Das stumpfe Schwert der Immunität: UN lässt eigenen Richter hängen

Gastbeitrag von Dr. Eike Fesefeldt

30.07.2018

Aydin Sefa Akay war bis zu seiner Festnahme in der Türkei mehr als zehn Jahre Richter an Gerichten der UN und genoss völkerrechtliche Immunität. Dabei handelt es sich anscheinend um ein völlig stumpfes Schwert, meint Eike Fesefeldt.

Eventuell hat sich Aydin Sefa Akay am 21. September 2016 noch Minuten vor seiner Festnahme durch die Polizei in seinem türkischen Haus sicher gefühlt. Schließlich war der heute 67-Jährige über mehr als zehn Jahre hinweg Richter an verschiedenen Gerichten der Vereinten Nationen (UN) tätig gewesen und genoss deshalb völkerrechtliche Immunität. Zuvor arbeitete er Jahrzehnte als Rechtsanwalt, bis er von 2003 bis 2012 zum Richter am Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda berufen wurde. Danach gehörte er dem "Mechanismus für die UN-Tribunale zu Ruanda und Ex-Jugoslawien" (MICT) an.

Dies ist ebenfalls ein Gericht der UN und basiert auf der Resolution 1966 des Sicherheitsrats. Nach Schließung der Internationalen Gerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda soll der MICT noch nicht gefasste Kriegsverbrecher verurteilen oder Rechtsmittel in schon abgeurteilten Verfahren entscheiden. Als Richter verurteilte Akay etwa den ruandischen Völkermörder Jean-Baptiste Gatete zu lebenslanger Freiheitsstrafe.

Nach dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 – der angeblich durch die Gülen-Bewegung initiiert wurde – geriet Akay selbst in das Visier der Justiz. Schließlich wurde er – nachdem auf seinem Handy eine App gefunden wurde, die angeblich Beteiligte des Putsches zur Kommunikation nutzten und zudem in seiner privaten Bibliothek ein Buch aus der Feder von Gülen sichergestellt wurde – am 21. September 2016 von der türkischen Polizei festgenommen. Akay bestreitet vehement, sowohl in den Putschversuch involviert zu sein noch Verbindung zur Gülen-Bewegung zu haben. Auch wurde schnell von vielen Seiten auf seine diplomatische Immunität als UN-Richter hingewiesen und darauf, dass er zu dieser Zeit auch tatsächlich als Berufungsrichter des MICT agierte.
Er wurde dennoch im Juni 2017 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und anderer Vorwürfe zu sieben Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.

Bescheidene Reaktion der Vereinten Nationen

Wer eine Geschichte lesen möchte, in welcher die UN mit all ihren Möglichkeiten (etwa durch scharfe Sanktionen oder dem – zeitigen – Ausschluss türkischer Vertreter aus der UN-Generalversammlung) dafür gekämpft hat, ihrem Mitarbeiter sein Recht auf diplomatische Immunität zu gewährleisten, sollte nicht weiterlesen. Die Reaktionen fielen bescheiden aus.

Erst Anfang 2017 teilte die Rechtsabteilung der UN im Namen des Generalsekretärs den türkischen Behörden mit, dass Akay diplomatische Immunität genieße und er sofort freigelassen und das Strafverfahren gegen ihn eingestellt werden müsse. Am meisten Mühe gab sich in dieser Angelegenheit noch der Gerichtspräsident des MICT: Richter Theron Meron. Auch dieser forderte in einem – grundsätzlich für die Türkei völkerrechtlich bindenden – Gerichtsbeschluss vom 31. Januar 2017, Akay freizulassen und setzte eine Frist bis Mitte Februar.

Nachdem die Frist ergebnislos verstrich, leitete Meron den Sachverhalt förmlich am 9. März 2017 an den Sicherheitsrat der UN weiter. Die Sache Akay wurde anscheinend auch auf die Berichtsliste für das Treffen des UN-Sicherheitsrats im Juni 2017 gesetzt, eine Reaktion ist aber nicht bekannt. Es wurde – soweit ersichtlich – nicht einmal ein offizielles Presseschreiben veröffentlicht. Alleine der Sprecher des Generalsekretärs verkündete am 15. Juni 2017, dass man über die Verurteilung von Akay Bescheid wisse und man sich bemühe, aber bislang auch keine Abschrift des Urteils gegen Akay habe.

Auf türkischer Seite ergab sich immerhin die Reaktion, dass Akay – nachdem er Rechtsmittel zum Kassationshof eingelegt hatte – vorläufig freigelassen wurde, die Türkei aber bis heute nicht verlassen darf.

Diplomatische Immunität

Die Rechtslage ist ersichtlich eindeutig. Art. 29 Nr. 2 des Resolution 1966 des UN-Sicherheitsrat aus dem Jahr 2010 bestimmt: "Die Richter des Mechanismus genießen bei der Wahrnehmung der Geschäfte des Mechanismus dieselben Vorrechte und Immunitäten sowie Befreiungen und Erleichterungen." Nach Art. 29 Nr. 1 dieser Resolution bezieht sich dies auf das "Übereinkommen vom 13. Februar 1946 über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen". Abschnitt 11 dieses Übereinkommens gewährt UN-Mitarbeitern weitreichende Immunität, insbesondere auch solche vor Festnahme oder Haft.

Auch die Gründe für diese Immunität sind schnell erläutert: Internationale Richter müssen besonders geschützt sein, da sie Ziele ganzer Staaten sein können, wenn es darum geht, ihre Entscheidungen zu beeinflussen. Auch wenn es sicher Schutzmechanismen gegen solche Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit gibt, dürften internationale Richter gar nicht erst Angst haben müssen, während ihrer Amtszeit strafrechtlich verfolgt zu werden. Zu schnell kann es geschehen, dass die Strafverfolgung rein politisch motiviert ist.

Interessanter- oder eher ironischerweise war die Türkei im Jahre 2010 Mitglied des UN-Sicherheitsrats und hatte für die Akay Immunität gebende Resolution 1966 gestimmt. Ebenfalls ist interessant oder ironisch, dass die Türkei dem "Übereinkommen vom 13. Februar 1946 über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen" schon im Jahre 1950 beigetreten ist.

Soweit ersichtlich hat die Türkische Republik bis heute offiziell auch nicht bestritten, dass Akay politische Immunität genießt. Obwohl vom MICT zweimal dazu aufgefordert, gaben türkische Offizielle nicht einmal eine Stellungnahme ab und erschienen auch nicht zu einem von Richter Meron anberaumten mündlichen Verhandlungstermin über die Frage, ob Richter Akay Immunität genieße. Auch die Aufforderung des Generalsekretärs der UN blieb – soweit ersichtlich – unbeantwortet. Alleine der türkische Justizminister Bekir Bozdağ stellte in einem Interview ohne weitere rechtliche Begründung heraus, dass es kein völkerrechtliches Dokument geben würde, welches Akay Immunität geben würde. Man müsste nur einmal hinschauen.

Verlust des Richteramts

Zwar übte Akay sein Richteramt offiziell seit Juni 2017 wieder aus, da er aber nicht nach Den Haag reisen durfte, konnte er dies tatsächlich jedoch nicht. Auf Hilfe der Vereinten Nationen sollte Akay eher nicht mehr hoffen.

Eines hat dieser Fall deutlich gezeigt: Kein UN-Mitarbeiter, nicht einmal ein UN-Richter darf auf die Hilfe des Generalsekretärs, der UN-Vollversammlung oder des Sicherheitsrats bauen, wenn er trotz seiner diplomatischen Immunität verhaftet werden sollte. Keine dieser Institutionen wird tatsächliche Maßnahmen einleiten. Auch wenn dies feierlich vereinbart worden ist, haben sie keinen tatsächlichen Schutz vor Festnahme, Anklage, Verurteilung und am Ende Verlust ihres Richteramts.

Im Juni 2018 hätte die Wiederernennung von Akay als UN-Richter stattfinden können. Aufgrund des anhaltenden Drucks der türkischen Regierung – wie Richter Meron berichtet – fand diese aber nicht statt. Bei der turnusmäßigen Wiederwahl aller Richter am 29. Juni 2018 berief der UN-Generalsekretär alle gewillten Richter aus der letzten Amtszeit erneut. Der Grund für die Nicht-Wiederernennung von Akay: Er ist ein verurteilter Terrorist.

Der Autor Dr. Eike Fesefeldt ist Staatsanwalt aus Stuttgart.

Zitiervorschlag

Das stumpfe Schwert der Immunität: . In: Legal Tribune Online, 30.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30065 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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