Seit fast einhundert Jahren gibt es einen Verfassungsauftrag, die Staatsleistungen an die Kirchen abzuschaffen. Die Politik hat das bislang lieber ignoriert und auch ein neuer Vorstoß der Linken wird wohl erfolglos bleiben. Der Staat wird dennoch nicht untergehen, wenn die Kirchen finanziell geschont werden, kommentiert Heinrich Amadeus Wolff.
An der Frage des Verhältnisses von Staat und Kirche scheiden sich die Geister. Themen aus dem Gebiet des Staatskirchenrechts sind extrem streitträchtig. Ganz besonders, wenn es um die finanzielle Ausstattung der Kirchen geht. Das war schon immer so, und wird vermutlich auch immer so bleiben. Diese Uneinigkeit ergreift dabei jede Ebene, auch die des Verfassungsgebers.
Vergangene Woche hat die Bundestagsfraktion der Linken ein weiteres Kapitel in dem Streit aufgeschlagen und einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Dieser sieht vor, dass der Bundesgesetzgeber Grundsätze aufstellt, nach denen die Länder Staatsleistungen an die Kirchen abschaffen können. Dadurch soll ein Verfassungsauftrag umgesetzt werden, der seit mehr als 90 Jahren ignoriert wird.
Denn schon bei der Formulierung des Grundgesetzes konnte man sich bei den Einzelfragen des Verhältnisses der Kirchen zum Staat nicht einigen. Da man den Erlass des Grundgesetzes aber nicht deswegen verzögern wollte, entschloss man sich, die Regeln aus der vorausgehenden Verfassung, der Weimarer Reichsverfassung, zu übernehmen. So bequem diese Lösung auch erschien, brachte sie wiederum neue Probleme mit sich. Denn schon bei der Beratung der Weimarer Reichsverfassung konnte man sich im Staatskirchenrecht ebenfalls nicht auf ganz klare Grundsätze einigen, sondern schloss Kompromisse.
Der Bund will nicht, das Land kann nicht
Eine der in der WRV nur halb gelösten Fragen war der Umgang mit den so genannten Staatsleistungen. Das sind finanzielle Zuwendungen des Staates an die Religionsgemeinschaften, das heißt vor allem an die evangelische und katholische Kirche. Sind als Ausgleich dafür gedacht, dass den Religionsgemeinschaften bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts durch die Säkularisationsmaßnahmen Kirchengüter entzogen worden waren.
Vor allem in der Reformationszeit und durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 hatte der Staat die Kirchen enteignet. Da den Religionsgemeinschaften auf diese Weise ihrer finanzielle Grundlage genommen worden war, erhalten sie seitdem als Ausgleich die Staatsleistungen.
Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Weimarer Reichsverfassung beraten wurde, entschloss man sich, diese Staatsleistungen abzulösen. Die finanziellen Zuwendungen sollten einseitig aufgehoben und die Kirchen entschädigt werden, um die Trennung von Staat und Kirche und die weltanschauliche Neutralität des Staates sicherzustellen. Diese Ablösung sollte der Landesgesetzgeber vornehmen. Da der Verfassungsgeber dem Landesgesetzgeber aber nicht ganz traute, sollte zunächst das Reich die Grundsätze für die Ablösung durch die Landesgesetzgebung aufstellen (Art. 138 S. 2 WRV).
Politisch gewollter Schwebezustand
Ohne das Reichsgesetz, bzw. später Bundesgesetz, dürfen die Länder die Leistungen also nicht ablösen. Da aber weder das Reich noch später der Bund dieses Grundsätzegesetz erließen, konnten die Länder diese Staatsleistungen bisher auch formal nicht ablösen. Obwohl die Verfassung sehr klar einen Auftrag formuliert, wird dieser bewusst von der Politik blockiert. Über die Gründe wird man streiten können: Angst vor einer zu hohen Entschädigungssumme, die Achtung vor der Leistung der Kirchen für das Gemeinwesen, die Furcht vor der Reaktion kirchlich motivierter Wähler, der Vorrang dringenderer Aufgaben - die Liste möglicher Entschuldigungsgründe ist lang.
Richtig unglücklich sind die politisch maßgeblichen Kräfte mit dem gegenwärtigen Schwebezustand deshalb bis heute nicht. Dabei gibt es sowohl rechtlich als auch politisch ausreichende Möglichkeiten, den Auftrag der Verfassung zu erfüllen. Da aber niemand einen Anspruch auf die Ablösung hat, kann auch niemand darauf klagen, dass der Gesetzgeber den Willen des Grundgesetzes umsetzt. Auch der Vorstoß der Linken dürfte angesichts der politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag aussichtslos sein. Zu begrüßen ist diese Blockadehaltung der Politik zwar nicht, untergehen wird der Staat daran allerdings auch nicht.
Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere Staatsrecht und Verfassungsgeschichte an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder).
Staatsleistungen an die Kirche: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5883 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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