Bundestag erhöht Subventionen für Parteien: Ver­fas­sungs­widrig, stillos und schwach begründet

Gastbeitrag von Dr. Sebastian Roßner

18.06.2018

Der Bundestag beschließt außerplanmäßig eine deutliche Aufstockung der staatlichen Parteienfinanzierung. 2019 tritt sie in Kraft. Die Begründung dafür genügt jedoch den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, meint Sebastian Roßner.

Vorweg: Politik benötigt Geld. Das System, nach dem der deutsche Staat die politischen Parteien finanziell fördert, ist ein gutes System. Es gibt in Deutschland keine Parteien, die den Staat okkupieren und ihre Konkurrentinnen von den öffentlichen Geldtöpfen wegbeißen; es gibt keine Immobilientycoone, Medienmogule oder andere Oligarchen, die kraft ihres Reichtums Regierungsämter bekleiden.

Aber die Art, in der die Regierungskoalition jetzt eine saftige Erhöhung der staatlichen Subventionen für die Parteien innerhalb einer Woche einen Gesetzesentwurf durch erste Lesung, Ausschussverfahren inklusive Sachverständigenanhörung, zweite und dritte Lesung gedrückt hat, ist stillos. Mehr noch, der Entwurf verstößt gegen die Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem zweiten Parteienfinanzierungsurteil (Urt. v. 9. April 1992, Az. 2 BvE 2/89, BVerfGE 85, 264 ff.) gemacht hat.

Dazu ein Blick auf die staatliche Parteienfinanzierung seit dem genannten Urteil des BVerfG: Um der Verwurzelung einer Partei in der Gesellschaft und damit dem Gebot der Chancengleichheit der Parteien Rechnung zu tragen, knüpfte das Gericht die Gewährung staatlicher Leistungen an drei Kriterien: An die von einer Partei bei Wahlen errungenen Stimmen, an die von ihr eingeworbenen Spenden sowie an die von ihren Mitgliedern entrichteten Beiträge.

Grenzen der staatlichen Alimentation 

Aus dem Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien, der aus Art. 21 Abs. 1 GG abgeleitet wird, folgerte das BVerfG weiter, dass die Parteien in finanzieller Hinsicht nicht völlig vom Staat abhängig werden dürfen. Daher müssten der staatlichen Alimentation der Parteien zwei Grenzen gesetzt werden: Keine Partei soll mehr öffentliche Mittel erhalten, als sie durch eigenes Bemühen an Spenden, Mitgliedsbeiträgen und sonstigen eigenen Einnahmen selbst erwirtschaftet (relative Obergrenze). Die staatliche Parteienfinanzierung kann dementsprechend höchstens die Hälfte der Einnahmen einer Partei ausmachen. Und zweitens darf die Gesamtsumme der insgesamt vom Staat direkt an alle Parteien zusammengenommen fließenden Mittel ein bestimmtes Niveau nicht übersteigen (absolute Obergrenze).

Diese Grundsätze hat das Parteiengesetz (PartG) in §§ 18 ff. zu einem System verarbeitet, in dem, vereinfacht gesprochen, eine Partei in einem ersten Schritt für jede gewonnene Stimme 0,83 Euro an rechnerischen Ansprüchen gegen die Staatskasse erhält. Hinzu treten 0,45 Euro für jeden Euro an erwirtschafteten Zuwendungen (Spenden und Mitglieds- oder Mandatsträgerbeiträgen) der jeweiligen Partei.

Die so bestimmten rechnerischen Ansprüche der Parteien werden in zwei weiteren Schritten gekürzt, indem erst die relative und dann die absolute Obergrenze angewandt werden. Das funktioniert so: Zunächst werden die rechnerischen Ansprüche jeder einzelnen Partei auf das nach der relativen Obergrenze erlaubte Maß gekürzt, wobei geprüft wird, inwieweit den rechnerischen Ansprüchen nach dem ersten Berechnungsschritt auch selbsterwirtschaftete Mittel der Partei in gleicher Höhe gegenüberstehen. Falls dies nicht der Fall ist, werden die Zuwendungen entsprechend gekürzt. Diese Grenze trifft vor allem solche noch nicht fest organisierten Parteien, die zwar gute Wahlerfolge erzielen, aber bisher vergleichsweise wenige eigene Mittel einwerben können.
Anschließend wird die absolute Obergrenze angewandt. Dafür ist der Betrag der gesetzlich festgesetzten absoluten Obergrenze zu teilen durch die Summe aller Finanzierungsansprüche der Parteien, die sich nach der vorherigen Kürzung durch die relative Obergrenze ergibt.

Mit dem Ergebnis werden dann die nach Anwendung der relativen Obergrenze verbleibenden Ansprüche jeder einzelnen Partei multipliziert, woraus sich der Betrag der jeweils auszuschüttenden Subventionen ergibt: Betrag absolute Obergrenze / Summe der Ansprüche aller Parteien nach relativer Obergrenze = Multiplikator. Dann: Multiplikator x Ansprüche nach relativer Obergrenze = an Partei auszuschüttende staatliche Subventionen. Die absolute Obergrenze trifft vor allem die etablierten Parteien, die über eine breite organisatorische Basis und somit über ein relativ hohes Aufkommen an Spenden und Mitgliedsbeiträgen verfügen.

"Intellektuelle Duldsamkeit" auf harte Probe gestellt

Für die Bemessung der absoluten Obergrenze orientierte sich das BVerfG an den Beträgen, die bis dato an die Parteien geflossen waren. Realistischerweise ließen die Richter dabei sowohl eine regelmäßige Anpassung der absoluten Obergrenze an die Geldentwertung zu als auch eine außerordentliche Erhöhung, falls sich "die Verhältnisse einschneidend geändert haben". Einen solchen Fall nahmen die Verfasser des vom Bundestag mittlerweile verabschiedeten Entwurfs zur Änderung des Parteiengesetzes (BT-Ds. 19/2509) offenbar an, denn sie sahen eine Erhöhung der ohnehin regelmäßig an die Preissteigerung angepassten absolute Obergrenze in einem großen Sprung von derzeit 165 Millionen Euro auf 190 Millionen Euro/Jahr ab 2019 vor.

Der Gesetzentwurf gibt dafür vier Gründe an, von denen der erste die intellektuelle Duldsamkeit des Lesers auf eine harte Probe stellt: Damit die 2015 vom Bundestag im 10. Gesetz zu Änderung des Parteiengesetzes beschlossene Erhöhung der staatlichen Zuschüsse für gewonnene Wählerstimmen und eingeworbene Eigenmittel nicht dadurch "konterkariert" werde, dass die Mittel durch die Anwendung der absoluten Obergrenze gekürzt werden, sei die Obergrenze anzuheben.

Dass es gerade Zweck der absoluten Obergrenze ist, die staatliche Subventionierung der Parteien zu begrenzen, gerät unverständlicherweise in Vergessenheit. Der Ärger des Lesers wächst noch an, wenn er sich in die Begründung des Entwurfs jenes 10. Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes vertieft, mit dem die die staatlichen Zuschüsse von 0,70 Euro auf 0,83 Euro pro gewonnener Wählerstimme und von 0,38 Euro auf 0,45 Euro pro Euro an Zuwendungen erhöht wurden. Dort (BT-Ds. 18/6879, S. 12) heißt es nämlich, diese Erhöhung verursache keine höheren Haushaltsausgaben, da ja die absolute Obergrenze die Gesamtausgaben deckele.

Gestiegene Kosten aufgrund der Digitalisierung?

Das alles ließe sich noch verschmerzen, wenn der Gesetzgeber einen brauchbaren sachlichen Grund für eine Erhöhung der absoluten Obergrenze angegeben könnte. Dies ist aber nicht der Fall. Der Gesetzentwurf verweist dafür zunächst darauf, dass die Kosten der politischen Kommunikation durch die Digitalisierung gestiegen seien. Hierzu aber hat die Staatsrechtlerin Sophie-Charlotte Schönberger als Sachverständige in der Anhörung des Innenausschusses des Bundestages am 11. Juni eingewandt: Eine Kostensteigerung durch Digitalisierung sei keineswegs evident, denn dem gestiegenen Aufwand für neues Personal und Ausrüstung stünden vermutlich auch Einsparungen bei Porto- und Druckereikosten gegenüber. Der Gesetzentwurf trage keine belastbaren Fakten dafür vor, dass, in den Worten des BVerfG, eine "einschneidende Änderung der Verhältnisse" eingetreten sei.

Für den dritten und vierten im Gesetzentwurf genannten Grund gilt Ähnliches: Eine Erhöhung der staatlichen Mittel sei angeblich geboten, weil sich die Kosten durch basisdemokratische Formen der Mitentscheidung in den Parteien wie Mitgliederentscheide oder Mitgliederparteitage sowie aufgrund "erhöhter Transparenz- und Rechenschaftsanforderungen" gesteigert hätten. Dass sich die Rechenschaftsanforderungen überhaupt erhöht haben, ist nicht ersichtlich, geschweige denn, dass den Parteien daraus relevanter Mehraufwand entstünde. Es ist allerdings plausibel, dass etwa Mitgliederentscheide zusätzliche Kosten verursachen, auch wenn der Gesetzentwurf dies nicht dargelegt hat. Die Parteien sind jedoch erstens nicht gesetzlich verpflichtet, basisdemokratische Maßnahmen durchzuführen, worauf in der Sachverständigenanhörung durch die Parteienrechtlerin Heike Merten hingewiesen wurde. Solche freiwilligen Leistungen bieten zweitens nur einige der im Bundestag vertretenen Parteien ihren Mitgliedern an, andere aber nicht. Angesichts dessen liegt es auch hier fern, eine einschneidende Änderung der Verhältnisse, die sich ja auf alle Parteien beziehen müsste, anzunehmen.

Normenkontrollklage in Karlsruhe möglich

Der schwächste Punkt der Novellierung insgesamt liegt also darin, dass sie der Darlegungs- und Begründungslast für eine außerplanmäßige und erhebliche Erhöhung der staatlichen Parteienfinanzierung nicht gerecht wird. Diese Argumentationslast trifft den Gesetzgeber, weil das BVerfG eben nicht für alle Zeiten eine Deckelung der staatlichen Parteienfinanzierung vorgeschrieben, sondern aus dem Grundgesetz ein Verfahren der bedarfsgerechten Anpassung herausgelesen hat. Wenn neben die regelmäßige Inflationsanpassung, die sich anhand der Statistiken überprüfen lässt, noch die Möglichkeit tritt, außerhalb der Regel auf eine einschneidende Änderung der Verhältnisse zu reagieren, dann muss es nachvollziehbar begründet werden, wenn von diesem Instrument Gebrauch gemacht wird. Ansonsten würde das Verfahren seines Sinnes beraubt.

Vieles spricht demnach dafür, dass die jüngste Erhöhung der absoluten Obergrenze gegen die Auslegung des Grundgesetzes verstößt, die das BVerfG gefunden hat. Die Oppositionsfraktionen im Bundestag können dies überprüfen lassen, indem sie etwa ein abstraktes Normenkontrollverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG einleiten. Den Abgeordneten der Regierungskoalition sollte die Begründung des BVerfG aus seinem zweiten Urteil zur Parteienfinanzierung aus dem Jahr 1992 zur absoluten Obergrenze warnend in den Ohren klingeln: "Gewönne der Bürger den Eindruck, die Parteien 'bedienten' sich aus der Staatskasse, so führte dies notwendig zu einer Verminderung ihres Ansehens und würde letztlich ihre Fähigkeit beeinträchtigen, die ihnen von der Verfassung zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen." Laut Medienberichten prüfen Grüne und Linke bereits den Gang nach Karlsruhe.

Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist Habilitand am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Zitiervorschlag

Sebastian Roßner, Bundestag erhöht Subventionen für Parteien: . In: Legal Tribune Online, 18.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29219 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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