Geldsanktionen von bis zu zehn Prozent des Umsatzes, Anreize zur Kooperation mit Behörden und Regelungen zu internen Untersuchungen: Heiner Hugger und David Pasewaldt erläutern, wie die Große Koalition Wirtschaftskriminalität bekämpfen will.
Der Koalitionsvertrag sieht neben verschiedenen anderen Neuerungen für die Justiz eine umfassende Neuregelung des Sanktionsrechts für Unternehmen vor. Damit sollen bei Rechtsverstößen nicht nur einzelne Mitarbeiter, sondern auch die Unternehmen selbst schärfer sanktioniert werden.
Bisher sieht das deutsche Recht eine Ahndung von Unternehmen für betriebsbezogene Straftaten von Leitungspersonen durch Unternehmensgeldbußen oder Einziehungsanordnungen vor. Unternehmensgeldbußen können derzeit im Einzelfall bis zu 10 Mio. Euro betragen oder diesen Betrag auch übersteigen, soweit es zur Abschöpfung eines höheren wirtschaftlichen Vorteils erforderlich ist. Eine Bemessung von Unternehmensgeldbußen anhand des jährlichen Unternehmensumsatzes ist bisher nur bei Verstößen gegen das Kartellrecht (bis zu 10 Prozent), das Kapitalmarktrecht (bis zu 15 Prozent) sowie gegen Geldwäschevorschriften (10 Prozent) möglich. Ferner soll das ab Mai 2018 auch bei bestimmten Verstößen gegen die EU-Datenschutzgrundverordnung (bis zu 4 Prozent) gelten.
Darüber hinaus ermöglichen das deutsche Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht eine Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile, die Unternehmen durch Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten erlangt haben, durch Einziehungsanordnungen. Zu diesem Zweck können Verfolgungsbehörden schon im Ermittlungsverfahren Vermögenswerte bei Unternehmen sicherstellen und ordnet ein Gericht später ihre Einziehung zugunsten der Staatskasse an.
Die von der Großen Koalition beabsichtigten Änderungen ähneln den Regelungen verschiedener Initiativen aus den vergangenen Jahren, dazu gehören insbesondere der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden (Verbandsstrafgesetzbuch) des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2013 und der im Dezember 2017 vorgestellte Kölner Entwurfs eines Verbandssanktionengesetzes der Forschungsgruppe Verbandsstrafrecht an der Universität Köln.
Das Bundesjustizministerium arbeitete in der vergangenen Legislaturperiode bereits an einem vergleichbaren Entwurf, der unter einer erneuten großen Koalition nun in das Gesetzgebungsverfahren gelangen soll. Offenbar soll die Regelung im Koalitionsvertrag den Weg für diesen Entwurf bereiten.
Konkrete Vorgaben, wann die Behörden einschreiten müssen
Nach dem Koalitionsvertrag sollen Behörden künftig verpflichtet sein, Unternehmen bei einschlägigen Verstößen zu verfolgen und zu sanktionieren. Gegenüber der aktuellen Rechtslage bei Unternehmensgeldbußen würde das eine Verschärfung bedeuten. Bisher liegt es im Ermessen der Behörden, ob und in welcher Höhe ein Unternehmen sanktioniert wird oder ob ein Ermittlungsverfahren ohne eine Sanktion gegen das Unternehmen eingestellt wird.
Als Ausgleich für diesen beabsichtigten Verfolgungszwang sollen nach dem Willen der Regierungsparteien zugleich "spezifische Regelungen über Verfahrenseinstellungen" geschaffen werden, um der Justizpraxis die notwendige Flexibilität in der Verfolgung einzuräumen.
Der Koalitionsvertrag lässt den konkreten Inhalt solcher Vorschriften offen. Doch ist zu erwarten, dass von einer Verfolgung und Sanktionierung von Unternehmen künftig nur noch unter klar definierten, engeren Voraussetzungen abgesehen werden könnte.
Nach dem Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuchs des Landes Nordrhein-Westfalen sollte dabei etwa berücksichtigt werden, ob das Unternehmen durch freiwilliges Offenbaren zur Aufdeckung von Gesetzesverstößen beigetragen, mit den Ermittlungsbehörden kooperiert und ausreichende Compliance-Maßnahmen getroffen hat, um vergleichbare Gesetzesverstöße in Zukunft zu vermeiden.
Höhere Geldsanktionen– und "naming und shaming"?
Bei Unternehmen mit einem (Jahres-)Umsatz von mehr als 100 Mio. Euro soll die Höchstgrenze für Geldsanktionen künftig allgemein bei 10 Prozent des Umsatzes liegen, was gegenüber dem derzeitigen allgemeinen Höchstbetrag für Unternehmensgeldbußen von 10 Mio. Euro ebenfalls eine deutliche Verschärfung darstellen würde. Legt man etwa die Umsätze der 30 deutschen DAX-Unternehmen aus dem Jahr 2016 zugrunde, die zwischen ca. 2,4 Mrd. Euro und ca. 217 Mrd. Euro lagen, könnten gegen diese Unternehmen in Zukunft Sanktionen in Höhe zwischen ca. 240 Mio. Euro bis ca. EUR 21,7 Mrd. festgesetzt werden.
Zudem sind nach dem Koalitionsvertrag "konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmensgeldsanktionen" geplant. Ferner sollen "weitere Sanktionsinstrumente" geschaffen werden, wobei bisher nicht bekannt ist, um welche weiteren Sanktionen es sich dabei konkret handeln könnte.
Der Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuchs des Landes Nordrhein-Westfalen sah als Ultima Ratio allerdings auch eine zwangsweise Zerschlagung von Unternehmen vor. Dem internationalen Trend eines so genannten "naming and shaming" folgend ist schließlich auch beabsichtigt, verhängte Sanktionen auf geeignetem Weg öffentlich bekannt zu machen, wie es derzeit schon bei Unternehmenssanktionen im Kapitalmarktrecht vorgesehen ist.
Zugriff auf Unterlagen zu internen Untersuchungen
Außerdem sollen für Unternehmen Anreize gesetzt werden, durch interne Untersuchungen (Internal Investigations) und eine anschließende Offenlegung daraus gewonnener Erkenntnisse gegenüber Verfolgungsbehörden zur Aufklärung beizutragen. Zwar berücksichtigen Behörden und Gerichte eine Kooperation und Selbstanzeigen von Unternehmen bei der Entscheidung über Unternehmenssanktionen und deren Höhe in der Praxis schon jetzt und werden interne Untersuchungen von der Justiz zunehmend erwartet oder Unternehmen und ihren Beratern nahegelegt.
Doch bisher fehlen klare Vorgaben dazu in Deutschland – anders als etwa in den USA, wo Unternehmen nach einer vom US-Justizministerium (Department of Justice) im November 2017 veröffentlichen neuen Richtlinie bei einer freiwilligen Offenbarung von Korruptionsverstößen mit einem Strafnachlass von bis zu 50 Prozent rechnen können.
Schließlich wollen Union und SPD gesetzliche Vorgaben zu internen Untersuchungen schaffen, insbesondere zur Beschlagnahme von Unterlagen und Durchsuchungsmöglichkeiten. Die geplante Reform des Rechts der Unternehmenssanktionen ist insoweit auch vor dem Hintergrund mehrerer beim Bundesverfassungsgericht anhängiger Verfahren zu sehen: Die Staatsanwaltschaft München II hatte im Zusammenhang mit der sogenannten Diesel-Affäre die Räume der Kanzlei Jones Day durchsucht und Unterlagen zu einer internen Untersuchung beschlagnahmt.
Es bleibt zunächst abzuwarten, wann und wie die neue Bundesregierung diese umfangreichen angekündigten Änderungen konkret in einem Gesetzentwurf umsetzen wird. Unternehmen müssen jedoch künftig mit höheren Sanktionen rechnen und sollten deshalb stets umso sorgfältiger erwägen, welche Compliance-Maßnahmen, interne Untersuchungen zu Verdachtsfällen und möglicherweise Offenlegung von Untersuchungsergebnissen sich empfehlen, um eine Sanktionierung zu vermeiden oder zumindest zu mildern.
Der Autor Dr. Heiner Hugger, LL.M. ist Fachanwalt für Strafrecht und Partner, der Autor Dr. David Pasewaldt, LL.M. Counsel im Frankfurter Büro von Clifford Chance.
Heiner Hugger, Koalitionsvertrag: . In: Legal Tribune Online, 13.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27009 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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