Am vergangenen Samstag fiel in Norddeutschland für einige Stunden der Bahnverkehr aus. Grund dafür war eine Sabotage des Zugfunks. Nun ermittelt der Staatsschutz. Um welche Delikte es geht, erklären Katharina Reisch und Paul Schäfer.
Es ist ein ganz normaler Samstagvormittag an einem kleinen Bahnhof in Niedersachsen: Die Sonne scheint und der Zug kommt nicht. Auch die nächste Bahn fällt aus. Dann meldet die Tagesschau, dass in Norddeutschland der gesamte Schienenverkehr eingestellt wurde. Irgendetwas stimmt hier nicht, denken sich wohl viele Reisende an diesem Tag, während sie mit einem mulmigen Gefühl und einer Frage am Gleis stehen: Was ist hier eigentlich los?
Wenig später ist klar: Wegen eines flächendeckenden Ausfalls des digitalen Zugfunksystems "GSM-R" musste die Deutsche Bahn aus Sicherheitsgründen den Verkehr stoppen. Als Ursache stellt sich schnell gezielte Manipulation heraus: "Aufgrund von Sabotage an Kabeln, die für den Zugverkehr unverzichtbar sind, musste die Deutsche Bahn den Zugverkehr im Norden heute Vormittag für knapp drei Stunden einstellen", sagte eine Sprecherin der Bahn dem Spiegel.
Täter zerstörten gezielt zentrale Kommunikationsleitungen
Auch wenn vieles derzeit noch im Dunkeln liegt, konnte zumindest folgender Tathergang rekonstruiert werden: In den frühen Morgenstunden öffneten die Täter im nordrhein-westfälischen Herne an einer Bahnstrecke einen speziell gesicherten Kabelschacht und zerstörten mit einer Flex eine der zentralen Kommunikationsleitungen. Wenig später verschafften die Täter sich in der Nähe von Berlin-Karow Zugang zu einem weiteren Datenkabel, das als Back-Up zu dem zuvor durchtrennten Kabel die Bahn-interne Kommunikation absicherte.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bewertet die Tat als "vorsätzlich", da nur die gleichzeitige Beschädigung beider Datenkabel zu einem vollständigen Ausfall des norddeutschen Zugfunks führen konnte. Die Täter gingen sehr professionell vor und kannten sich im Netzwerk der Deutschen Bahn gut aus.
Am Sonntag teilte eine Sprecherin der Berliner Polizei gegenüber der dpa mit, dass der Staatsschutz des Berliner Landeskriminalamts aufgrund einer möglichen politischen Tatmotivation die Ermittlungen übernommen habe. Auch in Bochum ermittelt nun der Staatsschutz.
Unterbrechung des Zugfunks ist strafbare Sabotage
Während sich in der Berichterstattung angesichts der jüngsten Sabotageakte an den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 Spekulationen über eine mögliche Verantwortung Russlands verdichten, bleiben die strafrechtlichen Hintergründe unklar. Berichtet wird zwar, dass ermittelt werde – doch um welche Delikte geht es genau?
Dass die Zerstörung von Datenkabeln mittels einer Flex eine Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 1 StGB darstellt, liegt auf der Hand. Doch wenn Kommunikationssysteme der Deutschen Bahn beschädigt werden, geht es um viel mehr: Es geht um einen Angriff auf zentrale Infrastruktur der Bundesrepublik Deutschland. Angesprochen sind damit Vorschriften, die lange in der strafrechtlichen Mottenkiste verborgen blieben und denen der russische Angriffskrieg auf die Ukraine eine neue Relevanz verschafft.
"Sabotage" ist in Deutschland zwar kein eigener Straftatbestand, in Frage kommen vielmehr verschiedene Delikte. Zentrale Tatbestände sind die verfassungsfeindliche Sabotage nach § 88 StGB und die Computersabotage nach § 303b StGB.
Verfassungsfeindliche Sabotage nach § 88 StGB
Nach § 88 Abs. 1 Nr. 2 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer als "Rädelsführer oder Hintermann einer Gruppe oder […] als einzelner absichtlich bewirkt, dass im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes durch Störhandlungen Telekommunikationsanlagen, die öffentlichen Zwecken dienen, ganz oder zum Teil außer Tätigkeit gesetzt oder den bestimmungsmäßigen Zwecken entzogen werden".
Der Täter muss sich dadurch "absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze" einsetzen. Damit schützt die Norm den Bestand und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Irrelevant ist dabei die für die aktuelle Bahn-Sabotage noch offene Frage, ob die Täter als Teil eines (terroristischen) Netzwerks oder ohne einen solchen Gruppenbezug handelten. Beide Konstellationen wären von § 88 StGB umfasst.
In der zielgerichteten Zerstörung der Datenkabel liegt auch eine taugliche Sabotagehandlung an einer öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsanlage. Denn das digitale Zugfunksystem "GSM-R" dient überwiegend dem Interesse der Allgemeinheit an einem sicheren Schienenverkehr. Seine Beeinträchtigung ist auch so gravierend, dass sie eine teilweise oder vollständige Stilllegung der angegriffenen Einrichtung zur Folge hat. Eine noch durch den Staatsschutz zu klärende Frage betrifft die subjektive Tatseite: War die Tat von der Absicht getragen, sich gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik oder gegen Verfassungsgrundsätze zu richten?
Computersabotage nach § 303b StGB
Die Täter begingen auch eine Computersabotage nach § 303b StGB. Sie zerstörten nämlich eine Datenverarbeitungsanlage gemäß § 303b Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB, da die Vorschrift auch die Hardware eines Netzwerks, also hier die Übertragungskabel, schützt.
§ 303b Abs. 4 StGB sieht besonders schwere Fälle vor, etwa wenn durch die Sabotage "die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern oder Dienstleistungen oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt" wird (Nr. 4). Im aktuellen Fall scheint es zu einem solchen Bedrohungsszenario glücklicherweise nicht gekommen zu sein und es bleibt zu hoffen, dass § 303b Abs. 4 StGB auch in Zukunft keine praktische Bedeutung erlangen wird.
Die Täter machten sich zudem in Tateinheit mit § 88 und § 303b StGB nach § 317 Abs. 1 StGB wegen der Störung von Telekommunikationsanlagen strafbar. Gleiches gilt für den ebenfalls verwirklichten Tatbestand der Störung öffentlicher Betriebe nach § 316b Abs. 1 Nr. StGB, da mit dem Zugfunk eine "dem öffentlichen Verkehr dienende Anlage" beschädigt und dadurch der Betrieb des übergeordneten Unternehmens (Deutsche Bahn) erheblich gestört wurde.
Nötigung der Reisenden nach § 240 StGB
Mit Blick auf die an überfüllten Bahnsteigen gestrandeten Fahrgäste kann man auch an eine nach § 240 StGB strafbare Nötigung denken. Wurden die Reisenden genötigt, weil sie stundenlang am Gleis ausharren mussten?
Mit den Datenkabeln wurde lediglich unmittelbar auf eine Sache eingewirkt. Doch auch die physische Einwirkung auf Sachen kann bei Eintritt einer körperlichen Zwangswirkung auf Opferseite als Gewalt gewertet werden. Allerdings ist aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des strafrechtlichen Analogieverbots ein restriktives Verständnis der "Gewalt" geboten.
Der Gedanke, dass es für die Reisenden noch schlimmer hätte kommen können – etwa stundenlang im Zug "gefangen" zu sein oder gar eine Nacht am Bahnsteig zu frieren – kann zu der Annahme verleiten, dass noch keine Gewalt vorliege. Immerhin ging es nach drei Stunden schon wieder weiter.
Hinderung an der Weiterreise entfaltet körperliche Zwangswirkung
Die körperlichen Auswirkungen müssen dabei aber nicht derart gravierend sein. Entscheidend ist, der Eintritt einer nicht unwesentlichen Zwangswirkung. Gerade bei der mittelbaren Nötigung sind die Möglichkeiten vielfältig. So wendet zum Beispiel ein Vermieter, der seinem Mieter Strom und Wasser abdreht, Gewalt an.
Die Reisenden waren infolge der Sachgewalt physisch an der Weiterreise mit einem Zug gehindert. Das ist Fakt. Darin liegt bereits eine körperliche Zwangswirkung, auch wenn es nur drei Stunden waren. Vor dem Hintergrund der Willensbildungs- und Ausübungsfreiheit zeichnet sich der Erfolg ab: Die Passagiere wurden entgegen ihrem Willen zu einem unfreiwilligen Aufenthalt am Bahnhof gezwungen. Zudem bleibt es für sie nicht einfach bei einem kurzen Aufenthalt. Die Konsequenzen des unfreiwilligen Halts waren für alle Reisenden wohl den ganzen Tag spürbar.
Inzwischen heißt es von Seiten eines IT-Expert:innengremiums, dass die Sabotage der Deutschen Bahn nur ein "Testlauf" der Täter gewesen sei, "um die Auswirkungen einer solchen Sabotage zu sehen". Sollte sich das bewahrheiten, könnte dies eine nie dagewesene Relevanz der Sabotagedelikte begründen.
Kein gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr nach § 315 StGB
Wenn die Bahn einem Sabotageakt zum Opfer fällt, liegt auch der Gedanke an einen gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr nach § 315 Abs. 1 Nr. 1 StGB nahe. Schließlich könnten die Täter mit dem Kommunikationssystem eine Anlage zerstört und dadurch die Sicherheit des Schienenverkehrs beeinträchtigt haben. Es fehlt jedoch an dem mit der gefestigten Rechtsprechung zu fordernden konkreten Gefahrerfolg für Leib oder Leben eines anderen Menschen bzw. fremde Sachen von bedeutendem Wert. Die Situation muss sich zu einer „kritischen Verkehrssituation“ oder auch einem in seinem Ausgang nur noch dem Zufall überlassenen „Beinahe-Unfall“ zugespitzt haben (BGH v. 30.03.1995, Az 4 StR 725/94; BGH v. 30.06.2015, Az 4 StR 188/15). Hierzu kam es jedoch nicht, da die Deutsche Bahn schnell auf den Ausfall des Zugfunks reagierte und den Verkehr sofort stoppte. Es kam somit nicht zu einer konkret gefährlichen Situation wie der Beinahe-Kollision zweier Züge. Die von den Tätern herbeigeführte bloß abstrakte Gefahr genügt für § 315 StGB nicht.*
Katharina Reisch ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Rechtssoziologie an der Universität Leipzig bei Prof. Dr. Katrin Höffler. Paul Schäfer studiert Rechtswissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen und ist Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht mit Schwerpunkt Umweltrecht an der Universität Kassel bei Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski.
* Absatz ergänzt am 14.10.2022
Vorsätzliche Kabel-Sabotage bei der Bahn: . In: Legal Tribune Online, 13.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49874 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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