziehen, für diese Zeit übertrugen sie das Amt an ihre Stellvertreter.
Aber der vierte Absatz wurde noch nie angewandt und er ist sehr viel unklarer. Es geht darum, dass der Vizepräsident und eine "Mehrheit der Hauptbeamten der Exekutivabteilungen oder eines anderen Gremiums, das der Kongress per Gesetz bestimmen" können, dass der Präsident nicht mehr in der Lage ist, sein Amt auszuführen. Dann könnte Vizepräsident Mike Pence das Amt übernehmen.
Wie schnell wäre es möglich, Trump auf diese Weise die Amtsgeschäfte zu entziehen?
Der 25. Zusatzartikel wurde nach der Ermordung von John F. Kennedy geschrieben – er ist wirklich für Notfälle gedacht. Es sollte also sehr schnell gehen, innerhalb von Tagen oder auch Stunden. Wir haben in den vergangenen Wochen bereits gesehen, dass Trump als Präsident absolut nichts mehr tut, außer gegen seine Abwahl zu kämpfen. Es sterben Menschen an Covid-19 und er tut – nichts. Ich denke, es gibt längst genug Beweise dafür, dass er wirklich nicht mehr in der Lage ist, sein Amt auszuüben. Aber bisher hatten viele Republikaner kein Interesse daran, sich von Trump abzuwenden. Das hat sich gestern Abend geändert.
Wäre ein Impeachment-Verfahren ebenfalls eine Möglichkeit?
Ja. Das Amtsenthebungsverfahren erfolgt in zwei Stufen. Das Repräsentantenhaus muss darüber abstimmen, ob die vorgelegten Beweise anklagbare Vergehen demonstrieren, ähnlich dem Prozess einer strafrechtlichen Anklage. Wenn ja, wird der Präsident oder ein anderer Bundesbeamter dann angeklagt. Gegen Trump wurde bereits ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet. Aber nach dem Impeachment leitet das Repräsentantenhaus die Anklageartikel an den Senat zur Verhandlung weiter. Der Senat entscheidet, ob der Präsident aus dem Amt entfernt werden soll. Bei Trumps erstem Impeachment stimmte der Senat nicht für seine Amtsenthebung, sondern folgte strikt den politischen Parteilinien. Diese Aufteilung kann sich seither durchaus geändert haben. Viele Senatoren haben ihre Meinung zu Trump mittlerweile geändert, außerdem haben die Demokraten gerade in Georgia zwei Senatoren-Sitze gewonnen. Das Impeachment-Verfahren ist zwar komplizierter, aber wenn alle Beteiligten es wollen, kann auch das sehr schnell gehen.
"Eine Amtsenthebung würde in den Geschichtsbüchern stehen"
Bis zur Amtsübergabe sind es nur noch zwei Wochen, Trump hat nun zugesichert, das Amt friedlich an seinen Nachfolger Joe Biden abzugeben. Kann man bis dahin nicht einfach abwarten?
Diese Präsidentschaft muss so schnell wie möglich beendet werden. Wir sollten nicht noch zwei Wochen abwarten. Wenn Trump am Ende seiner Amtszeit aus dem Amt enthoben wird, dann ist klar: Er war ein Betrüger, er war ein unfähiger Präsident.
So wird es später in den Geschichtsbüchern stehen, das werden alle amerikanischen Schulkinder lernen. Aber wenn wir ihn einfach weitermachen lassen, dann ist es für seine Anhänger leichter, später zu behaupten, er habe eine erfolgreiche Amtszeit gehabt.
Welche juristischen Konsequenzen muss Trump befürchten, wenn er nicht mehr im Amt ist?
Sobald er nicht mehr Präsident ist, hat er kein Recht mehr, Begnadigungen auszusprechen und er kann sich nicht mehr auf Immunität berufen – es ist klar, dass er sich davor fürchtet. Es drohen zahlreiche Straf- und Zivilverfahren, gegen ihn, seine Unternehmen und Personen in seinem Umfeld, es geht unter anderem um Steuervergehen und Betrug.
Ihn wegen der gestrigen Ereignisse in Washington D.C. vor Gericht zu bringen, wird aber sehr viel schwieriger. Der republikanische Senator Mitt Romney hat davon gesprochen, dass Trump einen "Aufstand angezettelt" habe – das sind starke Worte. Aber ob man ihm wirklich nachweisen kann, inwiefern er die Ausschreitungen beeinflusst hat, ist fraglich.
"Joe Biden ist jetzt offiziell der Gewinner der Wahl"
Zur Präsidentschaftswahl gehören viele Schritte, die für Außenstehende kaum nachvollziehbar sind. Ist Joe Biden jetzt formal zum künftigen Präsidenten der USA gewählt?
Ja – die Bestätigung des Wahlergebnisses durch den Kongress, die nach den Unruhen beendet wurde, war der letzte Schritt. Der Kongress hat die Aufgabe, die Stimmen der Wahlmänner zu zertifizieren. Die Sitzung musste am Mittwoch unterbrochen werden, aber sie wurde fortgeführt. Einige Republikaner haben zwar Einwände erhoben, aber Senat und Repräsentantenhaus haben diese Einwände zurückgewiesen. Vizepräsident Mike Pence hat Joe Biden offiziell zum Gewinner der Präsidentschaftswahl erklärt.
Es sieht nicht danach aus, dass sich Trumps Anhänger ab jetzt friedlich verhalten werden. Wer kann die Sicherheit des Kongresses garantieren? Wer entscheidet über den Einsatz von Polizei und der Nationalgarde?
Die Bürgermeisterin von Washington D.C. Muriel Bowser kann ihre Polizei einsetzen. Sie kann auch einen Notstand ausrufen und eine Ausgangssperre verhängen – das hat sie auch gemacht. Was die Nationalgarde angeht, ist die Antwort leider ganz einfach: Darüber kann der Präsident entscheiden.
Professor Dr. Kirk W. Junker ist Inhaber des Lehrstuhls für US-amerikanisches Recht an der Universität zu Köln.
Wird Trump doch abgesetzt?: . In: Legal Tribune Online, 07.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43917 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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