Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurden die Kompetenzen der Geheimdienste stark erweitert. Zum Januar 2012 nun laufen die entsprechenden Gesetze aus, die Union will sie trotz Widerstands der FDP verlängern. Um welche Maßnahmen es geht, wie man sich gegen sie wehren kann und was für den Grundrechtsschutz noch getan werden müsste, erklärt Thorsten Kornblum.
Der "Spiegel" nannte die maßgeblichen Kompetenzerweiterungen nach dem Vornamen des damaligen Bundesinnenministers Schily gerne "Otto-Katalog". Offiziell heißen die Sammelgesetze Terrorbekämpfungsgesetz aus dem Jahr 2001, Gemeinsame-Dateien-Gesetz aus 2006 und Terrorbekämpfungsergänzungsgesetz aus 2007.
Diese drei Gesetze haben es in sich: Die Geheimdienste auf Bundesebene, also das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) wurden unter Erweiterung ihres Auftrags ermächtigt, Auskünfte über Kontobestände, Geldbewegungen und -anlagen, Post- und Luftverkehre, sowie Telekommunikationsverbindungs- und Teledienstnutzungsdaten von den jeweiligen Unternehmen einzuholen, zu speichern und auszuwerten.
Zusätzlich gab der Gesetzgeber den sogenannten IMSI-Catcher zum Einsatz frei. Mit ihm können die Geheimdienste Mobilfunkgeräte lokalisieren und ihre Geräte- sowie Kartennummer (IMEI) auslesen.
Schließlich wurde die Einrichtung der Anti-Terror-Datei ermöglicht. Diese wird beim Bundeskriminalamt angelegt und dient der Vernetzung der Polizeien, Geheimdienste und des Zolls. In der Anti-Terror-Datei werden verschiedene Daten über Personen und Vereinigungen gespeichert, die im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung stehen, darunter Bankverbindungen, Religionszugehörigkeit, Kontaktpersonen und Telekommunikationsanschlüsse. Neben dieser dauerhaften Datei können zwischen Polizei und Geheimdienste befristet projektbezogene Dateien errichtet werden.
Rechtsschutz erfordert Auskunftsansprüche und Benachrichtigungspflichten
Auch wenn dies mitunter suggeriert wird: Der Bürger sieht sich den neuen Möglichkeiten der Geheimdienste nicht schutzlos ausgesetzt. Die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) hilft auch bei Maßnahmen von BfV und Co., die Rechte des Betroffenen effektiv zu sichern.
Dabei ist Grundvoraussetzung für die Inanspruchnahme von Rechtsschutz, dass der Betroffene überhaupt von einer Maßnahme des Geheimdienstes erfährt. Daher schützt Art. 19 Abs. 4 GG auch die Möglichkeit der Kenntnisnahme entsprechender Grundrechtseingriffe. Sie liegen regelmäßig in der Erhebung, Speicherung und Übermittlung personenbezogener Daten.
Die Rechtsschutzgarantie fordert zum einen Auskunftsansprüche, über die der Betroffene selbst aktiv werden und Kenntnis darüber verlangen kann, was der Dienst über ihn weiß. Daneben muss es aber auch Benachrichtigungspflichten geben: Da man nicht verlangen kann, dass der Bürger regelmäßig alle Geheimdienste von sich aus danach fragt, ob sie Daten über ihn speichern, ist die jeweilige Behörde regelmäßig verpflichtet, von sich aus eine Maßnahme nach ihrem Abschluss mitzuteilen, damit der Bürger die Rechtmäßigkeit überprüfen lassen kann.
Diesem Verfassungsauftrag kommen die Gesetze über die Nachrichtendienste teilweise nach und enthalten Auskunftsansprüche als Generalklauseln für alle Maßnahmen. Benachrichtigungsansprüche finden sich jedoch nicht flächendeckend.
Keine pauschales Bedürfnis zur Geheimhaltung
Auch wenn ein Auskunftsrecht oder eine Benachrichtigungspflicht besteht, kann der Dienst die Information nämlich unter bestimmten Voraussetzungen verweigern. So muss regelmäßig keine Auskunft erteilt werden, wenn etwa das Staatswohl, die Aufgabenerfüllung oder Dritte wie etwa Informanten dadurch gefährdet wären. Eine Benachrichtigung ist darüber hinaus nicht angezeigt, solange und soweit der Zweck der Maßnahme dadurch gefährdet würde.
Andererseits bedeutet eine solche Gefährdung auch nicht, dass die Auskunft immer versagt werden darf. Art. 19 Abs. 4 GG weist keinen Gesetzesvorbehalt auf und kann hinsichtlich seiner verfassungsrechtlichen Mindestgewährleistung, zu der eben auch die Möglichkeit der Kenntnisnahme eines Eingriffs gehört, nur durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden.
Damit muss im Einzelfall immer zwischen den Verfassungsgütern wie etwa des Staatswohls und der Rechtsschutzgarantie abgewogen werden. Grundsätzlich muss es auch erst zu einer konkreten Gefährdung dieser Verfassungsgüter kommen, damit die Behörden die Auskunft verweigern dürfen. Ein pauschales Bedürfnis zur Geheimhaltung gibt es also nicht.
Wird eine Auskunft abgelehnt, ist das im so genannten In-camera-Verfahren nach § 99 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung komplett gerichtlich überprüfbar. Zur Sicherung der Geheimhaltung wird die Angelegenheit allerdings während der Aussetzung des Hauptsacheverfahrens vor einem speziellen Senat höherer Gerichte ohne Anwesenheit des jeweiligen Klägers verhandelt.
Auch wenn im Ergebnis also grundsätzlich Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Geheimdienste besteht: Ob die geschaffenen Maßnahmen überhaupt erforderlich sind oder nicht, kann erst nach der geplanten Evaluation der Sicherheitsgesetze bewertet werden.
In jedem Fall sind bei einer Verlängerung in puncto Grundrechtsschutz einige Verbesserungen angebracht. Dazu zählen neben der Schaffung generalklauselartiger Benachrichtigungspflichten parallel zu den Auskunftsansprüchen und der Einführung des "In-camera-Verfahrens" für alle Gerichtsbarkeiten auch – wie von der Bundesjustizministerin vorgeschlagen – höhere Hürden für Datenübermittlungen. So könnte auch die verfassungsrechtlich gebotene Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten wieder gestärkt werden.
Der Autor Dr. Thorsten Kornblum, LL.M., ist Assessor aus Münster. Er promovierte mit der Arbeit "Rechtsschutz gegen geheimdienstliche Aktivitäten".
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