Die katholische Kirche steht wegen ihrer Reaktionen auf zurückliegende Fälle sexuellen Missbrauchs durch Geistliche in der Kritik. Vom kirchlichen Strafrecht spricht dabei jedoch fast niemand. Im ersten Teil unserer dreiteiligen Serie stellt Prof. Dr. iur. Manfred Baldus die kirchenstrafrechtlichen Regelungen zur Sanktionierung sexueller Verfehlungen von Klerikern vor.
In der breiten Presseberichterstattung über sexuellen Missbrauch in Einrichtungen der katholischen Kirche wird Bischöfen und Ordensoberen vielfach zur Last gelegt, in der Vergangenheit Vorfälle vertuscht zu haben, indem man die Geschädigten zu Verschwiegenheit verpflichtete und den an der Tat beteiligten Priester oder Ordensangehörigen anderswohin versetzte. Auch habe man davon abgesehen, bei Straftaten nach §§ 174, 176 StGB (sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen und Kindern) Polizei und Staatsanwaltschaft zu verständigen. Mangelnde Aufsicht über den Täter habe zumindest in einzelnen Fällen dazu geführt, dass dieser sein Treiben auch an einem anderen Dienst- oder Aufenthaltsort fortsetzen konnte.
Dieser Befund legt die Frage nahe, wie das kirchliche Recht, das im Codex Iuris Canonici 1983 (CIC) über ein eigenes Straf- und Verfahrensrecht verfügt, Fälle dieser Art behandelt wissen will.
Dabei sind hier nicht die psychologischen oder psychopathologischen Ursachen für einen missbräuchlichen Umgang von Priestern mit Kindern und Jugendlichen, der gesellschaftliche Hintergrund, der statistische Anteil dieses Tätertyps an der allgemeinen Missbrauchsdelinquenz oder einzelne Missbrauchstatbestände zu diskutieren. Entsprechende fachwissenschaftliche Untersuchungen sind gewiss für die Einschätzung des angerichteten Schadens und die Prävention von erheblicher Bedeutung, liegen aber im Kern außerhalb des juristischen Beurteilungsrahmens.
Rechtliche Grundlagen: Art des Fehlverhaltens entscheidet über die Strafart
Die rechtlichen Grundlagen sind dem Titel V im Strafrecht des CIC (cc. 1392 – 1395 "Straftaten gegen besondere Verpflichtungen"), dem Motuproprio über den Schutz der Heiligkeit der Sakramente ("Sacramentorum sanctitatis tutela" -SST-) vom 30.04.2001, dem Brief der römischen Glaubenskongregation ("De delictis gravioribus" -DDG-) vom 18.05.2001, der von derselben Kongregation am 12.4.2010 veröffentlichten "Verständnishilfe für die grundlegende Vorgangsweise bei Vorwürfen sexuellen Missbrauchs" -VH- und den von der Deutschen Bischofskonferenz unter dem 26.09.2002 erlassenen Leitlinien ("Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche" –Leitl.-) zu entnehmen.
Die Leitlinien sind von den Bischöfen meist in ihren Amtsblättern (z.B. KABl. Limburg 2002, S. 99) veröffentlicht und damit in partikulares kirchliches Recht umgesetzt worden.
Das kirchliche Recht hatte offenbar schon früh Anlass, sich mit sexuellen Verfehlungen von Klerikern zu befassen, und zwar nicht nur wegen Verletzung der Rechtspflicht zur zölibatären Lebensführung, sondern auch allgemein wegen Vergehen gegen das sechste Gebot des Dekalogs.
An diesem Beispiel erkennt man deutlich die Entfaltung des kirchlichen Strafrechts aus dem Bußsakrament. Versuchung, Sünde und Schuld gehören zur Natur des Menschen. Je nach Art des Fehlverhaltens kann eine mit der Spendung des Sakraments auferlegte (geheime) Buße ausreichen; vor allem bei schwerwiegenden Folgen im öffentlichen Bereich aber können äußere Sanktionen erforderlich sein, die unter anderem dem Schutz des kirchlichen Gemeinwesens und seiner Glieder, der Wiedergutmachung des Schadens oder der Beseitigung eines Ärgernisses dienen.
Aus den Quellen, die bis in das mittelalterliche kanonische Recht zurückreichen, spricht das nachdrückliche Bestreben des kirchlichen Gesetzgebers, das Wirken des Priesters von Verhaltensweisen freizuhalten, die die gebotene persönliche Distanz vermissen lassen und ihn der Gefahr der Unkeuschheit aussetzen (s. auch c. 277 § 2 CIC).
Sexuelle Handlungen an und mit Jugendlichen: Suspension und Entlassung
Ausdrücklich wird der Umgang mit Jugendlichen erwähnt, etwa in c. 2359 § 2 CIC/1917, dem Vorgänger des geltenden Codex: "Hat sich ein…Kleriker mit Minderjährigen unter 16 Jahren schwer versündigt…, dann soll er suspendiert, als infam erklärt, jedes Amtes, jedes Benefiziums, jeder Dignität und überhaupt jeder Anstellung enthoben und in schwereren Fällen mit Deposition (d. h. Dienstenthebung) bestraft werden". § 3: "Hat sich ein Kleriker…in anderer Weise gegen das sechste Gebot vergangen, dann soll er der Schwere der Schuld entsprechend bestraft werden. Es kann ihm …auch sein Amt oder Benefizium genommen werden, besonders wenn er ein Seelsorgeamt bekleidet".
Ähnlich das geltende Recht in c. 1395 CIC:
"§ 1. Ein Kleriker, der…in einem eheähnlichen Verhältnis lebt, sowie ein Kleriker, der in einer anderen äußeren Sünde gegen das sechste Gebot des Dekalogs verharrt und dadurch Ärgernis erregt, sollen mit der Suspension bestraft werden, der stufenweise andere Strafen bis zur Entlassung aus dem Klerikerstand hinzugefügt werden können, wenn die Straftat trotz Verwarnung andauert.
§ 2. Ein Kleriker, der sich auf andere Weise gegen das sechste Gebot des Dekalogs verfehlt hat, soll, wenn nämlich er die Straftat mit Gewalt, durch Drohungen, öffentlich oder an einem Minderjährigen unter sechzehn Jahren begangen hat, mit gerechten Strafen belegt werden, gegebenenfalls die Entlassung aus dem Klerikerstand nicht ausgenommen."
Begeht ein Ordensmitglied eine Straftat nach c. 1395 CIC, so wird im Regelfall die Entlassung angeordnet, wenn nicht ausnahmsweise auf andere Weise für die restitutio iustitiae, die reparatio scandali und die Besserung des Täters gesorgt werden kann (c. 695 § 1 CIC). In einer besonderen Norm (c. 1387 CIC) wird mit ähnlich schweren kanonischen Strafen eine Verführung zur Sünde gegen das sechste Gebot in Zusammenhang mit der Spendung des Bußsakraments bedroht.
Insgesamt folgt hieraus, dass auch das kirchliche Strafrecht die Tatbestände des sexuellen Missbrauchs im Sinne des weltlichen Rechts erfasst und mit einem Katalog von Strafen verbindet, der bis zur Höchststrafe (Entlassung aus dem Klerikerstand) reicht.
Im Gegensatz zum weltlichen Strafrecht, das nur Freiheits- oder Geldstrafe kennt, ermöglicht das kirchliche Recht weitgehend eine fallbezogene Anpassung auch der Strafart ("gerechte Strafe"). Im früheren Recht bestand sogar die Möglichkeit, einen Delinquenten wenn nicht ins Gefängnis, so doch in eine unter Aufsicht des Bischofs stehende Demeritenanstalt (Korrektionshaus) zum dauernden Aufenthalt einzuweisen.
Der Autor Prof. Dr. Manfred Baldus, Vorsitzender Richter am LG Köln a.D., ist Honorarprofessor für Kirchenrecht und Bildungsrecht am Institut für Kirchenrecht und rheinische Kirchenrechtsgeschichte der Universität zu Köln.
Serie Kirchenstrafrecht:
Teil 2: Keine Pflicht der Kirche zur Zusammenarbeit mit dem Staat
Teil 3: Das Kirchenrecht als taugliche Grundlage angemessener Sanktionierung
Sexueller Missbrauch durch Kleriker: . In: Legal Tribune Online, 05.05.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/398 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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