Abbildung von Verbrechensopfern: Wie die Medien Tuğçe zum zweiten Mal opfern

von Markus Kompa

09.12.2014

Das Schicksal von Tuğçe Albayrak bewegt und empört die Nation. Selbst öffentlich-rechtliche Medien publizieren private Fotos aus den glücklichen Tagen der getöteten Studentin, nicht nur die Bild-Zeitung feiert sie als Heldin. Dabei veröffentlichte das Boulevard-Blatt sogar ein Überwachungsvideo vom Tathergang. Das verstößt nicht nur gegen den Pressekodex, meint Markus Kompa.

Die ganze Nation kennt Tuğçe und ihr in die Kamera lächelndes Gesicht, seit die Studentin vor einer McDonald's-Filiale in Offenbach von einem Jugendlichen so brutal zusammen geschlagen worden sein soll, dass sie an ihren Verletzungen verstarb. Zuvor soll die 22-jährige versucht haben, zwei vom mutmaßlichen Täter belästigten Mädchen zu helfen.

Die Bildberichterstattung über erkennbare Personen bedarf grundsätzlich der Einwilligung des Abgebildeten. Dies ist als Sonderpersönlichkeitsrecht eigens in § 22 Kunsturheberrechtsgesetz (KUG) geregelt.

Einem unwidersprochen gebliebenen Bericht von BILDblog zufolge haben sich Medien bei ihrer Berichterstattung über die Lehramtsstudentin jedoch eigenmächtig aus Facebook bedient. Dort hatte Tuğçe die Bilder vermutlich selbst eingestellt und damit insoweit in die Veröffentlichung eingewilligt.

Presseorgane können daraus jedoch keine Abdruckrechte herleiten. Zwar lassen sich Social-Media-Dienste in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen umfassende Nutzungsrechte an eingestellten Inhalten einräumen, die häufig auch das Recht zur Weiterlizenzierung gegenüber Dritten beinhalten. Derartig weitreichende Konstruktionen sind jedoch mit dem deutschem Urheber- und Persönlichkeitsrecht regelmäßig nicht vereinbar, da der Betreffende sich über die Reichweite der Rechtseinräumung nicht bewusst ist.

§ 22 KUG sieht bei Verstorbenen den Übergang der Zuständigkeit für die Einwilligung für einen Zeitraum von 10 Jahren auf die Angehörigen vor.

Porträt-Bilder: Zeitgeschichtliches Interesse der Öffentlichkeit?

Und dennoch dürfte die Abbildung etwa der diversen nun bekannten Portraitfotos auch ohne die Einwilligung von Tuğçes Familie zulässig sein. Ausnahmsweise ist eine Einwilligung des Abgebildeten entbehrlich, wenn über ein zeitgeschichtliches Ereignis berichtet wird und das Berichtsinteresse der Öffentlichkeit die berechtigten Interessen des Abgebildeten überwiegt. Zulässig ist in solchen Fällen insbesondere auch die Illustration mit einem Portraitfoto der Person, soweit dies nicht in Bezug auf das berichtete Ereignis verfälschend wirkt.

Die zuvor unbekannte Tuğçe Albayrak wird nicht schon durch die Gewalttat zur sogenannten Person der Zeitgeschichte, über welche berichtet werden darf. Auch Opfer spektakulärer Straftaten und Unglücksfälle stehen unter dem Schutz des Persönlichkeitsrechts, da sie sich nicht freiwillig in die Öffentlichkeit begeben haben.

Ein hohes Interesse der Öffentlichkeit, welches das Persönlichkeitsrecht überwiegen kann, können allerdings intensive Reaktionen in der Bevölkerung begründen. Der Name "Tuğçe" ist inzwischen praktisch jedem in Deutschland ein Begriff. Es spricht viel dafür, dass die Öffentlichkeit ein legitimes Interesse - auch an Bildberichten - über die Frau hat, welche dieser Tage als Symbolfigur für Zivilcourage steht und breite Verehrung erfährt.

Der Mut der 22-jährigen erfuhr während der beiden Wochen ihres dramatischen Todeskampfes in vielfacher Hinsicht weitreichenden Respekt. Die tiefe Betroffenheit vieler Menschen, Mahnwachen und Kundgebungen waren auch in ausländischen Medien Thema. Der Bundespräsident prüft derzeit auf Vorschlag des hessischen Ministerpräsidenten die posthume Verleihung des Bundesverdienstkreuzes.

Eine Einstufung als zeitgeschichtliches Ereignis entbindet jedoch nicht vom Urheber- bzw. Leistungsschutzrecht der jeweiligen Fotografen. Wer auch immer die Fotos gemacht hat, die Tuğçe auf ihrer Facebook-Pinnwand veröffentlicht hat, könnte also  Unterlassung und eine Vergütung wegen eigenmächtiger Nutzung der Bilder verlangen.

Zitiervorschlag

Markus Kompa, Abbildung von Verbrechensopfern: . In: Legal Tribune Online, 09.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14053 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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