Russische Streitkräfte haben die ukrainische Halbinsel Krim wohl weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht. Der Völkerrechtler Hans-Joachim Heintze ordnet den Konflikt juristisch ein und erklärt, warum das humanitäre Völkerrecht (bislang) nicht anwendbar ist. Die Handlungsoptionen der UN hält er für beschränkt – wieder einmal.
Vor dem UN-Sicherheitsrat rechtfertigte Russland am Dienstag den Militäreinsatz mit einer Aufforderung des früheren ukrainischen Präsidenten Janukovish, in der Ukraine die Ordnung wiederherzustellen. Solche Interventionen auf Einladung wurden in der Praxis immer wieder als Rechtfertigung für Gewaltanwendungen vorgebracht, völkerrechtlich akzeptiert werden können sie aber nur, wenn sie von demokratischen Regierungen ausgesprochen werden.
Die Entsendung russischer Truppen widerspricht daher Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta, der die Androhung und Anwendung militärischer Gewalt verbietet. Allein die Entsendung von Truppen, selbst wenn sie bislang keine Kampfhandlungen durchgeführt haben, ist zumindest eine Androhung militärischer Gewalt. Zweifellos ist sie eine massive Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine (Art. 2 Abs. 7 UN-Charta) und verletzt deren territoriale Integrität, eine wichtigen Komponente der Souveränität (Art. 2 Abs. 1 UN-Charta).
Schutz russischer Staatsangehöriger – ein wackeliger Vorwand
Der russische Präsident Putin rechtfertigt sein Vorgehen auch damit, eigene Staatsangehörige auf der Krim schützen zu wollen. In der Tat betrachtet Moskau die russischstämmigen Einwohner der Krim, die 58 Prozent der Bevölkerung auf der Halbinsel ausmachen, als russische Staatsangehörige und hat jüngst 143.000 Einwohnern der Krim russische Pässe ausgestellt. Auch gibt es das Rechtsinstitut der humanitären Intervention zur Rettung eigener Bürger, auf das sich Putin beruft, und wurde bereits von westlichen Staaten verschiedentlich angewendet – so etwa von Deutschland beim Einsatz der GSG 9 in Mogadischu zur Befreiung deutscher Geiseln aus dem entführten Flugzeug "Landshut".
Allerdings müssen tatsächlich schwere Übergriffe auf diese Menschen drohen, die ausländische Regierung sich kooperationsunwillig zeigen und die Intervention verhältnismäßig sein. Die Situation auf der Krim erfüllt keines dieser Kriterien.
Von Bedeutung ist, dass die Krim bis 1954 zur Russischen Föderation gehörte und dann erst im Rahmen der sowjetischen Machtpolitik zur Ukrainischen Sowjetrepublik kam. Seither genießt die Halbinsel einen Autonomiestatus, der nach der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 bestätigt wurde. Allerdings gab es immer wieder Forderungen nach einer Abspaltung. Sie wurden zurückgewiesen, allerdings wurde der Autonomiestatus mit weitgehenden Selbstverwaltungsrechten beibehalten. An der Spitze dieser Verwaltung steht neuerdings ein pro-russischer Premierminister Aksyonov, der am 1. März ebenfalls um russische Hilfe bei der "Sicherung des Friedens" bat. Dieses Hilfeersuchen rechtfertigt allerdings ebenso wie das von Janukovish eine russische Intervention nicht, da es nicht von einer demokratisch legitimierten Regierung kommt. Aksyonov hat vor wenigen Tagen mithilfe von Moskau die Macht auf der Krim übernommen.
Weder ein bewaffneter Konflikt noch eine Okkupation
Das Geschehen wirft die Frage auf, ob es sich um einen "Krieg" handelt und die Rechtsordnung des humanitären Völkerrechts (das sogenannte Kriegsrecht) zur Anwendung kommt.
Nach den gleichlautenden Art. 2 der Genfer Abkommen ist das humanitäre Völkerrecht "in allen Fällen eines erklärten Krieges oder eines anderen bewaffneten Konflikts, der zwischen zwei oder mehreren Hohen Vertragsparteien entsteht, auch wenn der Kriegszustand von einer dieser Parteien nicht anerkannt wird" anwendbar. Während die zwei Parteien auf der Krim leicht zu identifizieren sind – die Ukraine und Russland – ist die Frage nach dem bewaffneten Konflikt schwierig zu beantworten. Voraussetzung sind "bewaffnete Schädigungshandlungen", die allerdings nicht besonders schwer wiegen müssen. Bislang ist keine Waffengewalt gemeldet worden, lediglich Warnschüsse in die Luft.
Eine Okkupation ist dagegen nicht zwingend mit militärischer Gewalt verbunden. Es muss nicht zu einem Widerstand der Streitkräfte des Ziellandes und zu Kampfhandlungen kommen, Art. 2 Abs. 2 Genfer Abkommen. Eine Übernahme der effektiven Kontrolle des Territoriums durch den Besetzerstaat ist dagegen eine notwendige Voraussetzung.
Letzteres haben die russischen Truppen auf der Krim wohl noch nicht getan. Die Halbinsel hat in der Ukraine einen Autonomiestatus, die effektive Kontrolle über das Gebiet übt seit jeher ein Selbstverwaltungsorgan aus. Da diese Autonomiebehörde nun pro-russisch ist, besteht aus der Sicht Moskaus nicht einmal mehr die Notwendigkeit, dass russische Streitkräfte die Kontrolle über die Krim übernehmen.
UN werden sich auf friedliche Maßnahmen beschränken müssen
Das humanitäre Völkerrecht ist (bislang) also nicht auf den Krimkonflikt anzuwenden. Dies sollte es den Parteien erleichtern, nun Mittel der friedlichen Streitbeilegung zu finden. Nach Kapitel VI der UN-Charta zählen dazu Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien, aber auch eine Einschaltung des UN-Sicherheitsrates, der Untersuchungen durchführen und Empfehlungen aussprechen kann.
Ein Rückgriff auf Kapitel VII, der militärische Maßnahmen erlaubt, wäre bei dieser zweifellos gegeben Bedrohung des Friedens zwar angemessen, würde aber schon daran scheitern, dass Russland jeden Beschluss des UN-Sicherheitsrates durch ein Veto verhindern würde.
Damit bestätigt sich einmal mehr, dass der UN-Sicherheitsrat ein politisches Organ ist, das nicht nach rechtlichen Kriterien entscheidet.
Der Autor Prof. Dr. Hans-Joachim Heintze lehrt Völkerrecht am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht (IFHV) der Ruhr-Universität Bochum.
Krim-Konflikt und das Völkerrecht: . In: Legal Tribune Online, 05.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11232 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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