Zum versuchten Uber-Verbot: Bändigt die kalte Effektivität des deutschen Rechtssystems

von Jannis Werner, LL.M.

29.07.2014

2/2: Augenmaß statt roter Ampeln

Überhaupt, das US-amerikanische Recht! Gerne lacht man über absurde und vollkommen veraltete US-Gesetze, welche formal in Kraft sind.

Dabei verbirgt sich hinter dem Verbot des Fluchens ins Michigan oder von außerehelichem Sex in Virginia ein Teil dessen, was Amerika so innovativ macht. Denn – das darf man wohl auch ohne empirische Beweise glauben – in Michigan wird kräftig und unflätig geflucht, und dem außerehelichen Sex aller Geschmacksrichtungen frönen die Einwohner Virginias zweifelsohne in Scharen.

Doch weder die staatlichen Verfolgungsorgane noch die Bevölkerung wollen sich über diese massenweisen Rechtsbrüche so recht empören. Das muss man sich als Deutscher mal vorstellen! Geltendes Recht, Strafrecht gar, und es gereicht den Tätern, den Staatsanwälten und den Bürgern gemeinsam allenfalls als Witz. Das geht, weil gerade die vollziehende Gewalt in den USA auch politisch handelt, mit Raum für Augenmaß.

Perfektion verhindert Innovation: das deutsche Rechtssystem

Es wird nach alledem nicht überraschen, dass die neuen Privattaxis, als sie in Kalifornien mit der hierzulande noch unbekannten Firma Lyft zum ersten Mal richtig Fahrt aufnahmen, kaum legaler waren als Fluchen in Michigan und Sex in Virginia.

Das Personenbeförderungsrecht von Kalifornien war dem deutschen in seinen Grundzügen sogar ziemlich ähnlich. Selbstverständlich reagierten auch dort jene, die vom Status Quo profitierten, mit Versuchen, Lyft auf dem Rechtsweg loszuwerden.

Auch in Kalifornien gab es Drohungen, Pressemitteilungen, Strafen, ein Hin und Her. Doch anders als hierzulande fanden sich kein Wille und kein Weg, Lyft aus dem Verkehr zu ziehen, bevor sich seine Vorteile unter den Bewohnern der Stadt verbreitet hatten. Anders als in Hamburg sah die Stadtverwaltung gemeinsam mit ihren Bürgern, sah schließlich auch die für Personenbeförderung zuständige Behörde des Staats Kalifornien die positiven Effekte dieser Innovation. Statt zu verbieten setzten sich letzten Endes alle an einen Tisch und fanden eine echte Lösung. Kalifornien wurde zum ersten Staat der USA, der Gefahren und Nutzen von Plattformen nach Art von Uber. Lyft und WunderCar ergebnisoffen abwog und sie auf dieser Grundlage vernünftig regulierte.

In Deutschland fehlen die Ineffektivitäten, die Schlupflöcher für Neues, die Flexibilität des Politischen, die dem US-amerikanischen System immanent sind. Das kann man kaum ändern, und das ist in vielerlei Hinsicht ja auch gut so. Im Vergleich steht das deutsche Rechtssystem der Innovation dadurch aber schon strukturell entgegen.

Die kalte Effektivität des deutschen Rechtssystems bändigen

Was also können wir dennoch anders machen, was von den Amerikanern lernen? Dass man auch bei uns ein Verwaltungsverfahren langsamer und weniger konfrontativ gestalten kann, zeigt sich schon daran, dass WunderCar und Uber zwar in mehreren deutschen Städten aktiv sind, man von Verfolgungsmaßnahmen der Behörden aber bislang nur aus Hamburg hört.

Zunächst einmal sollten wir also lernen, uns nicht so zu verhalten, wie die Stadt Hamburg es gerade tut. Auch in unserem gnadenlos effektiven Rechtssystem gibt es schließlich Möglichkeiten, sich nicht gleich mit Eifer auf alles zu stürzen, was materiellrechtlich nicht passt. Man kann sich die Arbeit machen, neue Geschäftsideen zu verstehen und sie politisch zu bewerten, statt sie gleich einem Vollzugsautomaten zu verbieten.

Manchmal geben gar schon bestehende Ausnahmetatbestände und Sondergenehmigungen Gelegenheit, überhaupt erst zu erleben, ob und wie sich eine innovative Idee in der Praxis bewährt. Das Personenbeförderungsrecht kennt übrigens so eine Möglichkeit. Es stellt sie ins Ermessen der örtlichen Behörden: Gemäß § 2 Nr. 7 des Personenbeförderungsgesetzes können "zur praktischen Erprobung neuer Verkehrsarten" Ausnahmen gewährt werden. Der Gesetzgeber wird sich etwas dabei gedacht haben.

Niemand erwartet, dass hierzulande jemals ein Fung Wah entstehen kann. Wenn wir die kalte Effektivität des deutschen Rechtssystems aber gar nicht zu bändigen wissen und weiterhin auch gesellschaftlich jedes freche, querdenkerische Unternehmen gebetsmühlenartig als Bande von steuerhinterzieherischen Rechtsbrechern abstempeln, wenn wir uns auch im Wirtschaftsleben verhalten wie der selbsternannte Volkserzieher an der roten Ampel – dann dürfen wir uns nicht wundern, dass deutsche Marken und Unternehmen nicht mehr den Ton angeben in einer Welt, in der Innovation immer weniger reine Ingenieurskunst und immer mehr gesellschaftlicher Wandel ist.

Der Autor Jannis T. Werner, LL.M. (Harvard) ist in Deutschland und in den USA als Rechtsanwalt zugelassen. Er berät vor allem junge Unternehmen und Startups und begleitete die Startphase des umstrittenen Hamburger Ridesharing-Unternehmens WunderCar als dessen Legal Counsel.

Zitiervorschlag

Jannis Werner, Zum versuchten Uber-Verbot: . In: Legal Tribune Online, 29.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12716 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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