Nach der publik gewordenen Selbstanzeige: Schwarzers Schwarzgeld und das Gericht der öffentlichen Meinung

Interview mit Prof. Niko Härting

06.02.2014

2/2: "Die Pressefreiheit ist nicht sakrosankt, sondern nur ein Grundrecht unter vielen"

LTO: Aber einen konkreten Bezug zwischen öffentlichem Engagement und Verfehlung gibt es nur selten. Verkommt die Medienlandschaft nicht zu einer unkritischen Kuschel- und Wohlfühlwelt, wenn sie sich bei Themen, bei denen sich jemand ans Bein getreten fühlen könnte, selbst zensiert?

Härting: Medien sollten sich jedenfalls durch Medienanwälte, Klagedrohungen und mögliche Konflikte nicht einschüchtern lassen. Wenn die Spielräume der Pressefreiheit nicht ausgeschöpft werden, besteht die Gefahr, dass die Freiheit irgendwann nur noch auf dem Papier steht.

Höcker: Natürlich müssen die Medien sich selbst kontrollieren, damit sie keine Persönlichkeitsrechte verletzen. So etwas nennt man Rücksichtnahme, von mir aus auch Selbstzensur. Und selbstverständlich ist es notwendig und richtig, dass Anwälte den Medien mit Klagen drohen und sie wo nötig auch einschüchtern, wenn sie Persönlichkeitsrechte verletzen, also eben keine Rücksicht nehmen.

Denn eine Klagedrohung kann ja nur dann einschüchternde Wirkung haben, wenn die Klage Aussicht auf Erfolg hat. Was aber soll an einer Drohung mit juristischen Konsequenzen für eine rechtswidrige Berichterstattung falsch sein? Journalisten sollten begreifen, dass die Pressefreiheit nicht sakrosankt, sondern nur ein gleichwertiges Grundrecht unter vielen ist. Nicht jeder Eingriff in die Pressefreiheit ist auch eine Verletzung der Pressefreiheit. Juristen ist das vollkommen klar. Journalisten haben mitunter Schwierigkeiten, das einzusehen.

"Steuerdelikte sind ebenso wenig Privatsache wie Sachbeschädigung oder Rauschgiftdelikte"

LTO: Strafrecht ist grundsätzlich durchaus eine öffentliche Angelegenheit. Wenn es ein Strafverfahren gegen Frau Schwarzer gegeben hätte, wäre dieses öffentlich gewesen. Durch die Selbstanzeige kann sie sich der gerichtlichen Strafe zwar entziehen - aber auch dem Urteil der Öffentlichkeit?

Höcker: Mit "hätte" und "wäre" lässt sich ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse nicht begründen. Frau Schwarzer ist strafrechtlich aus dem Schneider. Punkt. An einem Strafverfahren, das nicht existiert, kann im Regelfall ebenso wenig ein öffentliches Informationsinteresse bestehen wie an seiner hypothetischen Begründung.

Härting: Ein Gericht der öffentlichen Meinung gibt es nicht. Gott sei Dank leben wir ja in einem Rechtsstaat. Aber so wie man nach Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über das Rowdytum der Ochsenknecht-Söhne und über kiffende Söhne einer Politikerin berichten darf, verhält es sich auch bei Frau Schwarzer. Ein Steuerdelikt ist ebenso wenig Privatsache wie Sachbeschädigung oder Rauschgiftdelikte. Promis, die derartige Delikte begehen, müssen sich eine Berichterstattung gefallen lassen. Und dass Frau Schwarzer Steuern hinterzogen hat, bestreitet ja niemand, sodass es auch keineswegs um einen "hypothetischen" Vorgang geht.

"Information kam durch strafbare und bananenrepublikwürdige Indiskretion eines deutschen Finanzbeamten ans Licht"

LTO: Sie sprechen es bereits an. Wenn bei prominenten Personen selbst Berichterstattung über wirklich private Dinge wie ihre Liebschaften oder Urlaub gerechtfertigt sein kann, muss das dann nicht erst recht für strafrechtlich relevantes Verhalten gelten? Obendrein bei einer Straftat, deren "Opfer" wirtschaftlich betrachtet die gesamte Gesellschaft ist?

Höcker: Es ist immer eine Frage der Güterabwägung. In diese muss zum Beispiel einfließen, wer das Delikt begangen hat, wann es begangen wurde, wie schwerwiegend es war, ob es noch zu einer Bestrafung führen kann und wie intensiv die Berichterstattung darüber den echten oder möglichen Täter im Einzelfall belasten würde. Und natürlich spielt auch eine Rolle, wie die Information über die Selbstanzeige an die Öffentlichkeit kam, nämlich dem ersten und bislang nicht widerlegten Anschein nach durch die strafbare und bananenrepublikwürdige Indiskretion eines deutschen Finanzbeamten.

Wie immer in der Juristerei verbieten sich also schematische Lösungen. Es kann keinen Rechtssatz geben, wonach man über Straftaten und die zugrunde liegenden privaten Sachverhalte pauschal immer oder zumindest eher berichten darf, als über sonstige Privatangelegenheiten.

Härting: Man darf Steuerdelikte nicht künstlich überhöhen. Straftaten wiegen nicht deshalb schwerer, weil sie sich gegen die Allgemeinheit und nicht nur gegen eine Person richten, wir leben ja nicht in China oder einem anderen kollektivistischen Staat. Aber es braucht eine solche Überhöhung auch nicht: Rechtlich ist ein Steuerdelikt keine Privatsache, sondern ein Handeln im öffentlichen Raum. Und da ist das Recht zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung die Regel und nicht die Ausnahme. Dies würde übrigens auch dann gelten, wenn der Spiegel in einer trüben Quelle gefischt haben sollte. Aus gutem Grund gibt es den journalistischen Quellenschutz, der die Presse vor neugierigen Fragen nach der Herkunft von Informationen abschirmt.

Höcker: Die Quellen eines Journalisten sind geschützt. Das ist richtig. Steuerakten eines Bürgers sind von der Rechtsordnung jedoch nicht als Quelle vorgesehen. Nicht umsonst gibt es kein Einsichtsrecht der Presse in Steuerakten. Ganz im Gegenteil schützt 353d Strafgesetzbuch ihre Inhalte selbst dann vor öffentlicher Verbreitung, wenn es tatsächlich zu einem Steuerstrafverfahren kommt. Die Wertung dieser Norm ist also ebenfalls zu berücksichtigen und zwar selbst dann, wenn die Akteninhalte nicht wörtlich sondern nur sinngemäß verbreitet werden.

Professor Niko Härting ist Partner bei HÄRTING Rechtsanwälte in Berlin, Lehrbeauftragter und Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin) sowie Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin.

Professor Ralf Höcker lehrt Marken- und Medienrecht an der Cologne Business School. Als Anwalt vertrat er zahlreiche prominente Personen, darunter Jörg Kachelmann, Felix Magath oder Heidi Klum.

Die Fragen stellte Constantin Baron van Lijnden.

Zitiervorschlag

Niko Härting, Nach der publik gewordenen Selbstanzeige: . In: Legal Tribune Online, 06.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10913 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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