SPD-Reform: Eine Pille für Deutschlands älteste Partei

Die SPD krankt: Die letzte Bundestagswahl verloren, der tiefste Mitgliederstand seit Kriegsende und die Grünen auf der Überholspur. Vor allem mit der Öffnung der Partei für Nichtmitglieder will ihr Vorsitzender Gabriel den Genesungsprozess einleiten, am Montag berät die SPD-Spitze. Eine Reform ist aber nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen zu haben, meint Sebastian Roßner.

Den alten Volksparteien wird oft bescheinigt, in einer Krise zu stecken, teilweise wird gar das Totenglöckchen geläutet. Eine schrumpfende und alternde Mitgliedschaft gilt als sichtbarer Ausweis des schlechten Befindens. Vielleicht noch bedrohlicher ist der Verlust ihrer Stellung als primäre Foren des politischen Diskurses.

Natürlich hängt beides, Mitgliederentwicklung und intellektueller Bedeutungsschwund miteinander zusammen: Mit politischen Parteien assoziiert man allzuoft Hinterzimmer rustikal eingerichteter Gaststätten, spärlich belebt von ergrauten Mitgliedern, die über den Kampf um Willy Brandts Ostpolitik zu ihrer Partei gekommen sind. Es ist nicht mehr chic, Parteimitglied zu sein. Damit aber verlagert sich auch ein wesentlicher Teil des öffentlichen politischen Diskurses in andere Arenen.

Diese allgemeine Misere wäre bereits Grund genug für die Chefs von Union und SPD, über  Parteireformen nachzudenken. Sigmar Gabriel und seine Generalin Andrea Nahles aber haben  spezifische Gründe, über ein Umgestaltung ihrer Partei nachzudenken: Die katastrophale Niederlage bei der Bundestagswahl 2009, Gabriels im selben Jahr gegebenes Versprechen einer Parteireform und den tiefsten Mitgliederstand seit Kriegsende. Verabschiedet werden soll das Reformpaket auf dem Ende des Jahres stattfindenden Parteitag.

Straffung der Parteiführung, Frischzellenkur durch Öffnung für Nichtmitglieder

Wie aber haucht man scheintoten Organisationen neues Leben ein? Der erhoffte Jungbrunnen Parteireform hat nach den bisher bekannt gewordenen Vorschlägen der Parteiführung zwei Komponenten.

Da wäre zum Ersten eine Straffung der Parteiführung. Dazu soll die Mitgliederzahl des Parteivorstandes von 45 auf 20 Personen gesenkt werden. In ähnlicher Weise soll es eine Verkleinerung des Parteipräsidiums als dem geschäftsführenden Teil des Vorstandes von 17 auf neun Mitglieder geben.

Der Parteirat, ein Gremium mit weitgehend integrativen und beratenden Funktionen, in dem neben Vertretern der Landesverbände und der Bundesführung etwa auch die Vorsitzenden des Senioren- und des Gewerkschaftsrates sowie der Arbeitsgemeinschaften auf Bundesebene sitzen, soll durch einen Länderrat ersetzt werden. Diesem sollen die Vorstände der Bundestags- und der Landtagsfraktionen sowie der Bundespartei, die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, die Führung der SPD-Gruppe im Europäischen Parlament sowie die etwaigen sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung angehören.

Zum Zweiten soll es eine Frischzellenkur durch Verstärkung basisdemokratischer Elemente und eine weitere Öffnung der Partei für Nichtmitglieder geben. Es geht dabei um die Möglichkeit, die Kür der Kandidaten für staatliche Ämter, vom Bürgermeister bis zum Bundeskanzler, durch die Parteibasis und durch interessierte Nichtmitglieder vornehmen zu lassen. Geplant ist, dass Nichtmitglieder, die auch keiner anderen Partei angehören, sich für diese Wahlen einschreiben können. Ob derartige Vorwahlen durchgeführt werden, soll der Vorstand der jeweiligen Gliederungsebene der Partei entscheiden.

Effizienzsteigerung mit der Gefahr weiterer Abkoppelung von der Basis

Die Straffung der Parteiführung macht aus Sicht der Berliner Zentrale Sinn: Ein Vorstand in halber Kompaniestärke ist für ein Arbeitsgremium zu schwerfällig. Auch das Präsidium, gegenwärtig im Umfang einer starken halben Schulklasse, ist für einen geschäftsführenden Ausschuss zu unhandlich. Hier verspricht die Reform eine Steigerung der Effizienz.

Zugleich würde der Vorstand endgültig professionalisiert. Für Mitglieder, die Politik nicht zu ihrem Beruf gemacht haben, bliebe  kein Platz mehr. Dies trifft natürlich auch für die Ablösung des Parteirats durch den Länderrat zu, in dem nur noch politisch gewichtige Vollprofis sitzen werden.Während der Parteirat bislang ein Dasein als politisches Mauerblümchen führte, könnte der Länderrat zu einem wichtigen Koordinierungsinstrument werden.

Als Kehrseite der Effizienzsteigerung wird es noch schwerer werden, in zentrale Führungsgremien gewählt zu werden, in denen die Parteielite künftig ganz unter sich bleibt. Dies könnte zu einer weiteren Abkoppelung der Führung von ihrer Basis führen.

Kandidaten von außerhalb schwächen Mitbestimmungsrechte der Mitglieder

Der zweite Teil der Reform zielt darauf, im Gegenzug diese Basis durch Vorwahlen zu aktivieren und zu verbreitern: Vorwahlen etwa in der Kanzlerkandidatenfrage würden die SPD im Vorfeld von Bundestagswahlen in die Schlagzeilen bringen und zu einer Mobilisierung ihrer Anhänger führen. Allerdings entwertet eine Öffnung der Kandidatenkür für Nichtmitglieder auch die Parteimitgliedschaft. Sinkt jedoch der Anreiz für eine Mitgliedschaft, leidet auch die Leistungsfähigkeit der Parteiorganisation. Zugleich verschärfen Vorwahlen tendentiell die politische Auseinandersetzung. Beides lässt sich am amerikanische Beispiel ablesen.

Vorwahlen sind auch rechtlich nicht ohne Risiken: Art. 21 Abs. 1 S. 3 Grundgesetz (GG) verpflichtet die Parteien auf innere Demokratie. Sie sind in der Konzeption des GG politische Instrumente ihrer Mitglieder, die entsprechende demokratische Mitbestimmungsrechte innerhalb der Partei genießen. Wird die Kandidatenkür auf Nichtmitglieder ausgeweitet, schwächt das faktisch in einer wichtigen Frage die Rechte der Mitglieder: Ein Kandidat kann an den Mitgliedern vorbei oder sogar gegen sie eine außerparteiliche Mehrheit gewinnen und sich so von innerparteilichen Einflüssen unabhängig machen.

Andererseits dürfen Parteien ihre innere Ordnung selbst gestalten, wie sich aus der Parteienfreiheit nach Art. 21 GG ergibt. Die innere Demokratie sichert den Parteimitgliedern dabei aber zwei unabdingbare Rechte: Das hier nicht berührte Recht auf Wahl der Parteifunktionäre und, über die Zuständigkeit, Satzung und Programm zu gestalten, ein Letztbestimmungsrecht in Grundsatzfragen.

Wenn eine Partei demokratisch beschließt, das Recht zur Aufstellung von Kandidaten für staatliche Wahlen auch an Nichtmitglieder zu verleihen, ist dies daher wohl solange mit der innerparteilichen Demokratie vereinbar, wie die Mitglieder nicht zugleich die Möglichkeit aus der Hand geben, diese Verleihung wieder rückgängig zu machen. Danach verstieße die geplante SPD-Reform nicht gegen Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG.

Bei fehlerhafter Kandidatenkür droht Ungültigkeit der Wahl

Ein zweites rechtliches Risiko der Vorwahlpläne besteht darin, dass eine fehlerhafte Kandidatenaufstellung durch die Partei auch die entsprechenden staatlichen Wahlen ungültig machen kann, wie das Beispiel der Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft von 1991 zeigt. Wegen schwerer Fehler bei der Aufstellung der Kandidaten durch die CDU wurde die Wahl für ungültig erklärt.

Da das Verfahren der Vorwahl kompliziert ist, entstehen Fehler leichter, die vor allem dann die staatlichen Wahlen kontaminieren dürften, falls die Regulierung der Vorwahl oder ihre zentrale Organisation mangelhaft ist, der Wahlfehler also flächendeckend auftritt. Nicht ohne Grund werden Vorwahlen in den meisten Staaten der USA staatlich reguliert und durchgeführt.

Da aber die Entscheidung für Vorwahlen vom jeweils zuständigen Parteivorstand getroffen werden soll, lässt sich das Risiko dosieren: Macht die SPD schlechte politische oder rechtliche Erfahrungen, werden die Nichtmitglieder bei der nächsten Kandidatenkür wieder ausgeschlossen.

Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Heinreich-Heine-Universität Düsseldorf.

 

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Zitiervorschlag

Sebastian Roßner, SPD-Reform: . In: Legal Tribune Online, 27.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3591 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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