Wie sollte man bei Verdacht auf Korruption im eigenen Haus vorgehen, um vor allem finanziellen, rechtlichen und reputationellen Schaden weitestgehend abzuwenden? "Sicher handeln bei Korruptionsverdacht – Leitfaden zur schnellen Aufklärung in der Praxis" von Edgar Joussen liefert Unternehmen eine nützliche und verständlich geschriebene Anleitung.
Korruption in der Form von Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilsgewährung oder –annahme, unlauteren Preisabsprachen mit Mitbewerbern, Untreue u.a. kann von Mitgliedern der Geschäftsleitung oder Mitarbeitern sowohl zu Lasten des eigenen Unternehmens wie auch in einem falsch verstandenem Eigeninteresse des Unternehmens begangen werden. "Der Markt zwingt uns zur Hingabe von Gefälligkeiten; wir verlieren gegen unsere Wettbewerber, wenn wir es nicht auch tun", oder "Ich brauche diesen Auftrag, sonst muss ich Arbeitsplätze abbauen" sind die gängigen, aber völlig ungeeigneten Erklärungsversuche.
Seit Februar 1999 bzw. 2002 ist in Deutschland nicht nur die Inlands-, sondern auch die Auslandsbestechung von Amtsträgern wie auch von privaten Geschäftspartnern verboten und damit eine klare Situation geschaffen worden. Staatsanwaltschaften und Gerichte tun sich mit der Verfolgung von Auslandskorruption noch schwer, aber mehr und mehr Fälle werden verfolgt und die Sensibilität vor allem der Staatsanwaltschaften ist stark gestiegen.
Gestiegene Risiken durch Korruption
Einige spektakuläre Fälle, manche auch mit abgestimmtem Vorgehen der Behörden in mehreren Ländern, mit Verurteilungen von Mitarbeitern und massiven Vermögensfolgen für das Unternehmen selbst über Gewinnabschöpfungen etc. haben deutlich gemacht, dass neuerdings das Risiko bei Korruptionshandlungen signifikant erhöht ist.
Präventive betriebsinterne Maßnahmen wie Compliance Strukturen, Codes of Conduct, Corporate Social Responsibility etc werden in vielen Publikationen empfohlen, aber über das Verhalten von Unternehmens-Verantwortlichen bei aktuellen Verdachtsfällen gibt es bisher wenig Hilfe und insofern schließt dieser Leitfaden eine Lücke.
Das Buch ist klar strukturiert in der Form von elf "Bausteinen", mit Themen wie Informationsgewinnung, Interne Zuständigkeiten, Interne Voraufklärung, Daten- und Beweissicherung, Befragung von Mitarbeitern, Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden, Zivilrechtlicher Regress und schließlich Arbeitsrechtliches Vorgehen. Der Leitfaden enthält Fallbeispiele und Praxishinweise, und jeder Baustein schließt mit einer kurzen Zusammenfassung in Leitsätzen.
Mehr Schutz für die so genannten Nestbeschmutzer
Joussen macht zunächst klar, dass immer, wenn Verdachtsmomente auftauchen, eine institutionelle wie persönliche Verpflichtung zur Aufklärung besteht. Im ersten Baustein "Informationsgewinnung durch Ombudsman und Vertrauensanwalt" beschreibt Joussen, der jahrelange persönliche Erfahrung auf diesem Fachgebiet hat, besonders anschaulich, welche wirksamen zusätzlichen Möglichkeiten der Informationsgewinnung sich ein Unternehmen durch die Einsetzung eines Ombudsmannes schafft:
Hinweisgeber von innerhalb und außerhalb des Unternehmens vertrauen dem Ombudsman, weil er, vor allem wenn er Rechtsanwalt ist, effektiv Vertraulichkeit zusichern kann und doch dem Unternehmen die wichtigen, zur Aufklärung notwendigen Informationen liefern kann, wenn auch normalerweise in anonymisierter Form. Das ist extrem wichtig, weil der Hinweisgeber in Deutschland trotz vieler Vorschläge noch immer nicht ausreichend geschützt ist, sondern mit Repressalien rechnen muss und in manchen Kreisen bis heute in erster Linie als "Nestbeschmutzer" gesehen wird.
Dabei sind Kollegen und Nachbarn eines korrupten Mitarbeiters eine sehr wichtige Informationsquelle, da alle an einer Korruptionstat beteiligten Personen an einer Geheimhaltung interessiert sind und es eben keinen "unmittelbar Geschädigten" gibt, der Anzeige erstatten könnte. Manche Kommentatoren versuchen die Ablehnung des Hinweisgebers aus der deutschen Geschichte zu rechtfertigen, aber es ist höchst bedauerlich, dass diese kulturelle Neubewertung der aktiven Hilfe bei der Aufdeckung von Straftaten, die in den meisten Industrieländern stattgefunden hat, bisher in Deutschland nur sehr langsam vorankommt.
Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden: Je früher, desto besser
Eine schwierige Entscheidung, die in diesem Buch zumindest indirekt mehrfach angesprochen wird, ist die Frage, wie weit die Aufklärung intern vorangetrieben werden soll, ehe man die Ermittlungsbehörden einschaltet: Staatliche Ermittlungen gehen oft mit flächendeckenden Beschlagnahmen von Betriebsunterlagen einher und können so die betriebsinternen Arbeiten auch für längere Zeit erschweren; auf der anderen Seite besteht die ernste Gefahr, dass interne Ermittlungen den Verdächtigten bekannt werden und ihnen so die Gelegenheit geben, ihre Spuren zu verwischen und Beweismaterial verschwinden zu lassen.
Der Leitfaden enthält viele nützliche Gedanken hierzu. Begrüßenswert die klare Feststellung, dass – Unternehmensreputation hin oder her – die staatlichen Strafverfolgungsbehörden immer eingeschaltet werden müssen, und zwar "so früh wie möglich".
Vielfältige Möglichkeiten beim arbeitsrechtlichen Vorgehen
Die Kapitel "Zivilrechtlicher Regress" und "Arbeitsrechtliches Vorgehen" (Bausteine zehn und elf) legen anschaulich dar, welche Möglichkeiten der Geschädigte hat, aber auch, wie komplex die Situation sein kann. Im Regress-Bereich muss man die verschiedenen Optionen Schadensersatz, Herausgabe und Vermögensarrest vernünftig einsetzen, aber auch etwa durch Fristenwahrung darauf achten, dass ein von der Staatsanwaltschaft angeordneter Verfall nicht Vermögenswerte auch zu Lasten des Geschädigten blockiert.
Arbeitsrechtliches Vorgehen gegen an Korruptionsaktionen beteiligte Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen kann ebenfalls verschiedene Formen annehmen: Zwischen Abmahnung und fristloser Kündigung gibt es die Instrumente der Verdachts- und der ordentlichen Kündigung und der einvernehmlichen Vertragsaufhebung, und natürlich muss man auch die sofortige Freistellung andenken. Vielfältige Überlegungen bei der Auswahl des optimalen Weges sind notwendig, etwa auch wann und wie der Betriebsrat eingeschaltet wird. Der Leitfaden bietet keine umfassende Abhandlung dieser beiden letztgenannten Materien, aber eine hilfreiche Einführung und erleichtert die Entscheidung darüber, wie man in der gegebenen Situation am vernünftigsten vorgeht.
Man merkt sehr schnell, dass der Autor Erfahrungen aus seiner eigenen anwaltlichen Praxis zusammen getragen hat. Dass die frühzeitige Einschaltung eines Rechtsanwalts bei der Verfolgung von Verdachtsfällen betont wird, ist sicherlich ein guter Rat. Insgesamt ist der Leitfaden klar und übersichtlich strukturiert, immens praktisch und ein nützliches Referenzinstrument.
Edgar Joussen, Sicher handeln bei Korruptionsverdacht – Leitfaden zur schnellen Aufklärung in der Praxis, 2010, Erich Schmidt Verlag, 34,95 Euro, ISBN-10: 3503126015
Der Rezensent Dr. jur. Michael H. Wiehen, LLM, ist Ethikbeauftragter bei Transparency International Deutschland.
"Sicher handeln bei Korruptionsverdacht" von Edgar Joussen: . In: Legal Tribune Online, 07.12.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2100 (abgerufen am: 19.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag