Am Montag wird Stephan Harbarth vom Bundespräsidenten zum neuen Präsidenten des BVerfG ernannt. Doch ein Anwalt stellt weiter Harbarths akademische Weihe in Frage. Christian Rath erläutert die Hintergründe.
Prof. Dr. Stephan Harbarth ist das neue Gesicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Er wird das BVerfG in den kommenden Jahren leiten und nach außen vertreten. Bereits am 15. Mai wurde er im Bundesrat in die künftige Funktion gewählt. Am kommenden Montag bekommt er von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Ernennungsurkunde, während Vorgänger Prof. Dr. Andreas Voßkuhle parallel dazu seine Entlassungsurkunde erhält. Harbarth hat nun eine Amtszeit von noch rund zehn Jahren vor sich. Wie Voßkuhle kann er eine Ära prägen.
Allerdings wird Harbarth seit seiner Wahl zum Verfassungsrichter im November 2018 von ungewohnt viel Misstrauen begleitet. Da ist zum einen seine frühere Rolle als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Bundestag. Solche Diskussionen sind allerdings nichts Neues. Peter Müller, ehemals saarländischer CDU-Ministerpräsident und seit 2011 Richter im Zweiten Senat des BVerfG, kennt den Argwohn.
Vorwurf der "Konzernnähe"
Doch an Harbarth hängt auch der Vorwurf einer angeblichen "Konzernnähe". Aufhänger ist Harbarths Rolle als ehemaliger Miteigentümer der Mannheimer Kanzlei Schilling, Zutt & Anschütz (SZA). Die Konzlei, die mit dem Claim wirbt "Zu uns kommen Konzerne", vertritt unter anderem die Volkswagen AG bei anlegerrechtlichen Fragen im Dieselskandal. Harbarth hatte das Mandat zwar nicht persönlich betreut, profitierte aber wohl als Miteigentümer der Kanzlei mittelbar. Außerdem war Harbarth selbst zum Beispiel bereits für Daimler tätig.
Es gab sogar mehrere Klagen am BVerfG, die sich nachträglich gegen Harbarths Ernennung zum Verfassungsrichter wandten. Diese wurden aber - wie erwartet - mangels individueller Betroffenheit der Kläger allesamt abgelehnt (Beschl. v. 02.07.2019, Az. 2 BvE 4/19, Organklage der MdB Frauke Petry und Mario Mieruch; Az. 2 BvR 1315/19, Verfassungsbeschwerde von Rechtsanwalt Klaus Siemon; Beschl. v. 28.02.2020, Az. 2 BvR 2088/19, Verfassungsbeschwerde der Anwaltskanzlei Dr. Stoll & Sauer; Beschl. v. 28.02.2020, Az. 2 BvR 2082/19, Verfassungsbeschwerde von Rechtsanwalt Claus G. Schmitz).
Die Kritik an Harbarth wird vor allem vom Handelsblatt wohlwollend begleitet, kommt also nicht nur aus einem notorischen Protest-Milieu. Einer der Protagonisten, der Kölner Anwalt Claus G. Schmitz, ist sogar wie Harbarth CDU-Mitglied.
Schmitz hat sich vor allem zum Ziel gesetzt, die Umstände aufzuklären, wie Stephan Harbarth 2018 kurz vor seiner Wahl zum Verfassungsrichter von der Universität Heidelberg zum Honorarprofessor ernannt wurde. Er hat das Gefühl, dass Harbarth damit der Weg nach Karlsruhe geebnet werden sollte. Zwar müssen Verfassungsrichter nicht Professoren sein - viele der ehemaligen Bundesrichter sind es nicht - "aber für das Präsidentenamt gehört ein Professorentitel doch zu den Usancen", sagt Schmitz auf Nachfrage. Er will wissen, ob die Uni hier nicht der Kanzlei SZA behilflich war, mit der sie eng zusammenarbeite, etwa in einer gemeinsamen Stiftung.
Das Verfahren in Heidelberg
Aus Sicht der Heidelberger Juristenfakultät ist die Honorarprofessur von Harbarth "völlig unheikel", wie Dekan Ekkehart Reimer erläutert. Harbarth übernahm schon seit 2004 Lehraufträge an der Uni Heidelberg, insbesondere in seinem Spezialgebiet, dem Kapitalmarktrecht. Harbarth war ohnehin mit der Uni eng verbunden, an der er auch studiert und (bei Prof. Peter Hommelhoff) promoviert hatte. Ende 2016 kam aus der Fakultät der Vorschlag, Harbarth zum Honorarprofessor zu ernennen, so die Schilderung von Reimer. Man wollte den Anwalt und Abgeordneten weiter an die Uni binden, insbesondere um sich seine Beiträge zur Lehre zu sichern.
Wie üblich, so Reimer, seien zwei externe Gutachter bestellt worden, um das wissenschaftliche Werk von Harbarth einzuschätzen. Solche externen Gutachter sollen mit einem "Blick von außen" die Diskussion in der Fakultät rationalisieren. Die Namen der Gutachter sind bis heute nicht bekannt, doch Reimer versichert, die Fakultät habe, wie üblich, vorab mögliche Befangenheiten abgeklärt. Außerdem sei es in solchen Gutachten üblich, dass auf der ersten Seite die bisherigen Berührungspunkte zum Begutachteten offengelegt werden. Solche Gutachter vergeben zwar keine Noten, aber im Falle von Harbarth hätten sie dessen wissenschaftliche Leistungen als herausragend bewertet.
Auf dieser Grundlage sprach sich der Heidelberger Fakultätsrat im Februar 2017 einstimmig für die Ernennung Harbarths zum Honorarprofessor aus. Für Reimer ein klarer Fall: Harbarth sei ein "totaler Spitzenjurist, wissenschaftlich exzellent und didaktisch sehr gut."
Doch dann wurde das Verfahren - politisch korrekt - für einige Monate unterbrochen. Der Rektor der Universität, der Geograph Bernhard Eitel, hatte darauf hingewiesen, dass sich die Universität im damaligen Bundestagswahlkampf nicht exponieren solle. Immerhin kandidierte Harbarth im benachbarten Rhein-Neckar-Kreis. Erst nach der Wahl wurde das Ernennungsverfahren Ende 2017 fortgeführt. Im März 2018 beschloss der Senat der Universität, Harbarth zum Honorarprofessor zu machen, anschließend wurde Harbarth vom Rektor ernannt.
Dekan Reimer legt Wert darauf, dass die Idee, Harbarth zum Honorarprofessor zu ernennen, aus der Fakultät kam und nicht von SZA oder von Harbarth. Außerdem habe die Fakultät, als das Verfahren 2016 begann, in keiner Weise gewusst oder geahnt, dass Harbarth zwei Jahre später Verfassungsrichter werden würde. Tatsächlich war Harbarth im CDU/CSU-Auswahlverfahren für die Nachfolge von Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof anfänglich nicht Favorit. Ursprünglich lief alles auf Günter Krings hinaus, den parlamentarischen Staatssekretär im Innenministerium. Doch dann wurde dessen Mentor Volker Kauder im September 2018 als Fraktionsvorsitzender abgewählt, außerdem erhoben die Grünen Einwände gegen Krings, sodass die CDU/CSU am Ende Harbarth nominierte.
Der Prozess am VG Karlsruhe
Awalt Schmitz stört sich allerdings daran, dass die Uni Heidelberg die externen Gutachten zu Harbarths wissenschaftlichem Werk nicht veröffentlicht und nicht einmal die Namen der Gutachter mitteilt. So sei nicht nachvollziehbar, ob hier alles sauber abgelaufen ist. Schmitz hat daher im Oktober 2019 einen Auskunftsantrag nach dem baden-württembergischen Landesinformationsfreiheitsgesetz (LIFG) an die Uni gestellt.
Doch die Uni sieht sich nicht zur Auskunft verpflichtet. Sie beruft sich auf § 2 Abs. 3 Nr. 2 LIFG, wonach das Gesetz nicht für Hochschulen gilt, "soweit Forschung, Kunst, Lehre, Leistungsbeurteilungen und Prüfungen betroffen sind". Schmitz hält die Ausnahmen allerding nicht für einschlägig. Die externen Gutachten seien weder Produkt der Forschung noch Gegenstand der Lehre und mit Leistungsbeurteilungen seien vor allem Beurteilungen von Studenten gemeint.
Am 21. März 2020 hat Schmitz daher die Uni Heidelberg beim Verwaltungsgericht Karlsruhe auf Auskunft verklagt. Am 11. Mai hat er die Klage begründet. Die Uni hat noch nicht geantwortet. Einen Eilantrag hat Schmitz nicht gestellt. Hilfsweise hat der Kölner Anwalt inzwischen beantragt, dass die Uni verpflichtet werden soll, die Gutachter zu fragen, ob sie mit einer Herausgabe ihrer Namen und Gutachten einverstanden sind.
In der Zwischenzeit hat Schmitz eine Vermutung gewonnen, wer die externen Gutachter im Fall Harbarth sein könnnten: Prof. Walter Bayer von der Uni Jena und Prof. Mathias Habersack von der Uni München. Er hat beide Fakultäten angeschrieben und um Auskunft sowie um die Gutachten gebeten.
Im Verfahren am VG Karlsruhe will Schmitz bald einen neuen Hilfsantrag stellen. Die Uni Heidelberg soll mitteilen, ob sie mögliche Befangenheits- und Ausschlussgründe der externen Gutachter ausreichend geprüft hat. Schmitz hat nämlich herausgefunden, dass Walter Bayer und ein Seniorpartner von SZA in Jena gemeinsam im Vorstand des Fördervereins des Instituts für Rechtstatsachenforschung sitzen.
Der Antrieb des Anwalts
Was treibt den Kölner Anwalt an, dass er sich so in das Thema verbeißt? Glaubt er wirklich, dass er einem großen Skandal auf der Spur ist? In seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Ernennung von Harbarth schrieb er am 26. November 2019 vom "begründeten Verdacht", dass Harbarths Tätigkeit als Verfassungsrichter "nicht überschaubaren Fremdeinflüssen" unterliegt. Es bestehe der "begründete Verdacht einer möglichen Fremdbeeinflussung durch die Automobilindustrie". Wesentlicher Ansatzpunkt hierzu scheint aber nur zu sein, dass Harbarth in seiner Zeit als Anwalt mit seinen Wirtschaftsmandaten extrem gut verdient hatte.
Im Gespräch betont Schmitz, dass er Verschwörungstheorien ablehne und auch persönlich nichts gegen Harbarth habe, schon gar nicht wolle er dessen Amt beschädigen. Aber er stoße doch immer wieder auf "Widerhaken", weshalb er skeptisch bleibe und auf Transparenz poche.
Es fällt auf, dass Schmitz genauso Mitglied der Kölner CDU ist wie Prof. Dr. Heribert Hirte, der amtierende Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschuss. Von Hirte wird gesagt, dass er auch gern Verfassungsrichter geworden wäre und sich als Rechtsprofessor dafür auch besser geeignet fühlte als manch anderer. Im Handelsblatt wird Hirte zudem als Informant über mögliche Unregelmäßigkeiten im Umfeld von Harbarths Nominierung zum Verfassungsrichter genannt.
Schmitz bestreitet aber, dass er in Absprache mit Hirte oder gar in dessen Auftrag aktiv ist. "Niemand steuert mich, niemand instrumentalisiert mich", betonte er. Mit Hirte habe er zwar einmal telefoniert, so Schmitz, "aber da habe ich den Kontakt aufgenommen, nicht er".
Gründe für die Vertraulichkeit
Der Heidelberger Dekan Reimer hat angesichts der Kollateralschäden natürlich auch schon überlegt, ob es nicht besser wäre, die Namen der externen Gutachter einfach zu nennen - auch wenn man sich rechtlich dazu nicht verpflichtet fühlt.
Die Uni hat sich dann aber doch gegen die Veröffentlichung entschieden. Die Namen externer Gutachter seien nämlich in allen Berufungsvverfahren vertraulich, um Gefälligkeitsgutachten zu verhindern. Dies gelte nicht nur bei Honorarprofessuren, sondern auch in normalen Berufungsverfahren. Es gebe hier überhaupt keine Besonderheit im Fall Harbarth, so Reimer. Eine Ausnahme im diesem Fall würde vielmehr das Vertrauen in die allgemeine Vertraulichkeitspraxis erschüttern und die Gefahr von Gefälligkeitsgutachten erhöhen.
Zwar ist diese Vertraulichkeit nirgends gesetzlich oder satzungsrechtlich geregelt, sie ergibt sich nach Ansicht der Uni aber aus der Wissenschaftsfreiheit. Zu deren Kernbereich gehöre auch das "Selbstergänzungsrecht der Universitäten". Es funktioniere nur, so Reimer, wenn Gutachter "auch die leisen und kritischen Töne wählen können, wenn sie das für richtig halten". Deshalb sei die Vertraulichkeit der Gutachten und auch der Gutachternamen so wichtig. Im Verfahren vor dem VG Karlsruhe hat die Uni dies noch nicht vorgetragen.
Kläger Schmitz zeigte sich erstaunt: "Das höre ich zum ersten Mal", sagte er im Gespräch. Wenn die Vertraulichkeit der Gutachten tatsächlich Usus ist, dann halte er das zwar für falsch, würde daraus dann aber keinen Verdacht mehr gegen Harbarth ableiten. Vielleicht hätte er dann nicht einmal geklagt, so Schmitz. Die Klage will er nun aber auch nicht zurückziehen.
Anwalt gegen Uni Heidelberg: . In: Legal Tribune Online, 20.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41948 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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