Thilo Sarrazin und die SPD: Hohe Hürden für den Parteiausschluss

von Dr. Sebastian Roßner

02.09.2010

Die SPD möchte das Problem Thilo Sarrazin loswerden. Doch stellt sich dieses Vorhaben als schwierig heraus, denn den Genossen stehen zahlreiche rechtliche Hürden im Weg. Sebastian Roßner über den Ablauf des Parteiausschlussverfahrens und die Erfolgsaussichten im Fall Sarrazin.

Thilo Sarrazin prangt auf allen Titelseiten, wird auf allen Kanälen gesendet. Es ist lange her, dass die Äußerungen eines aus der aktiven Politik ausgeschiedenen Politikers solches Aufsehen erregt haben. Und dabei hatte erst im März die Berliner Landesschiedskommission der SPD den  Bundesbanker zur Vorsicht gemahnt bei künftigen Äußerungen zu heiklen Themen wie der Integration von Immigranten.

Bereits damals war ein Parteiausschluss Sarrazins beantragt worden. Aber die für einen Ausschluss zuständige Schiedskommission kam zu dem Ergebnis, die SPD müsse solche provokanten Äußerungen aushalten und beließ es bei der Ermahnung.

Spannungsverhältnis zwischen innerparteilicher Demokratie und Geschlossenheit

Zwei verfassungsrechtliche Prinzipien bestimmen den rechtlichen Hintergrund des Parteiausschlussverfahrens: Die innere Demokratie und die Tendenzfreiheit der Parteien.

Anders als die Verfassungen vieler europäischer Staaten oder etwa der USA weist das Grundgesetz den politischen Parteien in Art. 21 eine Aufgabe zu: Sie "wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit". Ihre Struktur soll dabei "demokratischen Grundsätzen" gehorchen. So sind die Parteien in der Konzeption des Grundgesetzes zunächst Instrumente der politischen Einflussnahme ihrer Mitglieder. Diese genießen entsprechende demokratische Mitbestimmungsrechte innerhalb der Partei.

Vor allem bei Wahlen benötigen Parteien jedoch die Unterstützung der Bürger, um politischen Einfluss zu gewinnen. Sie konkurrieren miteinander um die Gunst der Bürger. Ein solcher Parteienwettbewerb ist von der Verfassung vorgesehen und gewollt. Um wettbewerbstauglich zu sein, müssen Parteien dabei ein gewisses Maß an innerer Geschlossenheit herstellen können. Teil ihres besonderen verfassungsrechtlichen Status‘ ist daher die Tendenzfreiheit, das heißt die Freiheit, Parteimitglieder auf bestimmte politische Tendenzen, Grundüberzeugungen und Ziele festzulegen.

Zwischen den beiden Polen von innerparteilicher Demokratie und Tendenzfreiheit bewegt sich das Parteiausschlussverfahren. Zur Herstellung innerer Geschlossenheit benötigen Parteien den Ausschluss, um sich notfalls von politischen Häretikern trennen zu können.

Ausschluss nur bei Verletzung von Satzung, Grundsätzen oder Parteiordnung

Jedoch darf der Ausschluss nicht zu leicht fallen. Er kann sonst zum Herrschaftsinstrument der Parteiführung und damit zu einer Gefahr für die innerparteiliche Demokratie werden. Das Parteiengesetz macht daher für den Ausschluss strenge inhaltliche Vorgaben und trifft entsprechende Verfahrensvorkehrungen.

Die zentrale Norm ist § 10 Abs. 4 PartG: Ein Mitglied kann danach nur ausgeschlossen werden, wenn es bestimmte Schutzgüter in qualifizierter Weise verletzt und dadurch für die Partei einen schweren Schaden verursacht. Schutzgüter sind die Satzung, die Grundsätze und die Ordnung der Partei.
Der Satzungsbegriff entspricht demjenigen des sonstigen Vereinsrechts.
Mit Ordnung sind alle Verhaltensregeln gemeint, die eingehalten werden müssen, damit eine Partei funktionieren kann. Dies betrifft sowohl angemessene Umgangsformen innerhalb der Partei als auch die Solidarität mit der Partei nach außen.

Ein prominentes Beispiel für einen Ordnungsverstoß bot der ehemalige sozialdemokratische Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement, als er kurz vor der hessischen Landtagswahl 2008 in einem Interview nahelegte, nicht die SPD zu wählen. Clement wurde zunächst ausgeschlossen, allerdings erkannte die Bundesschiedskommission letztinstanzlich nur auf eine Rüge.

Die Grundsätze der Partei wiederum betreffen ihr politisches Glaubensbekenntnis, wie es vor allem im Parteiprogramm niedergelegt ist. Wegen eines Grundsatzverstoßes wurde etwa der damalige Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann 2004 aus der CDU ausgeschlossen. Ihm wurde zur Last gelegt, sich in einer öffentlichen Rede antisemitisch geäußert zu haben. Darin, so das Bundesparteigericht der CDU, liege ein Verstoß gegen den in der Union geltenden Grundsatz der Ablehnung jeglichen rassistischen oder antisemitischen Gedankengutes.

Verstoß ist nicht gleich Verstoß

Satzungsverstöße führen gem. § 10 Abs. 4 ParteiG nur bei Vorsatz zu einem Parteiausschluss. Bei Ordnungs- und Grundsatzverstöße reicht aus, wenn diese "erheblich" sind. Die Bewertung richtet sich dabei sowohl nach den Umständen des Verstoßes wie nach der Stellung des Mitglieds innerhalb der Partei. So gelten für Rundfunkinterviews strengere Maßstäbe als für private Äußerungen im Bekanntenkreis. Mitglieder, die in der öffentlichen Wahrnehmung die Partei repräsentieren, müssen sich wiederum sorgfältiger verhalten als einfache Parteimitglieder.

Zuletzt muss der qualifizierte Verstoß einen schweren Schaden für die Partei verursachen. Obwohl ein nachlässiger oder betrügerischer Schatzmeister auch schwere materielle Schäden auslösen kann, wie die NPD am Beispiel ihres damaligen Bundesschatzmeisters Erwin Kemna erfahren musste, liegen die Schäden meist im immateriellen Bereich. Es geht um Größen wie den innerparteilichen Zusammenhalt, die politische Durchsetzungsfähigkeit oder das Ansehen der Partei. Messen lässt sich ein derartiger Schaden nicht. Man ist daher auf plausible erfahrungsgestützte Schätzungen angewiesen.

Wer befugt ist, ein Parteiausschlussverfahren einlzuleiten, legen die Parteisatzungen fest. In der SPD etwa können alle Parteigliederungen sowie der Bundesvorstand einen entsprechenden Antrag stellen. Bei der Antragstellung gilt kein Legalitätsprinzip. Sie liegt vielmehr im freien Ermessen der zuständigen Stellen, die dabei vor allem Gesichtspunkte der politischen Opportunität berücksichtigen.

Viele aussichtsreiche Verfahren wurden darum nie eingeleitet, so etwa diejenigen gegen Helmut Kohl wegen des Systems der schwarzen Parteikassen (Satzungsverstoß) oder gegen Oskar Lafontaine wegen seiner beißenden publizistischen Kritik an der Politik Gerhard Schröders (Ordnungsverstoß).

Parteischiedsgerichte entscheiden nach Ermessen

Zuständig für den Parteiausschluss sind die Parteischiedsgerichte, welche alle Parteien einrichten müssen (§§ 10 Abs. 5, 14 Abs. 1 ParteiG). Dies sind besondere parteiinterne und weisungsunabhängige Organe zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten. Sie handeln nach Schiedsordnungen, welche ein gerechtes Verfahren gewährleisten müssen. Für Parteiausschlüsse ist zudem die Möglichkeit der Berufung an ein höherrangiges Parteischiedsgericht garantiert. Insgesamt ist das Parteiausschlussverfahren staatlichen Gerichtsverfahren nachgebildet.

Sieht das zuständige Parteischiedsgericht einen qualifizierten Verstoß gegen Satzung, Grundsätze oder Ordnung als gegeben an und erkennt auch auf einen schweren Schaden, kann es über einen Ausschluss nach Ermessen entscheiden. In die Ermessensausübung fließen vor allem Gesichtspunkte der Verhältnismäßigkeit ein. Da das Gericht nicht an die Anträge gebunden ist, kann es auch auf eine mildere Ordnungsmaßnahme als den Ausschluss entscheiden.

Die zuständigen ordentlichen Gerichte können erst angerufen werden, nachdem der innerparteiliche Instanzenzug vor den Parteischiedsgerichten erschöpft ist. Dabei beschränkt sich die Kontrolle eines Parteiausschlusses im Wesentlichen auf die Tatsachenfeststellungen des Parteischiedsgerichts, auf die Einhaltung der gesetzlichen und satzungsmäßigen Verfahren sowie auf die Frage, ob der Ausschluss nicht im übrigen satzungs- oder gesetzeswidrig bzw. grob unbillig ist. Das ordentliche Gericht prüft aber nicht, ob die festgestellten Tatsachen die Voraussetzungen für den Ausschluss erfüllen. Es kontrolliert also nicht die Subsumtion des Parteischiedsgerichts unter § 10 Abs. 4 ParteiG. Begründet wird dies mit dem besonderen grundgesetzlichen Schutz der Partei vor staatlicher Beeinflussung aus Art. 21 GG. Angesichts des eingeschränkten Prüfungsumfangs ist die Einschaltung der staatlichen Gerichte meist nicht aussichtsreich.

Die entscheidende Frage für Sarrazin

Vor diesem rechtlichen Hintergrund stellt sich für einen Parteiausschluss Thilo Sarrazins vor allem eine Frage: Wird die zuständige Schiedskommission – so bezeichnet die SPD-Satzung die Parteischiedsgerichte – die Äußerungen Sarrazins als Grundsatzverstoß werten?

Sicher ist dies der Fall, wenn die Schiedskommission die Äußerungen als rassistisch oder antisemitisch bewertet. An einem Ausschluss führt in dem Fall politisch kaum ein Weg vorbei, zumal sich die beiden übrigen Voraussetzungen des Ausschlusses – Erheblichkeit des Verstoßes und schwerer Schaden – guten Gewissens bejahen lassen. Einiges hängt also von der Auslegung der stark aufgeladenen, aber nicht sehr randscharfen Begriffe des Antisemitismus und des Rassismus ab.

In der Entscheidung vom März hat die Schiedskommission dem Prinzip der innerparteilichen Demokratie zu Sarrazins Gunsten noch Vorrang eingeräumt vor dem Interesse an der Beachtung der Parteilinie. Ob dies nochmals geschehen wird, ist fraglich.

Der Autor Sebastian Roßner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für deutsches und europäisches Parteienrecht an der Heinreich-Heine-Universität Düsseldorf

Zitiervorschlag

Sebastian Roßner, Thilo Sarrazin und die SPD: . In: Legal Tribune Online, 02.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1353 (abgerufen am: 19.11.2024 )

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