Libyen soll an ein Grenzüberwachungsnetz von EU-Staaten im Mittelmeer angeschlossen werden – und zwar noch dieses Jahr. Ein Bruch mit EU-Recht, sagt ein Europapolitiker der Linken. Er befürchtet, dass sensible Daten ausgetauscht werden.
Das Mittelmeer überspannt ein unsichtbares Überwachungsnetzwerk, eine Art Grenz-Geheimdienst der EU. Die EU-Grenzpolizeiagentur Frontex setzt dafür Drohnen und Satelliten ein – sie liefern der Zentrale in Warschau quasi ein Live-Bild der Lage im Mittelmeer. Das sogenannte EUROSUR-System soll einem hochgerüsteten Kampf gegen illegale Migration und Drogen- sowie Menschenhandel dienen. Im Wasser sind die EU-Länder aber oftmals auf das rechtzeitige Eingreifen der libyschen Küstenwache angewiesen. Sie sollen etwa Geflüchtete in ihren Booten retten – Kritiker sagen zurückschieben – und zwar bevor sie die Gewässer von EU-Staaten erreichen.
Derzeit arbeiten die europäischen Staaten intensiv daran, den Grenzschutz im Mittelmeer juristisch neu zu ordnen. Offenbar mit dem Ziel, neue maritime Türsteher einzubinden, allen voran: die libysche Küstenwache. Bislang verhindern die Regeln der Frontex-Verordnung, dass die EU-Grenzpolizei sensible Informationen mit Nicht-EU-Staaten wie Libyen teilt. Das soll sich bald ändern, weswegen die EU zwei neue Wege einschlägt.
Eine schnelle Kooperation der EU mit dem nordafrikanischen Land soll auf dem kleinen europarechtlichen Umweg erfolgen: Libyen soll noch bis Ende des Jahres an das EU-Anrainerstaaten-Netzwerk "Seepferdchen Mittelmeer" angeschlossen werden. Das ergibt sich aus einer Antwort des Auswärtigen Amtes (AA) auf eine kleine Anfrage des europapolitischen Sprechers der Linken-Fraktion im Bundestag, Andrej Hunko, die LTO exklusiv vorliegt. Damit ist offiziell, was lange nur vermutet wurde.
Linken-Europapolitiker: "Ganz klar EU-Verträge gebrochen"
Durch den Anschluss können die Schiffe der libyschen Küstenwache dann offiziell eine Meldung erhalten, sobald die EU-Anrainerstaaten mit ihren Überwachungssystemen ein sicherheitsrelevantes Ereignis entdecken. Das kann ein havarierter Tanker oder aber auch ein Flüchtlingsboot auf dem Mittelmeer sein. Umgekehrt können auf diesem Weg auch Informationen der Libyer vom Mittelmeer in das europäische Netz fließen, etwa zu Schiffskoordinaten. In dem Netzwerk mit dem putzig klingenden Namen organisieren all diejenigen EU-Staaten gemeinsam ihren Grenzschutz, die eine Mittelmeeraußengrenze haben, also Frankreich, Spanien, Italien, Portugal, Malta, Griechenland und Zypern.
Auf der anderen Seite des Mittelmeers ist noch nicht klar, welche Behörde in Libyen genau die Aufgaben im Mittelmeer in Kooperation mit der EU übernehmen soll. Anders als etwa in Deutschland wird die Küstenwache vor Libyen nicht zivil organisiert, sondern vom Militär übernommen, ihre genaue Rolle wird immer wieder kritisiert.
Wenn Libyen nun also an dem Unternetzwerk "Seepferdchen Mittelmeer" teilnimmt, könnte Libyen über die EU-Mittelmeeranrainerstaaten auch Zugang zum großen Überwachungsnetzwerk EUROSUR bekommen, befürchtet Hunko: "Behörden in Libyen sollen noch im Dezember an das europäische Überwachungssystem EUROSUR angeschlossen werden." Die militärische Küstenwache erhalte auf diese Weise die Koordinaten von Flüchtlingsbooten. "Das legitimiert die brutale Truppe, die für Menschenrechtsverletzungen gegenüber Geflüchteten berüchtigt ist", so Hunko.
"Hier werden ganz klar die EU-Verträge gebrochen, denn EUROSUR steht ausschließlich den Mitgliedstaaten der Europäischen Union offen", kritisiert der Politiker. Durch die Hintertür werde jetzt Libyen angeschlossen. "Dieser Rechtsbruch soll in Zukunft legal werden, indem die EUROSUR-Verordnung hinsichtlich der Weitergabe von sensiblen Informationen an Drittstaaten überarbeitet wird."
Überarbeitete Verordnung soll Zusammenarbeit mit Dritten vereinfachen
Auf einem zweiten Weg arbeiten die EU-Staaten daran, Libyen im Mittelmeer ganz legal stärker in den Grenzschutz einzubeziehen. Derzeit beraten die Mitgliedstaaten eine Neufassung der Frontex-Verordnung. Die bisherige rechtliche Grundlage für das EUROSUR-System, eine Verordnung aus 2013, soll nun in eine Neufassung der Frontex-Verordnung integriert werden. Geändert werden soll dabei vor allem die Zusammenarbeit mit Drittstaaten – auch sie sollen vertrauliche Sicherheitsinformationen aus den EU-Systemen erhalten. Als Art. 76 soll ein Artikel mit dem Titel "Informationsaustausch mit Drittstaaten im Rahmen von EUROSUR" eingefügt werden. Die Neufassung der Verordnung steht auf der Tagesordnung der EU-Innenminister am Donnerstag in Brüssel. In den Nationalstaaten war der Vorschlag schon zur Beratung, nun geht er in Brüssel auf die Zielgerade.
Das Entwurfsdokument betont ausdrücklich die Zusammenarbeit mit Drittstaaten. Dort heißt es: "Die Zusammenarbeit mit Drittstaaten ist ein weiteres wichtiges Element des integrierten europäischen Grenzmanagements". Und: "Zudem wird der Informationsaustausch mit Drittstaaten im Rahmen von EUROSUR über die nationalen Koordinierungszentren verbessert".
Damit wird offenbar ausdrücklich Begehrlichkeiten der Grenzpolizei Frontex nachgegeben – und sie sind sehr deutlich vor allem auf Libyen gerichtet. In einem aktuellen Jahresbericht zur Seeaußengrenzenverordnung fordert Frontex ausdrücklich, die Koordinaten von Flüchtlingsbooten in Zukunft auch an die libysche Küstenwache übermitteln zu dürfen. So heißt es beispielsweise in dem Bericht, dass die laufende Reform der EUROSUR-Verordnung eine gute Gelegenheit für eine Rechtsänderung biete.
Der Anschluss Libyens scheint aber nur der erste Schritt zu sein. Die EU-Kommission plant, auch Tunesien, Algerien und Ägypten an das "Seepferdchen Mittelmeer" anzuschließen. Und Hunko befürchtet, dass die Staaten so "zu Türstehern der Europäischen Union aufgerüstet" werden.
Anschluss an EU-Überwachungsnetz "Seepferdchen Mittelmeer": . In: Legal Tribune Online, 06.12.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32581 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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