2/2: "Besetzungsrüge sollte kein absoluter Revisionsgrund mehr sein"
LTO: Was sind die Brennpunkte in der täglichen Arbeit der Richter am LG?
Götz von Olenhusen: Wir sehen Handlungsbedarf in den Wirtschaftsstrafverfahren, beim Prinzip des gesetzlichen Richters, der Verfahrensleitung in der Hauptverhandlung sowie bei Befangenheit, Beweisanträgen und Besetzungsrügen. Dies sind auch die Themen der Arbeitsgruppen beim Strafkammertag.
Ein sehr wichtiges Thema sind für die Richter die Besetzungsrügen. Derzeit ist die vorschriftswidrige Besetzung ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 StPO. Eine Besetzungsrüge kann im Nachhinein dazu führen, dass eine komplette Hauptverhandlung neu aufgerollt werden muss.
Eine erste Idee der Richterschaft wäre etwa, dass die fehlerhafte Besetzung als absoluter Revisionsgrund entfällt und die OLG vorab abschließend über die Besetzung entscheiden. Das wäre allerdings etwas ganz Neues, weil damit ein Verfahrensverstoß nicht mehr mit der Revision angreifbar wäre. Die Umsetzung dieser Idee würde insofern das bisher geltende System essentiell verändern. Mit derartig starken Veränderungen tut sich der Gesetzgeber schwer, auch wenn es eine erhebliche Erleichterung in der Praxis darstellen würde.
"Das Prinzip des gesetzlichen Richters steht nicht zur Disposition"
LTO: Die Richterschaft ist also bereit, das Prinzip des gesetzlichen Richters den Vorzügen von mehr Effizienz zu opfern?
Götz von Olenhusen: Natürlich nicht. Uns ist klar, dass wir mit unseren Anregungen heikle Gebiete ansprechen. Bei der Besetzungsrüge geht es uns aber nicht darum, die Rüge aufzuheben, sondern um eine Verlagerung.
Ähnlich liegt es bei den Befangenheitsanträgen. Derzeit legen Verteidiger durch Kettenablehnungen regelmäßig die Gerichte lahm. Wir müssen uns dafür rechtfertigen, dass die Verfahren so lange dauern – nun, dies sind Gründe dafür.
Aus unserer Sicht bedarf es auch einer Lockerung der Regelungen zum gesetzlichen Richter. Das jetzt geltende sehr strenge Jährlichkeitsprinzip, nach dem wir für ein Jahr die Geschäftsverteilung festlegen müssen, führt in der Gerichtsorganisation zu großen Problemen. Die Ausnahmen dazu sind von der Rechtsprechung sehr streng geregelt.
Schlussendlich gibt es eine Kollision zwischen dem gesetzlich festgelegten Beschleunigungsgebot und dem Prinzip des gesetzlichen Richters. Diese Kollision wollen wir gerne auflösen - und halten das auch für denkbar. Nicht zuletzt, weil die historischen Gründe für die Regelung – etwa die Sicherstellung der Unabhängigkeit der Richter – heute gewährleistet sind.
"Immer wieder den Finger in die Wunde"
LTO: Über einen Teil der von der Expertenkommission vorgeschlagenen Reformen scheint es bereits einen Konsens zu geben, etwa die Blutprobe, welche nach dem Willen des BMJV künftig ohne richterliche Anordnung möglich werden soll. Wenn die Diskussion schon so weit fortgeschritten ist, wie sinnvoll ist dann jetzt noch, weitere Ergebnisse aus dem Strafkammertag zu präsentieren?
Götz von Olenhusen: Diese Ideen sind ja nicht neu oder uns jetzt spontan eingefallen. Wir unterbreiten sie schon seit langem, die OLG und das Kammergericht haben bereits im Jahr 2010 konkrete Vorschläge gemacht.
Nun ist gerade ein Rohentwurf für die StPO-Reform an die Landesjustizverwaltungen versendet worden. Allgemein sehen wir als Gerichtspräsidenten unsere Vorschläge als langfristige Vorhaben an, wir müssen auf die Probleme immer wieder hinweisen. Veränderungen in unserem Sinne zu bewirken, ist eine langwierige Arbeit. Eine Reform wird sicherlich bald kommen, abschließend werden auch diese Änderungen aber sicherlich nicht sein. Daher legen wir einfach immer wieder den Finger in die Wunde.
Dr. Götz von Olenhusen ist seit dem 21. April 2006 Präsident des OLG Celle.
Das Interview führte Tanja Podolski.
Tanja Podolski, Strafkammertag: Richter diskutieren Vorschläge zur StPO-Reform: . In: Legal Tribune Online, 16.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18470 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag