Ein Student schlägt einen Kommilitonen krankenhausreif. Wegen des mutmaßlich antisemitischen Tatmotivs wird auch die Uni kritisiert: Sie habe ihre Schutzpflichten verletzt. Nun solle sie den Angreifer exmatrikulieren. Wäre das zulässig?
Am vergangenen Freitag misshandelte ein Student einen Kommilitonen in Berlin-Mitte so brutal, dass dieser im Krankenhaus operiert werden musste. Bei dem Geschädigten handelt es sich um Lahav Shapira, den Bruder des Satirikers Shahak Shapira. Beide sind Juden und stammen aus Israel. Nach Angaben der Berliner Polizei hatte ein Kommilitone, "der eine pro-palästinensische Einstellung haben soll", Lahav Shapira abseits des Campus mehrfach ins Gesicht geschlagen. Nachdem dieser zu Boden gegangen war, soll ihn der Angreifer getreten haben – und zwar auch ins Gesicht, wie Lahav Shapira am Sonntag gegenüber dem israelischen Fernsehsender N12 News bekundete. Shahak zufolge gehe es seinem Bruder inzwischen aber wieder "okay".
Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen den Tatverdächtigen wegen gefährlicher Körperverletzung. Am Mittwoch teilte sie mit, dass sie die Tat derzeit "sowohl als antisemitisch als auch mit dem Nahost-Konflikt in Zusammenhang stehend" einstuft. Wegen dieses mutmaßlichen Hintergrunds hat der Fall in den letzten Tagen bundesweite Aufmerksamkeit erlangt. Heftige Kritik erfährt die Freie Universität (FU) Berlin, wo der Verdächtige zusammen mit Lahav Shapira studiert. Sein Bruder Shahak beanstandet, die Universitätsleitung habe Warnungen vonseiten Studierender nicht ernst genommen.
Hintergrund sind andauernde studentische Proteste an der FU Berlin im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg. Im Dezember hatten propalästinensische Aktivisten einen Hörsaal besetzt, proisraelische Gruppen werfen den Veranstaltern vor, israelbezogenen Antisemitismus und Hamas-Propaganda zu verbreiten. Zu diesen Kritikern zählt auch Lahav Shapira. Auch die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, Hanna Veiler, sieht eine Pflicht der Unis zum Schutz ihrer jüdischen Studierenden. "Universitätsleitungen muss klar sein, dass es in ihrer Verantwortung liegt, der Ausbreitung des Judenhasses an ihren Einrichtungen und unter ihrer Studierendenschaft den Nährboden zu nehmen", so Veiler gegenüber der Zeit.
Wegen des Angriffs auf Shapira fordert Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, eine Exmatrikulation des Angreifers – diese sei "alternativlos". Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, macht seine Forderung nach einem Rauswurf davon abhängig, dass sich der Vorwurf des Antisemitismus erhärte. Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) dagegen hält eine Exmatrikulation "aus politischen Gründen" für unangemessen, auch FU-Präsident Günter Ziegler zeigt sich im Interview mit dem Spiegel skeptisch. Wie sieht es rechtlich aus? Dürfte die FU Berlin den Angreifer überhaupt exmatrikulieren?
FU Berlin darf nicht exmatrikulieren
Wie die FU Berlin am Montag mitteilte, will sie im vorliegenden Fall "die möglichen juristischen Schritte im Rahmen des Hausrechts prüfen und gegebenenfalls ein Hausverbot durchsetzen". Eine Exmatrikulation hält sie dagegen für unzulässig, wie sie im Zusammenhang mit den Campus-Protesten auf ihrer Homepage angibt. Bis 2021 sei die Exmatrikulation noch als Mittel des "Ordnungsrechts" möglich gewesen, mit der Reform des Hochschulrechts in Berlin komme nur noch ein Hausverbot in Betracht.
Das beschreibt die Rechtslage in Berlin zutreffend – doch in anderen Bundesländern wäre ein Rausschmiss von antisemitischen Gewalttätern sehr wohl denkbar. Da Hochschulrecht Ländersache ist, unterscheiden sich die Regelungen erheblich.
Zentral ist im Ausgangspunkt: Es braucht eine explizite Regelung, um Studierende rauszuschmeißen. "Die Exmatrikulation beendet einen öffentlich-rechtlichen Status: Der Student ist dann nicht mehr Student, das Ausbildungsverhältnis beendet", sagt Rechtsprofessor Max-Emanuel Geis, an der FAU Erlangen-Nürnberg Direktor der Forschungsstelle für Wissenschafts- und Hochschulrecht, gegenüber LTO. Daher sei die Exmatrikulation ein Eingriff in die Ausbildung- und Berufsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz (GG) und stehe gemäß Abs. 1 S. 2 unter einem Gesetzesvorbehalt. Die Exmatrikulation ist also nur in den Fällen zulässig, die das Hochschulgesetz (HSG) vorsieht. "Oft ist die Exmatrikulation nur dann vorgesehen, wenn der Student Prüfungen nicht besteht oder die Semesterbeiträge nicht zahlt", so Geis. So sieht es auch § 15 des Berliner HSG vor.
Die Ordnungsmaßnahmen dagegen regelt § 16, nach dessen Abs. 2 das Präsidium alle "Maßnahmen gegen Störungen des geordneten Hochschulbetriebs durch Studierende treffen" darf, diese aber auf maximal drei Monate begrenzen muss. Da die Exmatrikulation den Studierendenstatus dauerhaft beendet, ist klar, dass sie von § 16 Abs. 2 HSG nicht erfasst ist. Einfacher ausgedrückt: Eine dreimonatige Exmatrikulation gibt es nicht. Dass das – wie die FU sagt – bis 2021 anders war, deutet heute noch § 16 Abs. 1 HSG an: "Das Ordnungsrecht über die Studierenden wird aufgehoben." Bis 2021 gestattete Abs. 1 noch die Verhängung von Ordnungsmaßnahmen, zu denen gemäß Abs. 2 Nr. 1 und 4 alter Fassung auch die Androhung und Durchführung der Exmatrikulation gehörten.
In NRW und Bayern ist die Exmatrikulation möglich
In Nordrhein-Westfalen ist die Exmatrikulation als Ordnungsmaßnahme dagegen erlaubt. § 51a Abs. 1 HSG definiert auch, was ein solcher Ordnungsverstoß ist. Sanktionen muss u.a. befürchten, wer "bezweckt oder bewirkt, dass ein Mitglied der Hochschule aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, […] der Religion oder Weltanschauung […] in seiner Würde verletzt wird". Zusätzliche Voraussetzungen sind, dass durch die Tat "ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird und nach Art dieser Würdeverletzung und dieses geschaffenen Umfelds eine Behinderung des Studiums oder der sonstigen Tätigkeit dieses Mitglieds droht". Dass der Tatort auf dem Campus liegt, fordert das Gesetz dabei nicht, könnte aber für die Frage relevant sein, ob auch ein entsprechend feindseliges "Umfeld" geschaffen wird.
Auch in Bayern wäre eine Exmatrikulation nicht von vornherein ausgeschlossen. § 95 S. 3 des "Hochschulinnovationsgesetzes" stellt es ins Ermessen der jeweiligen Uni, durch Satzung weitere Exmatrikulationsgründe zu benennen. Laut Geis hat etwa seine Heim-Uni, die FAU Erlangen-Nürnberg, davon auch für den Fall von Beleidigungen und Bedrohungen unter Kommilitonen Gebrauch gemacht. Diese Regelung umfasse auch Vorfälle außerhalb des Campus.
Das niedersächsische HSG lässt die Möglichkeit der Exmatrikulation in § 19 Abs. 5 und 6 nur zu, wenn der Student wegen einer u.a. gegen das Leben oder die Freiheit gerichteten Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist.
Hausverbot möglich bei Gefahr weiterer Übergriffe
In Berlin scheidet dies nach der geltenden Rechtslage aus, die Berliner CDU erwägt nach dem Vorfall an der FU, das HSG erneut zu ändern und den Unis die Exmatrikulation als Ordnungsmaßnahme wieder zu erlauben.
Bis dahin kommt nach § 16 HSG nur das von der FU in den Raum gestellte dreimonatige Hausverbot in Betracht. Die Befristung darf dabei nicht ausgehebelt werden, indem die Uni wiederholte, aneinandergereihte Hausverbote ausspricht und den Betroffenen damit dauerhaft vom Campus verbannt. "Ein wiederholtes Hausverbot ist nur bei wiederholtem Fehlverhalten möglich, alles andere würde der Idee der Befristung zuwiderlaufen", sagt Hochschulrechtler Geis.
Ausdrücklich regeln muss das HSG das Hausverbot gar nicht. Dieses ist in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte vielmehr als Annex zur allgemeinen Aufgabenerfüllung anerkannt. Die Uni soll den Lehrbetrieb organisieren. Wenn eine Person stört, gehört es zur Erfüllung dieser Aufgabe, den Störer ggf. vor die Tür zu setzen. "Da das Hausverbot den Studentenstatus nicht berührt, liegt kein Eingriff in Art. 12 GG vor, deshalb braucht es keine gesetzliche Grundlage", so Geis.
Natürlich muss das Hausverbot – wie jedes hoheitliche Handeln – verhältnismäßig sein. Zudem muss die Störung gerade stattfinden oder bevorstehen – das Hausverbot ist eine präventive Maßnahme, keine Sanktion.
Das musste kürzlich die Uni Köln lernen: Sie hatte anlässlich des Besuchs des israelischen Botschafters Ron Prosor am 12. Januar ein Hausverbot gegen drei Studierende ausgesprochen, weil sie auf Instagram einen Aufruf zum Boykott der Veranstaltung geliked bzw. die Parole "From the River to the Sea" verbreitet haben sollen. Ein Betroffener ging dagegen erfolgreich vor dem Kölner Verwaltungsgericht vor. Dem Gericht genügten die Umstände nicht, um die Prognose zu rechtfertigen, der Student würde die Veranstaltung mit Prosor stören (Beschl. v. 12.01.2024, Az. 9 L 67/24). Das Oberverwaltungsgericht NRW bestätigte die Entscheidung drei Tage später (Az. 15 B 39/24), teilte ein Sprecher des Gerichts auf LTO-Anfrage mit.
Universität muss ihre Studierenden schützen
Im Fall der FU dürften diese Voraussetzungen laut Geis gegeben sein: "Das müsste man im konkreten Fall prüfen und den Betroffenen selbstverständlich anhören. Wenn aber seit Wochen ein Konflikt zwischen zwei Lagern besteht und es hier auch zu Gewaltakten kommt, dann kann man hier von der Gefahr weiterer Übergriffe ausgehen." Dies sei Ausprägung einer Schutzpflicht der Unis als Körperschaften gegenüber ihren Studierenden als Mitgliedern.
Lässt sich daraus noch weitergehend ableiten, dass die Hochschulen mehr Maßnahmen zum Schutz gefährdeter studentischer Gruppen ergreifen müssen? Und wie könnten solche Maßnahmen aussehen?
Oft wird ein konsequenteres Einschreiten der Unis gefordert, unklar bleibt aber, was sie konkret tun sollen. Flächendeckende Hausverbote für Mitglieder bestimmter propalästinensischer Gruppen scheiden aus, die Gefahrenprognose muss tatsachenbasiert und einzelfallbezogen sein. Zudem hat die Hochschule die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu beachten. Hörsaal-Veranstaltungen können die Unis unter Hinweis auf das Hausrecht untersagen, Campus-Versammlungen hingegen deutlich schwieriger. Werden Straftaten begangen oder besteht Gefahr für andere Studierende, gehört es zur Pflicht der Universität, die Polizei zu rufen. Vielen reicht das nicht.
"Wenn über Wochen oder Monate ein Klima der Gewalt an der Uni herrscht, wäre es wünschenswert, dass die Universität zusätzlich privates Sicherheitspersonal anstellt", sagt Geis. Einen individuellen Rechtsanspruch gegen die Uni, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, gebe es aber nicht. Und damit bleibt auch im Berliner Fall die Frage, inwiefern die FU Berlin ihren Schutzpflichten nachgekommen ist, eher universitätspolitischer Art.
Red. Hinweis: Aktualisierte Fassung vom 09.02.2024, 11:20 Uhr.
Vorfall an Freier Universität Berlin: . In: Legal Tribune Online, 09.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53832 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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