Wer einen verkammerten Beruf ausübt, tut oft nicht viel anderes nebenher. Das schon von Rechts wegen: Um Konflikten vorzubeugen sind weitere, insbesondere gewerbliche Tätigkeiten nur unter engen Einschränkungen erlaubt. Für Anwälte geriet dieses Paradigma jedoch bereits 1992 ins Wanken, nun macht sich das BVerfG auch bei Steuerberatern für eine lockere Handhabe stark. Martin W. Huff berichtet.
Über das Verwaltungsgericht (VG) Ansbach und den Verwaltungsgerichtshof (VGH) München bis zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich ein umtriebiger Prokurist einer Steuerberatungsgesellschaft geklagt – und dort letztlich obsiegt. Der Mann hatte bei der Steuerberaterkammer Nürnberg die Genehmigung beantragt, nicht nur als Prokurist, sondern zukünftig auch als Geschäftsführer seiner Steuerberatungsgesellschaft tätig zu werden. Dies wurde ihm verweigert. Das VG argumentierte, dass der Mann auch noch in weiteren gewerblichen (Beratungs)-Unternehmen tätig sei. Dies berge das Risiko einer Interessenskollision zwischen seiner Tätigkeit in der Steuerberatungsgesellschaft und in den anderen gewerblichen Unternehmen. Eine Ausnahmegenehmigung, wie das Steuerberatungsgesetz sie vorsieht, sei daher nicht zu erteilen.
Mit Beschluss vom 23. August 2013 (Az. 1 BvR 2912/11) hat jetzt die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben, weil sie den Prokuristen in seinem Grundrecht auf freie Berufsausübung beeinträchtigen. Sorgfältig prüft das Gericht – Berichterstatter war der für Art. 12 GG zuständige Verfassungsrichter Reinhard Gaier – die Voraussetzungen, unter denen Eingriffe in das Recht aus Art. 12 GG möglich sind.
Dabei stellt das Gericht klar, dass Art. 12 GG grundsätzlich das Recht umfasst, mehrere Berufe zu wählen und nebeneinander auszuüben. Einschränkungen dieser Freiheit bedürfen besonderer Gründe. Solche Gründe können insbesondere die Gefahren sein, die sich aus möglichen Interessenkollisionen ergeben.
Gesetzliche Regelung verfassungsgemäß, ihre Anwendung nicht
Daher sei die hier einschlägige Vorschrift des § 57 Abs. 4 Steuerberatungsgesetz (StBerG) im Grundsatz nicht zu beanstanden. Dort heißt es, dass bestimmte Tätigkeiten mit dem Beruf des Steuerberaters nicht vereinbar sind, insbesondere eine "gewerbliche Tätigkeit; die zuständige Steuerberaterkammer kann von diesem Verbot Ausnahmen zulassen, soweit durch die Tätigkeit eine Verletzung von Berufspflichten nicht zu erwarten ist."
Damit, so die Verfassungsrichter, habe der Gesetzgeber selber anerkannt, dass die gewerbliche Tätigkeit eines Steuerberaters nicht grundsätzlich verboten sei. Vielmehr müsse eine Abwägung der verschiedenen Grundrechte stattfinden.
Das Gericht verweist dazu auf seine Rechtsprechung zum Berufsrecht der Rechtsanwälte und dort insbesondere auf seine Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1992 (Urt. v. 04.11.1992, Az. 1 BvR 79/85 u.a.) und den darin entwickelten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Verbots eines zweiten Berufs. Bei Rechtsanwälten ist ein solcher heute nur dann verboten, wenn die konkrete Gefahr der Verquickung der verschiedenen Interessen besteht, etwa wenn sich die als Anwalt erlangte Kenntnis von Vermögensverhältnissen mit einer entsprechenden akquisitorischen Tätigkeit bei einer Bank vermischt. Auch die Reichweite dieser Verbote ist aber immer wieder Gegenstand von Gerichtsentscheidungen.
Verstoß gegen Berufsrecht darf nicht einfach unterstellt werden
Das bedeutet: Die Einführung einer Berufswahlschranke hinsichtlich gewerblicher Tätigkeiten ist nur dort erforderlich und zumutbar, wo sich die Gefahr einer Interessenkollision deutlich abzeichnet und nicht mit Hilfe von Berufsausübungsregeln zu bannen ist. Dabei geht das BVerfG ausdrücklich davon aus, dass berufsrechtliche Regelungen, wie jene zur Verschwiegenheit, eingehalten werden und ein Verstoß gegen selbige nicht einfach unterstellt werden darf, um die Genehmigung zu versagen.
Hier hätten die zuständige Steuerberaterkammer und auch das Verwaltungsgericht also intensiv prüfen müssen, ob eine solche Gefahr besteht.
Dies halten die Verfassungsrichter für sehr zweifelhaft, zumal die Steuerberaterkammer in der Vergangenheit ihre Zustimmung in Bezug auf die Tätigkeit des Klägers als Prokurist erteilt hatte und berufsrechtliche Verstöße nicht zu erkennen waren.
Das Verfassungsgericht hebt daher die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen auf und verpflichtet das VG Ansbach unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Hinweise neu zu entscheiden. Etwas anderes als eine Erteilung der Genehmigung erscheint nach den Ausführungen des BVerfG jedoch nahezu ausgeschlossen.
Verbot als Ausnahmefall, nicht als Regel
Mit dem Beschluss haben die Verfassungsrichter eines sehr deutlich gemacht: Die Zeit weitreichender Verbote einer weiteren beruflichen Tätigkeit für die Träger verkammerter Berufe ist vorbei. Vielmehr muss im Einzelfall sehr genau geprüft werden, ob Gründe des Gemeinwohls oder die konkrete Gefahr von Interessenkollisionen bestehen. Nur dann darf es noch zu Verboten kommen.
Die weitgehende Freiheit bei Rechtsanwälten hat nun auch für Steuerberater zu gelten. Alleine die Tatsache, dass ein Steuerberater die wirtschaftlichen Verhältnisse seines Mandanten kennt (was ja auch beim Anwalt der Fall ist), kann ein allgemeines Verbot nicht mehr rechtfertigen.
Vor kurzem hatte der Bundesgerichtshof das Verbot des Zusammenschlusses von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern als verfassungswidrig angesehen und dem BVerfG zur Prüfung vorgelegt. Dabei stützte er sich auf ganz ähnliche Erwägungen. Sollten die Richter des BVerfG ihrer liberalen Linie treu bleiben, besteht also eine große Wahrscheinlichkeit, dass auch das Verbot der gemeinsamen Sozietät kippt.
Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt und Journalist in Leverkusen. Er ist Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln und hat u.a. einen Lehrauftrag für Berufsrecht an der German Graduate School of Management and Law (GGS) in Heilbronn.
Martin W. Huff, BVerfG zu Zweitberufen bei Steuerberatern: . In: Legal Tribune Online, 02.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9684 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag