In Paris sind rund 200 Exponate der Morosow-Sammlung mit Werken von Cézanne, Monet, Matisse und Gauguin ausgestellt. Sie gehören russischen Museen. Welchen Einfluss die Sanktionen auf die Kunstwerke haben, erklärt Philipp F. Hardung.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine dauert bereits seit über einem Monat an. Ein Ende dieses Konflikts, der insbesondere der ukrainischen Zivilbevölkerung unermessliches Leid zufügt, ist nicht abzusehen. Als Reaktion auf die fortgesetzten Angriffe der russischen Streitkräfte hat die Europäische Union die seit 2014 bestehenden Wirtschaftssanktionen erheblich ausgeweitet und verschärft.
So wurde beispielsweise kurz nachdem der russische Oligarch Andrey Melnichenko auf die Sanktionsliste der Europäischen Union gesetzt wurde, dessen Segelyacht im Hafen von Triest von italienischen Behörden eingefroren und beschlagnahmt. Bei diesem Schiff handelte es sich um die größte Segelyacht der Welt mit einem Wert von ca. 530 Million Euro. Auch Luxus-Villen russischer Oligarchen sollen in Italien bereits beschlagnahmt worden sein.
Werke der Morosow-Sammlung in Paris
Neben dem Umgang mit russischen Vermögenswerten in Form von Schiffen, Flugzeugen und Villen muss auch über Kunst gesprochen werden: In Paris sind noch bis zum 3. April Gemälde der legendären Morosow-Sammlung ausgestellt. Der Name geht zurück auf die längst verstorbenen russischen Kunstsammler und Brüder Iwan Abramowitsch Morosow und Michail Abramowitsch Morosow. Ihre Sammlung - die Größte von Werken französischer Avantgarde in Russland - beinhaltet rund 200 Meisterwerke der klassischen Moderne, darunter Gemälde von Cézanne, Monet, Matisse und Gauguin.
Unterfallen diese Kunstwerke aus russischen Sammlungen dem Einfriergebot und müssen die russischen Eigentümer die Beschlagnahme fürchten? Müssen diese Meisterwerke jetzt dauerhaft in Frankreich bleiben und in die Verwahrung der französischen Behörden genommen werden oder steht die Kunst – wie der Künstler und Verhüller des Reichstags Christo sagt – über allem?
Sanktionen seit der Annexion der Krim
Dreh- und Angelpunkt der europäischen Wirtschaftssanktionen für die Beantwortung dieser Fragen ist insbesondere die EU-Verordnung Nr. 269/2014, die im Jahr 2014 im Rahmen der Annexion der Krim und Sewastopols erlassen wurde. Die Verordnung soll natürlichen und juristischen Personen, die mit dem russischen Angriffskrieg in Verbindung stehen, die wirtschaftliche Handlungsfreiheit erschweren.
Zur Umsetzung dieses Regelungsziels sieht Artikel 2 Abs. 1 der Verordnung vor, dass sämtliche Gelder und wirtschaftliche Ressourcen, die im Eigentum oder Besitz von den in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen stehen, eingefroren werden. Dieser Anhang wurde seit 2014 laufend ergänzt, ab dem Angriff der russischen Streitkräfte Ende Februar in atemberaubendem Tempo.
Mittlerweile umfasst der Anhang I über 700 natürliche und juristische Personen, unter anderem auch Präsident Vladimir Putin und den russischen Außenminister Sergey Lavrov. Dieser Anhang ist übrigens gemeint, wenn in den Medien von "Sanktionsliste" die Rede ist.
Diese (natürlichen und juristischen) Personen dürfen über Vermögenswerte nicht mehr verfügen, soweit diese für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen verwendet werden können. Die Vermögenswerte dürfen insbesondere nicht vermietet, verkauft, belastet oder anderweitig als Einkommensquelle genutzt werden. Die isolierte Privatnutzung ist aber weiterhin gestattet. Beispiel: Die Segelyacht des Oligarchen Andrei Melnichenko darf also weiterhin im Hafen von Triest liegen, aber nicht mehr verchartert werden.
Einfrieren unmittelbar per Gesetz
Da die Verordnung nach Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar geltendes Recht in jedem Mitgliedstaat ist, werden die Vermögenswerte ex lege (per Gesetz) eingefroren. Der Mechanismus greift also nach europäischem Recht unmittelbar, ohne dass es einer Umsetzung in nationales Recht oder einer zusätzlichen behördlichen Anordnung bedarf.
Auch ob ein Gemälde aus der Morosow-Sammlung dem Einfriergebot unterfällt, richtet sich also allein nach dem Unionsrecht. In sachlicher Hinsicht ist der Anwendungsbereich des Einfriergebots jedenfalls eröffnet. Denn eine wirtschaftliche Ressource im Sinne der EU-Verordnung sind Kunstwerke alle Mal.
Entscheidend ist aber der persönliche Anwendungsbereich. Denn das jeweilige Kunstwerke muss im Eigentum oder Besitz einer der in der Sanktionsliste aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen stehen. Ist das nicht der Fall, kommt das Einfriergebot nicht zur Anwendung. Anders als es bspw. bei der Restitution von Raubkunst der Fall ist, kommt es also nicht auf die Provenienz – d. h. die ursprüngliche Herkunft – des Kunstwerks an, sondern auf die aktuellen Besitz- und Eigentumsverhältnisse. Wie sieht es damit bei der Morosow-Sammlung aus?
Kunstwerke im Staatseigentum – und damit nicht erfasst
Die Kunstwerke wurden bereits 1918 verstaatlicht und über die Jahrzehnte auf öffentliche russische Museen – wie die staatliche Eremitage, das Puschkin-Museum und die Tretjakow-Galerie – aufgeteilt. Die Werke der Morosow-Sammlung sind also Leihgaben öffentlicher Einrichtungen – und diese stehen (noch) nicht auf der Sanktionsliste.
Wie die vergangenen Wochen aber bewiesen haben, ist die Sachverhaltslage dynamisch und ändert sich mitunter von Tag zu Tag. Sollten daher bestimmte Kunstwerke der Morosow-Sammlung im Eigentum von juristischen Personen des öffentlichen Rechts stehen und diese in die Sanktionsliste aufgenommen werden, würden sie automatisch dem Einfriergebot unterfallen.
Französische Regelung zur Unpfändbarkeit
Den in Paris ausgestellten Werken könnte selbst in dem (derzeit noch theoretischen) Fall der Aufnahme von Museen in die Sanktionsliste noch eine besondere Unpfändbarkeitsregelung aus dem französischen Recht zu Hilfe kommen. Nach einem Gesetz aus dem Jahre 1994 sind Kulturgüter ausländischer staatlicher Einrichtungen oder ausländischer öffentlicher Körperschaften, die in Frankreich ausgestellt werden, grundsätzlich unpfändbar.
Die französischen Behörden legen für jede Ausstellung eine Liste fest und bestimmen die Dauer der Unpfändbarkeit. Für die Werke der Morosow-Sammlung besteht eine Unpfändbarkeit derzeit noch. Nach Ansicht einiger französischer Juristen würde diese Unpfändbarkeitsregelung schon einem Einfrieren der Kunstwerke entgegenstehen, selbst wenn deren staatliche Eigentümer auf die Sanktionsliste gesetzt würden.
Ob eine mitgliedstaatliche Regelung allerdings die Anwendung einer EU-Verordnung unterbinden kann, mag man bezweifeln können. Denn schließlich genießt das Unionsrecht gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht Anwendungsvorrang.
Gemälde im Eigentum von Privatpersonen
Anders sieht es bei Kunstwerken aus, die zusammen mit den Gemälden der Morosow-Sammlung ausgestellt werden, aber im Eigentum von Privatpersonen stehen. Heraussticht hierbei ein Selbstportrait des russischen Malers Pjotr Petrowitsch Kontschalowski. Dieses Werk gehört dem russischen Oligarchen Pjotr Olegowitsch Awen, der als einer der engsten Vertrauten von Vladimir Putin auf der Sanktionsliste steht.
Dieses Kunstwerk darf nicht mehr veräußert, vermietet, belastet oder anderweitig als Einkommensquelle genutzt werden. Für den Oligarchen besonders unangenehm: Mit dem Einfrieren geht auch ein Bereitstellungsverbot einher, d. h. das Meisterwerk darf ihm nicht wieder übergeben werden. Das Gemälde wird also so schnell nicht wieder in die Hände von Pjotr Awen fallen; er wird es in absehbarer Zeit nur noch aus der Ferne bewundern können.
Einfrieren ist keine Beschlagnahme
Zu beachten ist allerdings: Das Einfrieren ist nicht gleichbedeutend mit einer Beschlagnahme, d.h. der zwangsweisen Sicherstellung eines Vermögenswerts durch eine staatliche Stelle. Zur Beschlagnahme sind in der Verordnung keine Regelungen enthalten, sodass insoweit das subsidiäre mitgliedstaatliche Recht zur Anwendung gelangt.
Nach deutschem Recht ist eine präventive Beschlagnahme zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass im Hinblick auf den Vermögenswert Sanktionsverstöße begangen werden könnten. Dies zu beurteilen, liegt im Ermessen der zuständigen nationalen Gefahrenabwehrbehörde. In Deutschland wäre das je nach den Umständen des Einzelfalls bspw. der Zoll oder die örtlich zuständige Polizei- oder Ordnungsbehörde.
In Deutschland könnte das Gemälde also beschlagnahmt werden, wenn sich konkrete Anhaltspunkte für ein geplantes außer Landes bringen ergeben (bspw. um es wieder Pjotr Awen zu übergeben). Es ist zu erwarten, dass ähnliche Maßnahmen auch nach französischem Recht zulässig sind.
Dinglicher Arrest bei zivilrechtlichen Ansprüchen
Ähnliche Fragen stellen sich auch bei der Verfolgung und Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche. Denn ist ein Schuldner auf der Sanktionsliste gelandet und verfügt über Vermögenswerte in Deutschland, besteht die Gefahr, dass er diese Vermögenswerte ins Ausland verbringen möchte, um deren Einfrieren und deren Beschlagnahme zu verhindern.
In diesen Fällen entzöge der russische Eigentümer seinen Gläubigern aber auch den Vollstreckungszugriff auf diese Vermögenswerte. Lassen sich für ein derartiges Vorhaben glaubhafte Anhaltspunkte darlegen, kann die Beantragung eines dinglichen Arrestes nach den §§ 916 ff. ZPO zweckmäßig sein, um diese Vermögenswerte für die spätere Vollstreckung zu sichern.
Mit Material von dpa
Der Autor Dr. Philipp F. Hardung ist Counsel bei Hausfeld in Düsseldorf und Berlin. Er ist auf die Vertretung von Unternehmen in sämtlichen wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten spezialisiert und verfügt über besondere Expertise im Bereich der Prozessführung und Streitbeilegung, u. a. in den Bereichen grenzüberschreitende Handelsstreitigkeiten und Corporate Litigation sowie bei bank- und finanzrechtlichen Streitigkeiten. Er vertritt Mandanten auf Kläger- und Beklagtenseite regelmäßig vor deutschen Zivilgerichten (auch im Eilrechtsschutz und in der Vollstreckung).
Ukraine-Krieg: Sanktionen und die Kunstwelt: . In: Legal Tribune Online, 26.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47953 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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