Eigentlich wollte die GroKo Kindesmissbrauch und Kinderpornografie zeitnah den Kampf ansagen. Doch das ursprünglich für Anfang 2021 geplante Gesetz muss überarbeitet werden. Wie das geschehen soll, ist in der Koalition offenbar umstritten.
"Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist." Dieser auch als "Struck’sches Gesetz" bekannt gewordene Satz des verstorbenen SPD-Politikers Peter Struck ist legendär – und trifft immer wieder zu. Aktuellstes Beispiel dafür ist offenbar der von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen Union und SPD längst auf den Weg gebrachte Gesetzentwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Das Gesetz, das u.a. härtere Strafen im Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie Kinderpornografie vorsieht, sollte eigentlich im Januar 2021 in Kraft treten.
Doch von diesem Ziel hat die Koalition jetzt Abstand genommen, wie LTO erfuhr. Nach einer Anhörung im Rechtsausschuss am Montag, bei der auch die von Union und SPD eingeladenen Sachverständigen* heftige Kritik an den geplanten Änderungen im Strafgesetzbuch (StGB) geäußert hatten, müssen wohl noch diverse Gespräche zwischen den Rechtspolitkern und dem Ministerium geführt werden. Das bestätigten die fachpolitischen Sprecher der Fraktionen am Freitag gegenüber LTO. Eine Einigung in der letzten Sitzungswoche des Jahres sei unrealistisch, teilte der SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner mit. Ein Inkrafttreten zum 1. Januar sei "vom Tisch", bestätigte der rechtspolitische Sprecher von CDU/CSU, Dr. Jan-Marco Luczak.
Bei der Sachverständigen-Anhörung am Montag im Bundestag hatten Strafrechtlerinnen und Strafrechtler massive Kritik an diversen Regelungen des geplanten Gesetzes geübt und vor eklatanten Verwerfungen im StGB gewarnt. Schon die Idee, dass jede Form des sexuellen Missbrauchs künftig als "Gewalt" eingestuft werden soll, auch wenn der Täter hunderte Kilometer entfernt vom Kind an einem Computer sitzt, hatte für Kopfschütteln gesorgt. Zudem wurde selbst von erfahrenen Ermittlern die im Gesetz vorgesehene Heraufstufung aller Missbrauchs- und Kinderpornografie-Taten zum Verbrechen – ohne dabei auch minderschwere Fälle im Gesetz vorzusehen - als kontraproduktiv abgelehnt. Zur Folge hätte dies, dass Opfern auch in Fällen von geringerem Unrecht niemals eine für sie belastende Hauptverhandlung erspart bliebe, hieß es während der Expertenanhörung.
SPD zurück auf Anfang?
Die Verschärfung der Strafen hatte nach einem im Sommer bekannt gewordenen Missbrauchsfall in NRW vor allem die Union gefordert. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hatte dies jedenfalls für den Bereich der Kinderpornografie zunächst strikt abgelehnt: Unter den Straftatbestand Kinderpornografie falle "auch schon das einmalige Posten eines kinderpornografischen Comics. Wenn wir dieses einmalige Verhalten als Verbrechen einstufen - das bedeutet eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr - gäbe es keine Möglichkeit, hierauf angemessen zu reagieren", so Lambrecht gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) in einem Zeitungsinterview vom 10. Juni.
Lambrecht formulierte damit genau die Kritik, die dem Gesetz jetzt von nahezu allen Expertinnen und Experten entgegengehalten wird. Allerdings vollzog die Justizministerin selbst wenige Tage auf Druck der Union eine bemerkenswerte Kehrtwende und sagte im LTO-Interview am 24. Juni: "Es muss deutlich werden, dass hinter Kinderpornografie in den meisten Fällen ein realer Kindesmissbrauch steht, der Kindern unermessliches Leid zufügt und sie ein Leben lang traumatisiert. Deshalb will ich, dass auch der Besitz von Kinderpornografie zum Verbrechen hochgestuft wird."
Ob die Koalition sich nach der vernichtenden Kritik der Sachverständigen im kommenden Jahr sobald auf einen Kompromiss einigen wird, steht deshalb erst einmal in den Sternen. Die SPD-Fraktion kann sich offenbar ein Zurück zu Lambrechts ursprünglicher Position vorstellen. SPD-Rechtspolitiker Fechner sagte nach der Anhörung zu LTO: "Es war schon auffällig, mit welcher Vehemenz und Geschlossenheit alle Sachverständigen inklusive der Experten der Union die Warnungen der Bundesländer aufgegriffen haben, dass die vorgeschlagene Regelung die Staatsanwaltschaften mit Fällen minderen Unrechtsgehaltes überflute. Eindrücklich wurde gewarnt, dass die Ahndung schwerer Sexualstraftaten dadurch blockiert werde."
Union: "Fachgerechtes Gesetz hängt von SPD und BMJV ab"
Für die Unionsseite ist Korrektur allerdings eher an andere Stelle angezeigt: Unionssprecher Luczak erklärte unmittelbar nach der Anhörung gegenüber LTO: "Bis auf eine Sachverständige waren sich alle Experten einig, dass die neue Begrifflichkeit 'sexualisierte Gewalt' irreführend ist und sogar zu einer Verharmlosung der Taten führen kann. Denn bei diesen furchtbaren Taten geht es gerade nicht nur um Gewalt, sondern auch um Manipulation von Kindern oder Übergriffe ohne Körperkontakt. Wir sollten daher dringend an der in der Rechtsprechung etablierten Terminologie 'Missbrauch' festhalten."
In einem Tweet vom Mittwoch zeigte sich Luczak im Hinblick auf eine schnelle Einigung bereits wenig zuversichtlich: Ob es am Ende zu einem "fachgerechten Gesetz" komme, hänge von der SPD-Fraktion und dem BMJV ab. "Bisher gibt es keine Anzeichen, dass diese bereit wären, die misslungene Begrifflichkeit 'sexualisierte Gewalt' zu korrigieren", schrieb er.
Vor allem der Union dürfte die Verzögerung bei der Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie nicht ins Konzept passen, hatte doch bereits im August der Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, zur Eile gemahnt: "Jeden Tag werden in Deutschland Kinder sexuell missbraucht, gequält und widerlichste Videos angefertigt. Wir müssen so schnell wie möglich dafür sorgen, dass Kinderschänder besser aufgespürt und schärfer bestraft werden." Jetzt steht fest: Es geht weiter, aber sicher nicht "schnell".
Anm.d.Redaktion: Ergänzung am 12.12.2020 um 9.30 Uhr vorgenommen.
Gesetz verzögert sich: . In: Legal Tribune Online, 11.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43722 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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