Nicht nur die USA suchen den Geheimdienstkenner, auch die Reporter sind auf der Jagd nach dem Mann. Derweil fehlt jede Spur. Kai Peters, Experte für internationales Strafrecht, erklärt im LTO-Interview, wann ein Staat jemanden ausliefert, dass ein ungültiger Reisepass damit überhaupt nichts zu tun hat und ob Deutschland Snowden wohl Asyl gewähren würde.
LTO: Wahrscheinlich hält sich Edward Snowden noch in Moskau auf. Die USA bestehen auf seiner Auslieferung, Russland weigert sich. Warum sollte überhaupt irgendein Land den ehemaligen Mitarbeiter diverser Unternehmen, die für den amerikanischen Geheimdienst NSA tätig waren, an die USA ausliefern? Hat er sich denn wirklich strafbar gemacht?
Peters: Die Informationen sind bisher alle sehr vage. In Medienberichten ist davon die Rede, dass die USA ihm Spionage vorwerfen.
LTO: Unter Spionage versteht man in der Regel aber doch eher den Verrat von Staatsgeheimnissen an eine fremde Macht. Das passt hier ja nicht so recht, schließlich Snowden hat die Informationen über die Abhörmaßnahmen der NSA ja an die Öffentlichkeit weitergegeben?
Peters: Genau, das hängt dann davon ab, wie die Strafvorschriften in den USA genau formuliert sind. Es geht da um den Espionage Act von 1917. Der ist auch die Basis der Vorwürfe, die in den USA gegen den Wikileaks-Gründer Julian Assange erhoben werden. Da geht es allerdings in erster Linie um militärische Sachverhalte.
"Ohne Abkommen ist gegenseitige Strafbarkeit Voraussetzung für Auslieferung"
LTO: Wäre Russland, wenn er denn noch dort ist, verpflichtet, Snowden auszuliefern? Wann liefert ein Staat jemanden an ein anderes Land aus?
Peters: Zunächst kommt es ganz grundsätzlich darauf an, ob die Länder einen Auslieferungsvertrag geschlossen haben. Das ist bei den USA und Russland nicht der Fall. Damit besteht per se keine Verpflichtung Russlands, Snowden auszuliefern.
Alles Weitere richtet sich allein nach nationalem Recht. Dann ist es am Ende immer eine politische Entscheidung, ob eine Auslieferung erfolgt oder nicht. Das heißt, das nationale Auslieferungsrecht regelt ausschließlich, wann eine Auslieferung unzulässig ist. Dass sie von Rechts wegen zulässig wäre, heißt noch lange nicht, dass ausgeliefert werden muss.
LTO: Unter welchen Voraussetzungen ist eine Auslieferung denn in der Regel unzulässig?
Peters: Im Grunde kennen alle Auslieferungsordnungen der Welt eine Voraussetzung: die gegenseitige Strafbarkeit. Der Sachverhalt, um den es geht, muss so, wie er in dem Auslieferungsersuchen geschildert wird, nach dem Recht beider Staaten strafbar sein. Allerdings müssen sich die Strafvorschriften nicht entsprechen. Es würde in Snowdens Fall also ausreichen, dass die Veröffentlichung der Abhörmaßnahmen nach irgendeiner Norm in Russland strafbar ist – das muss nicht Spionage sein.
LTO: Müsste Deutschland denn nach diesem Kriterium ausliefern? Hätte sich Snowden also nach deutschem Recht strafbar gemacht?
Peters: Das erscheint zweifelhaft. In Betracht käme wohl in erster Linie eine Strafbarkeit wegen Landesverrat. Dieser Straftatbestand ist nicht nur dann einschlägig, wenn Staatsgeheimnisse an eine fremde Macht mitgeteilt werden, sondern kann auch erfüllt sein, wenn ein Staatsgeheimnis öffentlich bekanntgemacht wird. Allerdings muss der Täter hierbei die Absicht verfolgen, dass die Bundesrepublik benachteiligt oder eine fremde Macht begünstigt wird. Ob diese Voraussetzung im Hinblick auf Herrn Snowden gegeben ist, bezweifle ich.
"Ungültiger Reisepass hat nichts mit Auslieferung zu tun"
LTO: Die USA behaupten nun wohl, Russland sei auch ohne Abkommen zu einer Auslieferung verpflichtet. Und zwar weil Snowden keinen gültigen Reisepass mehr habe – den hatte ihm die USA zuvor annulliert. Was hat denn ein gültiger Pass mit einer Auslieferungspflicht zu tun?
Peters: Eigentlich gar nichts. Eine Auslieferung ist die Überstellung eines Verfolgten an einen anderen Staat zum Zwecke der Strafverfolgung. Ob er einen Reisepass hat oder nicht, spielt in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle. Wenn eine Person nicht im Besitz gültiger Dokumente ist, kann das aber für den Staat, in dem sich die Person aufhält, ein Grund sein, diese nach dem Ausländerrecht auszuweisen. Das ist aber dann lediglich das Gebot, das Territorium des Staates zu verlassen.
LTO: Egal wohin?
Peters: Genau. Das hat mit einer Auslieferung an ein bestimmtes Land nichts zu tun.
"Hong-Kong hätte Snowden inhaftieren können"
LTO: Zunächst war Snowden ja nach Hong-Kong eingereist. Dort hat man eine Auslieferung verweigert und darauf verwiesen, dass der Auslieferungsantrag der USA nicht vollständig gewesen sei. Geht das so einfach?
Peters: Ja, das kommt durchaus vor. Basis für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Auslieferung ist der vorgeworfene Sachverhalt, so wie er in den Auslieferungsunterlagen mitgeteilt wird. Wenn in Hong-Kong aber eine ganze andere Strafvorschrift als in den USA einschlägig sein könnte, kann es sein, dass nicht alle notwendigen Details geschildert worden sind. Dann bleiben Fragen offen, die erst geklärt werden müssen, bevor über eine Auslieferung entschieden werden kann. Das Land darf die Auslieferung dann nicht einfach ablehnen, sondern muss dem ersuchenden Staat die Gelegenheit geben, nachzubessern.
LTO: Muss der Staat solange dann auch verhindern, dass die Person ausreist?
Peters: Üblicherweise wird die Person in Haft genommen, solange ein Auslieferungsverfahren läuft, um genau das zu verhindern. Es kann schon etwas misslich sein, wenn Nachfragen erforderlich sind, weil das sehr lange dauern kann, etwa wegen erforderlicher Übersetzungen.
LTO: Hong-Kong hätte Snowden also eigentlich in Haft nehmen müssen?
Peters: Können. Verpflichtet war es dazu nicht. Manche Staaten machen die Auslieferung im Übrigen auch davon abhängig, dass ein hinreichender Tatverdacht nachgewiesen wird. Es genügt dann also nicht, den Sachverhalt einfach nur mitzuteilen, es müssen Beweise vorgelegt werden. In Deutschland ist das nicht so, in den USA schon – ein Gericht prüft dort dann im Rahmen des Auslieferungsverfahrens die Plausibilität der Beweise.
LTO: Die USA sind selbst also recht streng?
Peters: Ja, die USA liefern zum Beispiel auch nur aus, wenn ein Auslieferungsabkommen vorliegt. Ohne Vertrag liefern die nicht aus.
"Mit Ecuador hatte ja schon Assange gute Erfahrungen gemacht"
LTO: Snowden hat wie bereits Julian Assange in Ecuador einen Asylantrag gestellt. Wieso wiederum Ecuador?
Peters: Ich könnte mir vorstellen, dass er sich tatsächlich an Assange orientiert hat, der dort ja gute Erfahrung gemacht hat.
LTO: Würde Deutschland Snowden Asyl gewähren?
Peters: Ein Recht auf Asyl hat man in Deutschland nur, wenn man politisch verfolgt wird. Es würde Snowden wahrscheinlich schwer fallen, das nachzuweisen.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Rechtsanwalt Kai Peters ist Strafverteidiger und Partner der Rechtsanwaltskanzlei Ignor & Partner in Berlin.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Jagd auf Edward Snowden: . In: Legal Tribune Online, 27.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9025 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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