Arbeitgeber können Tariflöhne nicht umgehen, auch wenn sie einem neuen Mitarbeiter nur einen Einstieg in den Beruf ermöglichen wollen. Einen "Anlernvertrag" gibt es nicht. Schließt der Arbeitgeber dennoch einen solchen Beschäftigungsvertrag ab, muss er nachzahlen, so das BAG in einer Entscheidung vom Dienstag. Warum weder edle Motive noch Kreativität vor Nachzahlung schützen.
Was war geschehen? Die Klägerin war zunächst im Rahmen einer Einstiegsqualifizierung zum Ausbildungsberuf der Malerin und Lackiererin bei dem beklagten Arbeitgeber tätig. Nach Ablauf der Einstiegsqualifizierung bot der Arbeitgeber der Klägerin den Abschluss eines Ausbildungsvertrages an. Daran zeigte die Klägerin kein Interesse, da sie nicht zur Berufsschule gehen wollte.
Die Parteien schlossen dann für den Zeitraum von September 2005 bis August 2007 einen "Anlernvertrag" für die Vermittlung von Grundkenntnissen und Fertigkeiten im Maler- und Lackiererberuf zu einer monatlichen Vergütung von 550 Euro – immerhin mehr als die Ausbildungsvergütung, die im ersten Lehrjahr 342 Euro beträgt und dann in den Folgejahren moderat ansteigt.
Mit der Zeit wuchs die Unzufriedenheit der Klägerin, im November 2006 kündigte sie das Vertragsverhältnis fristlos und verklagte den Arbeitgeber auf Zahlung der Differenz zum Mindestlohn nach Tarifvertrag (7,85 Euro), so dass sich eine Summe von fast 12.000 Euro ergab. Der beklagte Arbeitgeber zeigte sich über die Forderung der Klägerin erstaunt: Er habe Maßnahmen ergriffen, um einer ziellosen Jugendlichen den Eintritt in das Berufsleben zu erleichtern beziehungsweise überhaupt erst zu ermöglichen.
Anlernvertrag? Geht nicht weil gibt’s nicht - faktisches Arbeitsverhältnis
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hatte der Klage in Höhe von 3.800 Euro stattgegeben. Lediglich wegen einer zu hohen eingeklagten Stundenzahl und aufgrund einer tariflichen Verfallklausel musste der Arbeitgeber nicht für den vollen Differenzbetrag einstehen.
Dieses Urteil bestätigte nun das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. vom 27.07.2010, Az. 3 AZR 317/08 – noch nicht veröffentlicht). Eine Ausbildung für einen anerkannten Ausbildungsberuf sei nur im Rahmen der Ausbildungsordnung zulässig und das sei einvernehmlich nicht gewünscht gewesen.
Die Alternative zur Ausbildung stelle allein ein Arbeitsverhältnis dar, ein Anlernvertrag sei wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig. Neben Ausbildungsverhältnis und Arbeitsverhältnis passe keine dritte Form des Beschäftigungsverhältnisses. Das Anlernverhältnis sei wie ein faktisches Arbeitsverhältnis zu behandeln, so dass in diesem Rahmen auch die übliche Vergütung im Rahmen des Tarifmindestlohns zum Tragen komme.
Es blieb also dabei: Der Arbeitgeber muss eine Nachzahlung von über 3.800 Euro leisten.
Fazit für den Arbeitgeber: Kreativität ist im Arbeitsrecht eher unerwünscht. Selbst wenn es aus den hehrsten Motiven heraus abgeschlossen werden soll: Ein Anlernverhältnis lohnt sich nicht. Fangen Sie am besten erst gar nicht damit an.
Der Autor Christian Oberwetter, Rechtsanwalt und Maître en droit, ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und IT-Recht in Hamburg und Verfasser zahlreicher Publikationen auf diesen Gebieten.
Christian Oberwetter, Umgehung von Tarifvertragslöhnen: . In: Legal Tribune Online, 28.07.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1077 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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