Strafbare Smartphone-Aufnahmen: Darf man Poli­zei­ein­sätze filmen?

von Dr. Markus Sehl

26.10.2021

Wer Polizeibeamte bei Einsätzen filmt, dem droht Strafverfolgung. Aber wie urteilen eigentlich die Gerichte, was hat eine Entdeckung im Strafgesetzbuch damit zu tun, und wann ist mit einer Grundsatzentscheidung zu rechnen?

Wenn die Polizei zu einem Einsatz eintrifft, sieht sie sich immer häufiger bereits gezückten Smartphones gegenüber. Betroffene oder Passanten filmen, was vor Ort passiert. Sie wollen dokumentieren – für alle Fälle. Als der Afroamerikaner George Floyd 2020 bei einer Festnahme in der US-amerikanischen Stadt Minneapolis von einem weißen Polizisten getötet wurde, hätte der Prozess wahrscheinlich einen anderen Verlauf genommen, er hätte nicht die gleiche Diskussion über Polizeigewalt ausgelöst, wenn es nicht die Smartphone-Videoaufnahmen von der Tat gegeben hätte. Auch in Deutschland gibt es Fälle , in denen Menschen mutmaßliche Übergriffe durch die Polizei in Bild und Ton festhalten wollen. Allerdings, wer Polizeieinsätze filmt, dem droht Strafverfolgung.

Polizei und Staatsanwaltschaft stützen sich dabei seit noch nicht allzu langer Zeit auf § 201 des Strafgesetzbuchs (StGB). Die Vorschrift bestraft denjenigen, der vertrauliche Gespräche ohne Zustimmung aufzeichnet. Dem Paragrafen geht es um die Tonaufzeichnung, nicht um das Bild. 

Die Rechtslage rund um die Aufzeichnung von Polizeieinsätzen ist alles andere als klar. Es gibt Gerichte, die die Aufnahmen für strafbar halten und jene, die das Aufzeichnen als straffrei einschätzen. Wie so oft im Recht gilt: Es kommt drauf an. Zuletzt hatte Anfang Oktober das Landgericht (LG) Osnabrück die Strafbarkeit einer Aufnahme abgelehnt und grundsätzliche Aussagen getroffen: Die 10. Große Strafkammer entschied, dass der Schutzgedanke der Vorschrift gar nicht auf Handlungen der Polizei passe.

Verfahren im Zusammenhang mit Videoaufnahmen bei Polizeieinsätzen sind nichts völlig Neues. Mit der Verbreitung technisch immer verfeinerter Smartphones haben sie über die letzten Jahre zugenommen. Regelmäßig beschlagnahmen Polizistinnen und Polizisten Smartphones, wenn sie bemerken, dass sie gefilmt werden und von einer vertraulichen Situation ausgehen. Wenn sich die Betroffenen dann gegen die Beschlagnahme wehren, landen die Fälle vor Gericht.

Eine Entdeckung im Strafgesetzbuch

Für einige Zeit griffen Polizei und Staatsanwaltschaft in diesen Fällen aber nicht auf das StGB zurück, sondern auf einen Straftatbestand im Kunsturhebergesetz (KunstUrhG). Die § 22 und § 33 KunstUrhG bestrafen denjenigen mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, der ein Bildnis von jemanden ohne dessen Einwilligung verbreitet. Die Strafbarkeit knüpft also nicht an die Aufnahme an, sondern erst an ein späteres Verbreiten. Strafbar war das Aufnehmen, wenn die Aufnahme anschließend etwa im Internet hochgeladen wurde.

2015 markierte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eine Zäsur. Das Karlsruher Gericht erreichte ein Fall, in dem bei einer Demonstration Polizisten aus nächster Nähe gefilmt wurden. Die Polizei hatte argumentiert, es sei davon auszugehen, dass die Aufzeichnungen gemacht worden seien, um sie später auch zu veröffentlichen.

Diese Argumentation räumte das BVerfG mit seinem Beschluss aus. Es drohe eine abschreckende Wirkung, wenn "das Anfertigen von Lichtbildern oder Videoaufnahmen eines Polizeieinsatzes unter Verweis auf die bloße Möglichkeit einer nachfolgenden strafbaren Verletzung des Rechts am eigenen Bild (…) genügen sollten, um polizeiliche Maßnahmen (…) durchzuführen." Die Annahme, dass eine Aufzeichnung einer späteren Veröffentlichung dienen solle, reiche für einen Strafbarkeitsvorwurf nun nicht mehr aus.

Prof. Dr. Fredrik Roggan von der Hochschule der Polizei Brandenburg beobachtete in der Folge eine "Ausweichbewegung". Plötzlich beriefen sich Polizei und Staatsanwaltschaften nicht mehr auf das KunstUrhG, sondern auf den § 201 StGB.  

Kriminologe: "Die Polizei sucht einen Hebel, um in der Praxis gegen das Filmen ihrer Einsätze vorgehen zu können."

Ein erstaunlicher Vorgang, findet auch Prof. Dr. Tobias Singelnstein, Kriminologe von der Ruhr-Universität Bochum. Er fragt sich: "Warum hat vor der Entscheidung des BVerfG der § 201 StGB in solchen Fällen nie eine Rolle gespielt? Warum kommen die Staatsanwaltschaften dann plötzlich auf die Idee diesen Paragraphen zu aktivieren?" Singelnstein ist überzeugt, dass die Videoaufnahmefälle in einen Straftatbestand gepresst werden, für den die Vorschrift gar nicht vorgesehen ist. "Die Polizei sucht einen Hebel, um in der Praxis gegen das Filmen ihrer Einsätze vorgehen zu können."

Roggan hält von vornherein § 201 StGB bei Filmaufnahmen von Polizeieinsätzen für grundsätzlich nicht anwendbar. "Die Vorschrift will offensichtlich die Unbefangenheit des Gesprächs schützen, die Flüchtigkeit von Worten. Dafür sehe ich in der polizeilichen Kommunikation aber keinen Raum." Was Polizistinnen und Polizisten im Dienst tun, sei immer schon auf Kontrollierbarkeit ausgerichtet. Ihre Handlungen könnten später vor einem Verwaltungsgericht überprüft werden, viele Maßnahmen wie Personenfeststellungen seien streng formalisierte Vorgänge, Belehrungen im Übrigen formelhaft. Dienstgespräche der Polizei passten, so Roggan, nicht in das System der Strafnormen unter dem Abschnittstitel "Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs". 

Außerdem weist Roggan darauf hin, dass der Gesetzgeber der Polizei – in NRW etwa über § 15 c Polizeigesetz – die Möglichkeit verschafft habe, an öffentlichen Orten ihre Body-Cam einzusetzen. Das bestätige, dass es sich bei dienstlich gesprochenen Worten von Polizeibeamten mit einem Bürger niemals um nichtöffentlich gesprochene Worte handeln könne. 

Eine Ausnahme will Roggan machen, wenn es sich um rein innerdienstliche Beratungen handelt oder wenn während des Dienstes Polizisten miteinander über Privates sprechen und ihr Gespräch aufgezeichnet wird.  

Diese Richtung schlägt im Ergebnis auch die Entscheidung des LG Osnabrück von Ende September 2021 ein: Die Vorschrift des § 201 StGB diene der verfassungsrechtlich garantierten freien Entfaltung der Persönlichkeit durch Gewährleistung der Unbefangenheit der mündlichen Äußerung. "Eines Schutzes der Unbefangenheit bedarf ein Amtsträger, dessen Handeln rechtlich gebunden ist und als solches der rechtlichen Überprüfung unterliegt, indes nicht", heißt es in der Entscheidung. Äußerungen im Zusammenhang mit Diensthandlungen der Polizei an öffentlich zugänglichen Orten seien als faktisch öffentlich einzustufen. Dort müsse mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden. Damit fehlt es nach Auffassung des LG generell an der Voraussetzung des "nicht-öffentlich", also vertraulich gesprochenen Wortes, das § 201 StGB voraussetzt. Die Aufzeichnung solcher Gespräche wäre grundsätzlich erlaubt. Die Richterinnen und Richter wollen nach der konkreten Situation unterscheiden. Schirmen sich die Polizistinnen und Polizisten etwa zu einer Lagebesprechung ab, könne das dort Gesprochene geschützt sein.

Das sagen die Gerichte

Die bisherige Rechtsprechung der Gerichte zu den Aufnahmen fällt nicht einheitlich aus, mittlerweile scheint sich aber eine Linie abzuzeichnen. Zu verzeichnen sind rund ein halbes Dutzend Entscheidungen. Soweit ersichtlich hatten sich 2019 als erste Gerichte das Amtsgericht (AG) und das LG München mit dem § 201 StGB und Polizeieinsätzen befasst. Verurteilt wurde eine Angeklagte, weil sie eine verbale Auseinandersetzung zwischen einem Demonstrationsteilnehmer und einem Polizeibeamten gefilmt hatte. Unerheblich sei, so das LG München, dass die Worte auf öffentlichem Verkehrsgrund gefallen seien. Entscheidend sei vielmehr gewesen, dass die Polizeibeamten die Person zur Seite genommen haben. Die Beamten hätten ihre Worte ausschließlich an diese Person gerichtet, dass auch noch eine weitere Person anwesend war, sei unerheblich gewesen. Für eine "faktische Öffentlichkeit" reichte das dem LG nicht. 

Ähnlich sah es Ende 2020 das LG Frankenthal, das die Beschlagnahme eines Smartphones bestätigte, weil der Anfangsverdacht für § 201 StGB vorlag. Gefilmt hatte jemand einen Polizeieinsatz auf einer Straße in Ludwigshafen am Rhein. Mit seiner Entscheidung pro Strafbarkeit setzte sich das LG von der Vorinstanz ab. Das AG Frankenthal hatte recht ausführliche Begründungen gegen eine Anwendbarkeit der Strafvorschrift im öffentlichen Raum aufgeboten: "Bestehen daher bei Gesprächen Mithörmöglichkeiten Dritter, kann insbesondere eine "faktische Öffentlichkeit" bestehen, die regelmäßig auf öffentlichen Plätzen zu bejahen ist. Nach dem Vorgenannten ist eine dienstliche Äußerung eines Polizeibeamten gegenüber einer Person im Rahmen eines Einsatzes unter freiem Himmel regelmäßig keine 'nichtöffentliche' Äußerung." 

Das LG Kassel, das LG Aachen und zuletzt das LG Osnabrück haben Zweifel, ob § 201 StGB ohne weiteres für das Aufzeichnen von Polizeieinsätzen Anwendung finden kann. Das LG Kassel geht in seiner Entscheidung von 2019 davon aus, dass das Aufzeichnen von Personenkontrollen durch die Polizei im öffentlichen Raum kein nicht-öffentliches Gespräch darstelle. Es geht sogar noch einen Schritt weiter. Selbst wenn, dürften nur die Angaben der kontrollierten Person schützenswert sein. Es würde also darauf ankommen, ob der oder die Betroffene mit den Aufnahmen einverstanden wäre. Die geäußerten Fragen der Polizeibeamten hingegen hätten nur "einen hinführenden Charakter ohne eigenen nennenswerten Erklärungsgehalt; was damit gemeint ist, dass die Polizei Personalien erhebt, ist ohnehin jedermann geläufig", so das LG Kassel.

Bei Unterschieden im Einzelnen scheint sich die Auffassung unter den Gerichten durchzusetzen, dass mit Ton gefilmte Gesprächssituationen zwischen Polizeibeamten und Bürgern im öffentlichen Raum regelmäßig nicht nach dem § 201 StGB strafbar sind. Wenn die Beamtinnen bzw. Beamten vor Ort eine abgeschirmte Gesprächssituation erzeugen, wird das anders zu bewerten sein. Vor allem wenn sie dann miteinander oder mit ihrer Zentrale über die Einsatzlage sprechen.

Wo bleibt die Grundsatzentscheidung?

In die nächsthöhere Instanz der Oberlandesgerichte hat es ein solcher Fall noch nicht geschafft. In den Fällen, in denen es vor Gericht nur um die Beschlagnahme eines Smartphones ging, gibt es nur zwei Instanzen: Das AG entscheidet zuerst; wird dagegen Beschwerde eingelegt, ist das LG dran. Und damit ist auf dem Instanzenweg Schluss.

Anders sieht es in den Fällen aus, in denen die Staatsanwaltschaft wegen § 201 StGB anklagt. Dann könnte über Berufung und Revision ein solcher Fall auch ein OLG – oder sogar den Bundesgerichtshof erreichen. Solche Anklagen, die es zu Gericht schafften, gibt es nicht viele. In dem Verfahren, das die Frankenthaler Gerichte beschäftigte, hat die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl beantragt.

Im Fall beim LG München 2019 entschied sich der Angeklagte dagegen, das Verfahren in die nächste Instanz zu bringen. Im Fall des LG Aachen dürfte der Angeklagte mit der Entscheidung zufrieden gewesen sein, und auch die Staatsanwaltschaft wollte das Verfahren offenbar nicht weitertreiben. Und so wird es noch dauern, bis eine Entscheidung der nächsten Instanz mehr Klarheit in die Rechtslage bringt.

Zitiervorschlag

Strafbare Smartphone-Aufnahmen: . In: Legal Tribune Online, 26.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46459 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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