Der Bundestag versucht sich in diesen Tagen einmal mehr an einer Regelung der Suizidhilfe, doch das BVerfG hat die Grenzen eng gezogen. Welcher Spielraum bleibt noch und wie gestalten ihn die ersten Entwürfe?
Das Parlament ist in einer Demokratie der Ort, an dem große gesellschaftliche Fragen verhandelt, Entscheidungen getroffen und mitunter schwierige Kompromisse gefunden werden. Dies gilt in besonderem Maße, wenn es um Themen geht, die an das Innerste der menschlichen Sphäre rühren, seine Identität und seine höchstpersönlichen Lebensentscheidungen. Vor einer solchen Aufgabe steht der Bundestag aktuell und doch scheint sein Spielraum auf den ersten Blick gering.
Dabei gilt es nach den Worten der politischen Beteiligten, elementare Fragen zu klären und große Begriffe zu füllen wie etwa Freiheit, Selbstbestimmung und Lebenswert. Denn die Parlamentarier haben sich – nach langer Lähmung durch Corona und den Krieg in der Ukraine – wieder einmal eines seit Februar 2020 schwebenden Themas angenommen, der Suizidhilfe. Damals verwarf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die bis dato geltende Strafbarkeit geschäftsmäßiger Suizidhilfe, seither ist dieser Bereich legislatives Brachland gewesen. Doch nun tut sich etwas.
Enge Vorgaben aus Karlsruhe
Das BVerfG schrieb dem Gesetzgeber damals in selten gesehenem Detailreichtum ins Hausaufgabenheft, was es sich unter einer gesetzlichen Regelung der Suizidhilfe vorstellt. Es geht nicht mehr darum, ob sie generell verboten werden darf, das ist verfassungsrechtlich unzulässig. Ihre Inanspruchnahme darf auch nicht von einer schweren Erkrankung abhängig gemacht werden. Der Gesetzgeber darf sie nur noch mit einem entsprechenden Verfahren absichern. Hierzu gab der Senat konkret vor:
Aufklärung und Beratung könnten absichern, dass die Entscheidung, zu sterben, auch wirklich selbstbestimmt gefasst sei. Auch legte der Senat eine Reform des Betäubungsmittelrechts sowie des Berufsrechts der Ärzte und Apotheker nahe, um einen konsistenten Regelungsrahmen zu gewährleisten.
Es scheint, als bliebe dem Gesetzgeber nun lediglich die Aufgabe, diese Vorschläge des Gerichts umzusetzen – legislativer Ermessensspielraum sieht anders aus, möchte man meinen. Ist die Verabschiedung eines neuen Gesetzes damit am Ende eine bloße Formalie oder gar überflüssig? Behalten am Ende vielleicht jene Stimmen Recht, die vermuten, dass die endgültige Lösung möglicherweise darin bestehen wird, keine Lösung zu finden?
Ein Blick auf die drei Entwürfe, die gegenwärtig im Bundestag zur Beratung liegen, zeigt, dass es durchaus noch Spielräume gibt, die in der Realität vieler Sterbewilliger und Sterbehelfer einen großen Unterschied machen könnten.
Suizidhilfe wieder unter Strafe?
Als erstes wäre da die große Frage: Strafrecht oder nicht?
Das BVerfG hat explizit die Möglichkeit offengelassen, "gefahrträchtige Erscheinungsformen" der Suizidhilfe wieder unter Strafe zu stellen. So sieht es der Entwurf einer Abgeordnetengruppe um den Sozialdemokraten Lars Castellucci vor, dem sich auch Bundesminister aller Couleur wie Hubertus Heil (SPD), Cem Özdemir (Grüne) und Bettina Stark-Watzinger (FDP) angeschlossen haben. Dieser belebt im Wesentlichen den alten Straftatbestand wieder (§ 217 Strafgesetzbuch (StGB)), lässt in einem geplanten neuen Abs. 2 aber die Rechtswidrigkeit entfallen, sofern es sich beim Suizidenten um eine volljährige und einsichtsfähige Person handelt und diese zuvor zwei medizinische Begutachtungen und eine Beratung durchlaufen hat.
Außerdem sieht der Entwurf in einem neuen § 217a einen zusätzlichen Straftatbestand der "Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung" vor. Dieser droht bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe an, wenn jemand um eines Vermögensvorteils willen oder in grob anstößiger Weise für Suizidhilfe wirbt. Ausgenommen sind unter anderem Ärzte und Beratungsstellen, wenn sie auf die Tatsache hinweisen, dass sie oder andere Hilfe zur Selbsttötung leisten. Die Vorschrift erinnert damit ein wenig an § 219a StGB, dessen Streichung die Ampel-Koalition gerade erst beschlossen hat.
Die anderen Entwürfe, jeweils von Abgeordnetengruppen um die Grünen-Abgeordnete Renate Künast bzw. um die FDP-Justizpolitikerin Kathrin Helling-Plahr, die dabei etwa vom Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unterstützt wird, regeln die Suizidhilfe positiv in einem eigenen Gesetz. Verstöße werden hauptsächlich als Ordnungswidrigkeiten behandelt.
Wer Hilfe leisten soll
Auch die Frage, wer als Anlaufstelle für Menschen mit Sterbewünschen dienen soll, dürften in der Praxis einen großen Einfluss darauf haben, wie schnell und unbürokratisch dem Sterbewunsch entsprochen werden wird. Im Wesentlichen stehen zwei Optionen zur Verfügung: eine Verschreibung durch Ärzte oder eine Erwerbserlaubnis durch eine Behörde.
Während das Vorhaben von Castellucci et al. hierzu wenig Worte verliert, zeigen sich die Entwürfe von Künast und Helling-Plahr ambitionierter und entwerfen jeweils ein umfangreiches Regelungsregime zur Umsetzung der Vorgaben des BVerfG. Dabei setzen beide auf ein System staatlich anerkannter Suizid-Beratungsstellen, die Sterbewillige aufsuchen müssen, bevor sie Zugang zu tödlichen Medikamenten erhalten.
Der Helling-Plahr-Entwurf stellt eine großzügige Versorgung mit derartigen Beratungsstellen in den Mittelpunkt seines Konzeptes, setzt daneben primär auf Ärzte als Suizidhelfer und erlaubt ihnen die Verschreibung tödlicher Medikamente, wenn sich eine sterbewillige Person zuvor bei einer solchen Stelle hat beraten lassen und sie außerdem überzeugt sind, dass die Betroffenen eine fundierte und dauerhafte Entscheidung getroffen haben.
Künast et al. sehen dagegen zwei Zugangsvarianten zu tödlichen Medikamenten vor: eine allgemein verfügbare, welche direkt über eine staatliche Stelle läuft, sowie eine Zugangsmöglichkeit über Ärzte, die in medizinischen Notfällen schnelle Hilfe leisten sollen. Sterbewillige können einen Antrag bei einer Behörde stellen und sollen eine Bescheinigung für den Zugang zu einem Suizidpräparat erhalten, sofern sie zuvor zweimal von einer zugelassenen Stelle beraten worden sind und dabei ihre Freiverantwortlichkeit festgestellt wurde. Außerdem müssen sie angeben, warum ihr Sterbewunsch besteht und andere staatliche oder private Hilfsangebote nicht geeignet sind, ihn zu beseitigen.
§ 3 des Künast-Entwurfs sieht unterdessen vor, dass in medizinischen Notlagen, insbesondere solchen, die mit besonders starken Schmerzen verbunden sind, der behandelnde Arzt direkt ein Suizidpräparat verschreiben kann. Dazu erfolgt lediglich eine Begutachtung durch den Arzt und einen zweiten Mediziner, der die Freiverantwortlichkeit bestätigen muss.
Wie lange muss ein Sterbewilliger warten?
Im Übrigen ist für Sterbewillige auch die Karenzzeit von großem Interesse, die zwischen ihrem Wunsch und dessen frühestmöglicher Umsetzung liegen kann. Menschen, die mit ihrem Leben bereits abgeschlossen und diese Entscheidung oftmals bereits für sich und mit ihrer Familie über Wochen oder Monate abgewogen haben, dürfte es mitunter schwer zu vermitteln sein, wenn sie nach ihrem offiziell geäußerten Sterbewunsch allzu lange warten müssten.
Nach dem Castellucci-Entwurf müssen im Mindesten dreieinhalb Monate vergehen, ehe der Suizid schließlich durchgeführt werden darf. In sehr eng umgrenzten Ausnahmefällen mit schwerer Krankheit und bei begrenzter Lebenserwartung lässt der Entwurf eine kürzere Zeit ausreichen. Künast et al. sehen für den allgemeinen Zugang zu Suizidmitteln statt medizinischen Begutachtungen zwei Beratungen vor, zwischen denen mindestens zwei Monate liegen sollen. In Notfällen dauert die ärztliche Verschreibung gut zwei Wochen oder weniger. Helling-Plahr et al. verlangen dagegen grundsätzlich nur eine Beratung, nach der zehn Tage vergehen müssen, ehe ein Arzt ein Sterbemittel verschreiben darf.
Ein weiterer sensibler Punkt ist das Mindestalter für die Inanspruchnahme von Suizidhilfe. Hier trauen sich die Entwürfe von Castellucci und Künast (letztere sogar mit explizit im Entwurf niedergeschriebenen Bedenken) nicht über die Volljährigkeitsschwelle. Der Helling-Plahr-Entwurf dagegen stellt darauf ab, dass der Suizidwillige seinen Sterbewillen frei und unbeeinflusst gebildet hat und die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung vollumfänglich zu erfassen vermag, wovon regelmäßig erst auszugehen sei, wenn er das 18. Lebensjahr vollendet habe. Eine solche Regelvermutung lässt aber immer auch Spielraum für Ausnahmen. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass das zentrale Kriterium der Freiverantwortlichkeit kein klar abgrenzbarer Rechtsbegriff wie etwa die Geschäftsfähigkeit ist, sondern im Kern psychologische Kriterien umschreibt.
Entscheidend ist nach den Vorgaben des BVerfG, dass die betroffene Person die Umstände und Folgen ihres Handelns zutreffend erfassen und beurteilen kann. Dies ändert sich nicht bloß durch einen Geburtstag, weshalb eine harte Altersgrenze einen schweren Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger darstellen kann. Eine reife und aufgeklärte 17-Jährige kann im Einzelfall durchaus kompetenter sein, über ihr Lebensende zu bestimmen, als ein 19-Jähriger mit Entwicklungsdefiziten. Aus diesem Grund haben die Niederlande und Belgien die Sterbehilfe – mit Zustimmung der Eltern – bereits ab 16 legalisiert.
Zwischen Beratung beim Suizid und Überreden zum Weiterleben
Neben diesen harten Faktoren gibt es aber noch eine weiche Komponente, die den Gesetzesvorschlägen mitunter nur auf den zweiten Blick zu entnehmen ist und sich oftmals erst in der praktischen Umsetzung offenbaren wird. Es geht dabei um den Inhalt der vorgeschriebenen Beratungsgespräche. "Das Beratungsgespräch hat vom Grundwert jedes Menschenlebens auszugehen und verfolgt im Übrigen das Ziel, dass den Sterbewilligen alle Umstände und Hilfsangebote bekannt werden, die ihre Entscheidung ändern könnten" schreiben Künast et al. und wählen damit eine Formulierung, hinter der sich viel verbergen kann. Bedeutet "vom Grundwert jedes Menschenlebens auszugehen", einen Sterbewilligen überreden zu wollen, seinen Wunsch fallen zu lassen? Könnte ihm womöglich ein Mitarbeiter der Beratungsstelle ein schlechtes Gewissen einzureden versuchen?
Letzteres klingt im Castellucci-Entwurf etwas deutlicher an, der „mögliche psychologische und physische Auswirkungen eines fehlgeschlagenen Selbsttötungsversuchs sowie soziale Folgen einer durchgeführten Selbsttötung“ mit dem Sterbewilligen erörtert haben will. Ähnlich klingt es im Helling-Plahr-Entwurf, der neben Behandlungsalternativen und Unterstützungs- und Betreuungsangeboten "die Folgen eines Suizides und eines fehlgeschlagenen Suizidversuches für den Suizidwilligen und sein näheres persönliches und familiäres Umfeld" mit dem Sterbewilligen besprechen lassen will.
Ob eine solche "Beratung" der Situation lebensmüder Menschen und ihrem Wunsch nach Hilfe wirklich angemessen ist, dürfte sich erst in der konkreten Umsetzung zeigen, die wiederum maßgeblich von dem damit befassten Berater abhängt. Dementsprechend äußert sich der Verein Sterbehilfe, der selbst Suizidassistenz in Deutschland anbietet, kritisch zu einer solchen Beratungspflicht und attestiert allen drei Entwürfen rundheraus Verfassungswidrigkeit.
Wie vielen Menschen in der Praxis die nötige Freiverantwortlichkeit attestiert werden würde, bleibt ebenfalls abzuwarten, da vielfach der Wunsch, zu sterben, als typischerweise krankhaft angesehen wird. So hält sich in der Diskussion um die Suizidhilfe seit Jahrzehnten die Vermutung, über 90 Prozent aller Suizide seien unfrei. Dies stützt sich aber oft auf allgemeine Erkenntnisse über Suizide und zieht nicht das spezifische Klientel in Betracht, das sich bewusst für Sterbehilfe entscheidet. Kurzschlusshandlungen dürften in solchen Verfahren weitaus seltener sein, ebenso schwere psychische Störungen.
Castellucci-Entwurf: Strafandrohung und wenig Hilfe
Abseits dessen zeigt sich jedoch eine erhebliche Diskrepanz zwischen den einzelnen Gesetzesvorhaben. Die Suizidhilfe prinzipiell in staatliche Hände legen zu wollen, wie es der Entwurf von Künast et al. tut, entzieht Wohl und Wehe Sterbewilliger zwar der Willkür privater Helfer, die, das betonen alle Beteiligten, keinesfalls zu einer Suizidassistenz verpflichtet werden können. Andererseits dürfte der Weg zu einem vertrauten Arzt für viele Betroffene einfacher und persönlicher sein als der zu einer staatlichen Stelle, die dann ohne Kenntnis der Person zu entscheiden hat. Der Wunsch, Ärzte nur im Notfall entscheiden zu lassen, dürfte von diesen nicht zu Unrecht als Signal des Misstrauens aufgefasst werden.
Der Helling-Plahr-Entwurf verzichtet auf eine starre Altersgrenze und erkennt damit an, dass auch ein 17-Jähriger durchaus in der Lage sein kann, zu beurteilen, ob das Weiterleben noch lohnt. Auch die in diesem Entwurf vorgesehene kurze Karenzzeit darf man als Ausdruck des Respekts vor der autonomen Entscheidung werten, die sich kaum jemand, der sich einem solchen Verfahren unterwirft, leicht gemacht haben wird.
Der Castellucci-Entwurf offenbart sich indes als weniger ambitioniertes Projekt, das nicht primär darauf gerichtet zu sein scheint, der Selbstbestimmung Sterbewilliger zur Verwirklichung zu verhelfen, sondern schlicht die restriktivste Regelung zu finden, die nach dem Urteil des BVerfG noch möglich ist. Bereits der Gedanke, die Freiverantwortlichkeit Sterbewilliger durch eine gegen Dritte gerichtete Strafnorm absichern zu wollen, offenbart die gleiche paternalistische Ausrichtung wie sie dem alten § 217 innewohnte, ebenso wie der "Schutz" vor Suizidhilfe-Werbung.
Leider bringt der Castellucci-Entwurf darüber hinaus wenig mit, um Sterbewilligen wirklich zu helfen. So findet sich kaum ein Wort davon, wie der Staat sicherstellen will, dass Menschen in Not auch wirklich geholfen wird. Beratungsstellen, wie sie die anderen Vorschläge vorsehen, will er gerade nicht einrichten, da sie "weitere konkrete Pflichten des Staates auslösen" und ihn "letztlich für die Ermöglichung des Sterbeverlangens in die Pflicht nehmen" würden. Stattdessen brauche es die generalpräventive Wirkung des Strafrechts. Auch regelmäßige Berichte über die Praxis der Suizidhilfe sieht der Entwurf im Gegensatz zu seinen beiden Konkurrenten nicht vor.
Das Credo des Castellucci-Entwurfs lässt sich damit so zusammenfassen: Der Staat soll mit dem Suizid weiterhin nichts zu tun haben und die Hilfeleistung Privater - soweit nach dem Karlsruher Urteil noch irgend möglich - eindämmen. Gut möglich, dass dieser bereits jetzt prominent unterzeichnete Entwurf am Ende eine breite Unterstützung im Bundestag bekommt. Gut möglich auch, dass er in Karlsruhe im Zweifelsfall standhalten würde.
Es stellt sich aber die Frage, ob dies der Gradmesser sein sollte für ein Gesetz, welches die vielleicht elementarste Entscheidung im Leben eines Menschen absichern soll. Der Spielraum des Gesetzgebers mag nach dem Urteil des BVerfG nicht mehr riesig sein, doch Potential für mehr gibt es allemal.
Bundestag debattiert über Neuregelung der Suizidhilfe: . In: Legal Tribune Online, 28.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48866 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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