Ein Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Berlin soll an diesem Freitag den Konflikt zwischen dem Axel-Springer-Verlag und Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt schlichten. Es geht um eine Millionensumme. Christian Rath sortiert die Lage.
An diesem Freitagnachmittag beginnt am Arbeitsgericht Berlin das Verfahren des Axel-Springer-Verlags gegen den ehemaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt mit einem Gütetermin. Springer verlangt von Reichelt eine Millionen-Summe, weil er gegen Verpflichtungen aus seinem Abwicklungsvertrag verstoßen hat.
Das öffentliche Interesse an diesem Verfahren ist groß. Allerdings wird es vor dem Arbeitsgericht wohl nur am Rande um die Fragen gehen, die die Öffentlichkeit in der Sache Reichelt vor allem interessieren, die Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegen Julian Reichelt. Völlig ausblenden kann man die Vorgeschichte aber auch nicht. Schließlich haben die Vorwürfe ja zur Trennung von Reichelt geführt, über deren Abwicklung nun arbeitsrechtlich gestritten wird.
Affären mit Mitarbeiterinnen
Ausgelöst wurde die Reichelt-Affäre durch den Vorwurf, er habe seine Machtstellung als Chefredakteur missbraucht. Immer wieder soll Reichelt junge von ihm beruflich abhängige Kolleginnen gefördert und zugleich in sexuelle Beziehungen verstrickt haben, um sie am Ende brüsk abzuservieren.
Nach internen Beschwerden von einigen Mitarbeiterinnen leitete der Axel-Springer-Verlag ein Compliance-Verfahren ein, über das der Spiegel im März 2021 erstmals berichtete. Wenige Tage nach dem öffentlichen Bekanntwerden der Vorwürfe wurde Reichelt beurlaubt.
Mit der Compliance-Untersuchung war die internationale Anwaltskanzlei Freshfields betraut. Die Untersuchung ergab laut Springer zwar Fehler in der Amts- und Personalführung, die aber "nicht strafrechtlicher Natur" seien. Es gab also keine Nötigungsvorwürfe, etwa dass Reichelt den betroffenen Frauen offen mit Nachteilen gedroht habe, wenn sie nicht auf seine Offerten eingehen. Nach 13 Tagen durfte Reichelt zu Bild zurückkehren.
Als aber im Oktober 2021 neue Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegen Reichelt bekannt wurden, diesmal via New York Times, stellte Springer den Chefredakteur endgültig frei. Zur Begründung hieß es, "dass Julian Reichelt auch aktuell noch Privates und Berufliches nicht klar trennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat." Im Einzelnen ist hier vieles umstritten, Reichelt weist den Vorwurf zurück.
Vertragliche Pflichten verletzt?
Reichelt wurde nun gekündigt und zugleich wurde ein Abwicklungsvertrag mit ihm geschlossen. Er verzichtete darin auf eine Kündigungsschutzklage und erhielt im Gegenzug eine Millionenabfindung. Außerdem verpflichtete sich Reichelt dazu, keine Bild-Mitarbeiter:innen abzuwerben, keine Unterlagen mitzunehmen und dienstliche Dateien zu löschen.
Gegen solche vertraglichen Verpflichtungen soll Reichelt verstoßen haben. Deshalb hat ihn der Axel-Springer-Verlag beim Arbeitsgericht Berlin verklagt. Springer verlangt die Abfindung zurück. Außerdem müsse Reichelt Vertragsstrafen zahlen. Zusammen soll dies nach Agenturangaben einen siebenstelligen Betrag ergeben.
An diesem Freitag findet ein so genannter Gütetermin statt. Dabei versucht die Vorsitzende Richterin, im Gespräch mit beiden Seiten eine einvernehmliche Lösung zu finden. Wenn dies nicht gelingt, kommt es in einigen Wochen oder Monaten zur eigentlichen mündlichen Verhandlung der Kammer.
Reichelts Anwälte haben für den Gütetermin substantielle Einlassungen angekündigt. Reichelt wird wohl bestreiten, dass er Verpflichtungen verletzt hat. So dürfte er argumentieren, dass er keine Bild-Mitarbeiter abgeworben hat, vielmehr seien ihm diese unaufgefordert zu seiner neuen Firma Rome Media gefolgt.
Über den Verlauf der mündlichen Verhandlung unter dem Titel "Schlechte Karten für Axel Springer" berichtet LTO hier:
Strafanzeige und Ermittlungen
Belastet ist das Verfahren allerdings dadurch, dass Springer neben der arbeitsrechtlichen Klage zudem Strafanzeige gegen Reichelt gestellt hat. Auch dabei geht es nicht um Reichelts Umgang mit den Kolleginnen, sondern um Betrug im Zusammenhang mit dem Abwicklungsvertrag. Anfang April hat die Staatsanwaltschaft Berlin ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen Reichelt eingeleitet, weil ein Anfangsverdacht bestehe. Dieses Verfahren dauert noch an und die Ermittler wollen zu dessen Inhalt nichts sagen.
Vermutlich wird Reichelt beschuldigt, er habe bei Vertragsschluss nur vorgetäuscht, dass er sich an die Verpflichtungen halten will, um damit einen Vermögensvorteil (die Abfindung) zu erhalten. Dies könnte strafrechtlich ein Betrug sein.
Das arbeitsgerichtliche Verfahren wird sich also mit Fragen beschäftigen, die auch für das Strafverfahren von großem Interesse sind. Allerdings erklärte die Staatsanwaltschaft auf Anfrage: "Die Inhalte des arbeitsrechtlichen Verfahrens sind hier nicht bekannt." Das wird sich aber vermutlich noch ändern.
Daneben laufen im Zusammenhang mit der Affäre auch noch Verfahren, bei denen Reichelt selbst Kläger ist. So erwirkte Reichelt eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg gegen die NDR-Sendung Reschke-Fernsehen. Darin werden dem NDR elf von sechzehn monierten Äußerungen untersagt, insbesondere Zitate von Frauen, die anonymisiert gegen ihn aussagten.
Laut Reichelts Anwalt Dr. Ben Irle ist vor allem der "schwerwiegendste aller Vorwürfe" als "frei erfunden und damit unwahr" widerlegt. So dürfe der NDR nicht mehr den "Sex on Demand"-Vorwurf erheben, wonach Julian Reichelt eine Mitarbeiterin um 2 Uhr morgens per Textnachricht aufgefordert haben soll, sofort in sein Hotelzimmer zu kommen, wo es dann zum schnellen Sex gekommen sei. Reichelt könne anhand von Chatverläufen nachweisen, dass die Initiative von ihr ausging.
Der NDR betont dagegen, dass er den zentralen Vorwurf des "Machtmissbrauchs" weiter erheben darf. Der NDR hatte zudem Widerspruch gegen die Unterlassungs-Verfügung angekündigt. Er hat den Widerspruch aber noch nicht eingelegt, das Vorgehen werde noch geprüft, heißt es beim Sender.
Stattdessen hat der NDR die Sendung wieder in die Mediathek eingestellt, mit 14 Pieptönen von bis zu 30 Sekunden Länge. Von den Aussagen der Frauen ist in der Sendung derzeit wenig zu hören. Zu sehen ist aber noch Irles Kanzleipartner Christian-Oliver Moser, der einige der Betroffenen vertritt und völlig unabhängig von Irle agiert. Moser bestätigte dem NDR, dass es um eine zweistellige Zahl von Frauen geht, mit denen er teilweise selbst gesprochen habe. "Es ist nicht so, dass es sich hier um einen Einzelfall oder ganz wenige Einzelfälle handelte, sondern meines Erachtens war das schon ein Fall des systematischen Machtmissbrauchs."
Schon Ende März hatte das Landgericht Hamburg den NDR zur Ausstrahlung einer Gegendarstellung Reichelts verpflichtet, die aber noch nicht erfolgt ist. In diesem Verfahren hat der Sender bereits Widerspruch eingelegt.
Auch mit dem Spiegel hatte Reichelt schon prozessiert. Nach einer Entscheidung des OLG Hamburg aus dem Januar durfte der Spiegel-Artikel "Vögeln, fördern, feuern" mit einer redaktionellen Ergänzung aber wieder online gehen. Für den arbeitsrechtlichen Prozess sind die äußerungsrechtlichen Auseinandersetzungen vermutlich ohne Belang.
Team Reichelt und Team Springer
Ben Irle hat für die Rechtsvertretung Reichelts ein Team zusammengestellt, bei dem er selbst das Äußerungsrecht bearbeitet und die Medien betreut. Für das Strafverfahren sind die Verteidiger:innen Katharina Dierlamm und Prof. Dr. Alfred Dierlamm verantwortlich. Und vor dem Arbeitsgericht wird Dr. Stephan Pötters von der Frankfurter Kanzlei Seitz auftreten.
Der Axel-Springer-Verlag wird laut Handelsblatt strafrechtlich durch Hanns Feigen vertreten und arbeitsrechtlich durch Christian Hoefs von Hengeler Mueller.*
*Ergänzt am Tag der Veröffentlichung 18:45 Uhr
Richtigstellung nach dem Gütetermin am 9. Juni: Reichelt wurde von Springer gekündigt. Der Vertrag ist daher ein Abwicklungsvertrag (und kein Aufhebungsvertrag).
Springer versus Reichelt: . In: Legal Tribune Online, 08.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51951 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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