Im Zuge der Debatte über Nacktdarstellungen von Kindern in Alltagssituationen haben Justizminister Maas und Familienministerin Schwesig inzwischen angekündigt, Reformen prüfen zu wollen. An anderer Stelle werden Regelungslücken jedoch seit über zehn Jahren hingenommen. Was die aktuelle Rechtslage im Detail vorsieht, und welche Änderungen sinnvoll wären, erläutert Marc Liesching.
Das Strafgesetzbuch (StGB) untersagt bislang unter anderem die Verbreitung, aber auch den Besitz und die Besitzverschaffung von "pornographischen Schriften (…), die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern [und Jugendlichen] zum Gegenstand haben". Seit der Neufassung durch Gesetz vom 31.10.2008 (BGBl. I S. 2149) werden nicht mehr (nur) solche pornographischen Schriften mit Kindern erfasst, die deren "sexuellen Missbrauch" (unter Bezugnahme auf §§ 176 bis 176b StGB) zum Gegenstand haben. Vielmehr unterfallen alle dargestellten bzw. geschilderten sexuellen Handlungen mit Kindern und Jugendlichen dem Straftatbestand. Zur Begründung führte die Bundesregierung aus, dass "einer pornographischen Darstellung, insb. einem Film, in der Regel nicht entnommen werden" könne, "ob sie unter den dort genannten Umständen (Ausnutzung einer Zwangslage oder der sexuellen Unerfahrenheit, Zahlung eines Entgelts) zustande gekommen" sei (BT-Drs. 16/3439, S. 9).
Trotz der Erweiterung des Wortlauts werden die aktuell um den Fall Edathy diskutierten Nacktfotos durch die Straftatbestände der §§ 184b, 184c StGB in der Regel nicht erfasst, da sich der erforderliche Sexualbezug allein aus der Bilddarstellung nicht ergibt. Jedenfalls können die Bilder regelmäßig nicht als "pornographisch" angesehen werden. Da der Bundesgerichtshof (BGH) seit jeher fordert, dass insoweit die gleichen Anforderungen gelten wie bei dem allgemeinen Pornographietatbestand des § 184 StGB (BGH, Urt. v. 21.04.1978, Az. 2 StR 739/77), fehlt es zumeist an der sexuell vergröbernden, anreißerischen Darstellung und zum Teil auch an einer objektiven Stimulierungsintention, so zum Beispiel bei Urlaubsbildern oder sonstigen Darstellungen Minderjähriger in natürlichen Alltagssituationen.
Jugendschutzrechtliche Verbote von Posendarstellungen Minderjähriger
Vom Sexualstrafrecht im engeren Sinne zu unterscheiden sind die jugendschutzrechtlichen Verbote von Darstellungen von Kindern und Jugendlichen in unnatürlich(er) geschlechtsbetonter Körperhaltung nach § 4 Abs. 1 S.1 Nr. 9 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) und § 15 Abs. 2 Nr. 4 Jugendschutzgesetz (JuSchG). Die Anforderungen an die unbestimmten Rechtsbegriffe "unnatürlich" und "geschlechtsbetont" wurden durch Rechtsprechung und Praxis inzwischen weitgehend präzisiert.
Tatbestandlich sind bestimmte erotographische Inhalte unterhalb der Schwelle der nach § 184 StGB strafbaren Pornographie. Erfasst werden mit Blick auf den Schutzzweck unter Umständen auch Abbildungen von Kindern und Jugendlichen in Reizwäsche, übermäßiger Schminke oder sonstigen aufreizenden Bekleidungen (OLG Celle, Beschl. v. 13.02.2007, Az. 322 Ss 24/07 (OWi)). Teilweise wird auch auf den Eindruck der sexuellen Verfügbarkeit von Minderjährigen oder eines "sexuell anbietenden" Verhaltens abgestellt (vgl. OLG Celle aaO.). Hinsichtlich des "Unnatürlichen" wird in der Rechtsprechung zum Teil darauf abgestellt, ob die Art und Weise der Darstellung der "Erwachsenenerotik" zuzuordnen ist (so etwa das AG Hannover mit Urt. v. 15.09.2006, Az. 262 OWi 3744 Js 13701/06 (38/06)).
Regelungsdivergenz im Jugendschutzrecht
Bemerkenswert ist freilich, dass die Verbotsreichweite für Online- und Offline-Medien erheblich divergiert: Während im Rundfunk und im Internet entsprechende Darstellungen generell untersagt sind und mithin auch Erwachsenen nicht zugänglich gemacht werden dürfen, untersagt das für den Offline-Bereich geltende JuSchG lediglich das Zugänglichmachen gegenüber Minderjährigen. Hiernach ist also das Verbreiten entsprechender Posendarstellungen von Kindern und Jugendlichen auf DVD, Blu-ray-Disc etc. an Erwachsene vollkommen legal. Diese Divergenz ist seit 2003 weithin bekannt, ohne dass sie Gegenstand von Änderungsgesetzen geworden ist. Vor diesem Hintergrund können die nun auf den Fall Edathy hin erfolgenden Reaktionen verantwortlich handelnder Personen in der Politik, man wolle Regelungslücken "prüfen", durchaus überraschen.
Ungeachtet der dargestellten Regelungsdiskrepanz ist aber ohnehin fraglich, ob die nunmehr diskutierten Nacktfotos aus Alltagssituationen von Kindern und Jugendlichen überhaupt den Jugendschutzverboten unterfallen. Zunächst sind der Besitz und die Besitzverschaffung ohnehin nicht untersagt. Überdies wird es bei einschlägigen Darstellungen gerade an einer "unnatürlichen Geschlechtsbetontheit" fehlen. Insgesamt kommt dem Verbotstatbestand selbst im Internet fast keine praktische Bedeutung zu, was entweder auf ein Vollzugsdefizit oder auf Ausweichbewegungen der Klientel in den noch nicht erfassten vortatbestandlichen Bereich hindeuten könnte. Die für die staatliche Aufsicht zuständige Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) hat insoweit in einer aktuellen Pressemitteilung zwar verlautbart, der Bereich der jugendschutzrechtlichen Posenverbote sei eine ihrer Kernaufgaben. Ausweislich der eigenen Statistik gab es im Jahr 2013 indes keinen einzigen Aufsichtsfall wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 JMStV.
Erste Bewertung von Reformansätzen
Die aktuelle Diskussion um mögliche Verschärfungen konzentriert sich auf eine Erweiterung des Sexualstrafrechts, insbesondere um ein Verbot des gewerblichen Handels mit jeglicher Art von Nacktfotos Minderjähriger im Internet. Dies erscheint diesem Autor auf der Grundlage einer breiten gesellschaftspolitischen Debatte erwägenswert, lässt aber die Frage nach Ausweichbewegungen in nichtgewerbliche, private Tauschportale offen. Zudem dürfte es eine regulatorische Herausforderung darstellen, den Tatbestand derart spezifisch zu fassen, dass nicht alltagstypische Gebrauchsformen im Web 2.0 mit kriminalisiert werden.
Bislang kreist die eher oberflächlich geführte Sexualstrafrechtsdebatte vor allem um Nacktfotos mit alltäglichem, jedenfalls nicht explizit erotischem Inhalt. Ebenso wichtig wäre es allerdings, die wesentlich gravierenderen Darstellungen von Minderjährigen in geschlechtsbetonter Körperhaltung nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 JuSchG zu fokussieren. Bislang sind der Handel und der Tausch solcher Trägermedien (z.B. DVD, Bu-ray-Disc) unter Erwachsenen legal, da nur das Zugänglichmachen gegenüber Minderjährigen untersagt wird. Hier erscheint es nicht sachgerecht, dass seit 2003 entsprechende Darstellungen im Internet generell untersagt sind, der identische Content auf Blu-Ray und DVD aber an Erwachsene vertrieben werden darf.
Insoweit sind Absolutverbote dem JuSchG zwar rechtssystematisch fremd. Dies allein rechtfertigt indes nicht die Ungleichbehandlung ein und derselben Medieninhalte je nach Mediensparte. Es erscheint aus Sicht des Verfassers bemerkenswert, dass dieses offensichtliche Auseinanderklaffen der Vorschriften im Zuge der politischen und massenmedialen Befassung mit dem Fall Edathy bislang nicht thematisiert worden ist. Vielleicht ändert sich das ja.
Der Autor Prof. Dr. Marc Liesching ist Inhaber des Lehrstuhls für Medienrecht und Medientheorie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig. Er ist Herausgeber eines Kommentars zum Jugendschutzrecht und Autor zahlreicher Beiträge im Bereich des Jugendschutz- und Medienrechts.
Nacktdarstellungen Minderjähriger: . In: Legal Tribune Online, 25.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11157 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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