Der Präsident des Obersten Russischen Wirtschaftsgerichts hat mit provokanten Gedanken überrascht: Die Interessen russischer Unternehmen und Staatsbürger müssten künftig vor unlauterem Wettbewerb rechtlicher Systeme geschützt werden, unter anderem durch die Aufhebung internationaler Schiedssprüche. Über die Pläne und die Reaktionen darauf berichten Thomas Weimann und Christine Heeg.
Die Teilnehmer des 2. Saint Petersburg International Legal Forum Mitte Mai staunten nicht schlecht, als Anton Iwanow auf der Eröffnungsveranstaltung ankündigte, er würde auch das eine oder andere Unangenehme zu sagen haben. Was Russlands oberster Handelssrichter dann erklärte, war für die Delegierten aus mehr als fünfzig Ländern dann nicht nur "unangenehm", sondern alarmierend.
Iwanow beklagte einen unlauteren Wettbewerb anderer nationaler Gerichtsbarkeiten zum Nachteil Russlands: Gerichte ausländischer Staaten würden über Fälle entscheiden, die vor russische Gerichte gehörten und Gerichtsverfahren in Russland im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes blockieren. Die gleichen Gerichte würden im Rahmen der Vollstreckung die staatliche Immunität Russlands missachten.
Der Präsident des Obersten Russischen Wirtschaftsgerichts zitierte dabei den Fall des deutschen Investors Franz J. Sedelmayer, den Boris Jelzin 1994 enteignet hatte. Sedelmayer bekam in einem Schiedsverfahren auf Grundlage des deutsch-sowjetischen Investitionsschutzabkommens eine Entschädigung zugesprochen. Nachdem der Kreml die nicht zahlte, betrieb der Investor erfolgreich die Zwangsvollstreckung in ein früher vom sowjetischen Auslandsgeheimdienst KGB genutztes Grundstück in Köln. Deutsche Gerichte hätten in diesem Fall, so Iwanow, die "Beschlagnahme" eines Gebäudes erlaubt, in dem russische Diplomaten wohnten.
Mit politischen Mitteln gegen unliebsame ausländische Entscheidungen
Iwanow präsentierte gleich einen kompletten Maßnahmenkatalog zur Abwehr eines solchen "Rechtsmissbrauchs", bei dem sich fremde Staaten in russische Angelegenheiten einmischten: Zunächst müsse Russlands Gerichten die Kompetenz eingeräumt werden, die Zuständigkeit ausländischer Gerichte und Schiedsgerichte zu prüfen, unzutreffende Urteile aufzuheben und selbst in der Sache zu entscheiden.
Komme eine russische Prozesspartei durch die Entscheidung eines aus russischer Sicht unzuständigen Gerichtes zu Schaden, solle Russland Einreiseverbote gegen beteiligte Personen erwägen. Außerdem müsse in Russland belegenes Eigentum des Prozessgegners beschlagnahmt werden dürfen. Diese Maßnahmen sollten sich dann nicht nur gegen die Prozessparteien, sondern auch gegen "Richter und andere" richten, die "an unlauteren Aktionen gegen russische Staatsbürger" beteiligt seien.
Weiter überlegte Iwanow, dass der Kreml die Interessen seiner Staatsbürger und deren Unternehmen dadurch absichern könne, indem er auf politischem Wege gegen das "unrechtmäßige Verhalten" der ausländischen Gerichte vorgeht - beispielsweise durch "erhöhte Einfuhrzölle" und "Handelsembargos". Ausländische Gerichte würden sich zurückhalten, wenn ihnen bewusst wäre, dass Russland mit Sanktionen reagiert, zeigte sich Iwanow überzeugt.
Die New Yorker Konvention steht Iwanows Ideen entgegen
Der russische Ministerpräsident Medwedjew äußerte grundsätzliche Unterstützung für den Vorstoß Iwanows. Die vorgeschlagenen Maßnahmen seien zwar "harsch", aber "ein zivilisierter Weg", die bestehenden Probleme zu lösen. Medwedjew wörtlich: "Alle anderen Alternativen sind schlimmer. Ich glaube, dass die Ideen geprüft werden sollten. Die Regierung ist bereit, dies zu tun." Die Maßnahmen seien "auf jeden Fall besser als ein militärisches Einschreiten."
Auch der Vizepräsident der Russischen Rechtsanwaltskammer Juri Pilipenko äußerte sich gegenüber dem Nachrichtendienst rapsinnews.com zustimmend: "Die russische Rechtsanwaltskammer hat seit langem auf das Problem des teilweisen Verlustes staatlicher Souveränität hingewiesen. Auf zahlreiche große Transaktionen ist ausländisches Recht anwendbar und sind ausländische Gerichte zuständig. Das lässt russische Gerichte völlig hinten anstehen".
Unter den Delegierten der Konferenz wurden die Ausführungen Iwanows intensiv diskutiert. Viele äußerten ihr Unverständnis, so etwa der britische Justizminister Kenneth Clarke: "Versuchen Sie doch zu verstehen, warum ihre Geschäftsleute ihren Richtern nicht trauen. Wenn Ihr Rechtssystem besser ist als das britische Rechtssystem, dann werden britische Unternehmen einen russischen Gerichtsstand wählen."
Einig waren sich die Delegierten darin, dass die Vorschläge den russischen Interessen tatsächlich mehr schaden als nutzen: Investitions- und Rechtssicherheit, zwei Errungenschaften, um die Russland heute noch ringt, würden stark beeinträchtigt. Internationale Unternehmen wären in der Rechtswahl beschränkt, aber auch internationale Anwaltskanzleien mit Sitz in Russland könnten die Interessen ihrer Mandanten gegenüber russischen Unternehmen nicht sachgerecht vertreten.
Tatsächlich dürfte der Maßnahmenkatalog auch kaum mit internationalen Verpflichtungen Russlands korrespondieren: Die New Yorker Konvention von 1958 und zahlreiche bilaterale Investitionsschutzabkommen stehen in eklatantem Widerspruch zu Iwanows Gedanken. Diese Erkenntnis hatte auch der oberste Handelsrichter Russlands selbst, indem er nämlich seinen Maßnahmenkatalog insoweit einschränkte, als dieser natürlich mit internationalen Verträgen vereinbar sein müsse. Der Kreml hat nun angekündigt, die Vorschläge zu prüfen.
Der Autor Rechtsanwalt Thomas Weimann ist Partner bei Clifford Chance, die Autorin Rechtsanwältin Dr. Christine Heeg ist Senior Associate Bird & Bird in Düsseldorf. Beide gehörten zur deutschen Delegation auf dem Saint Petersburg International Legal Forum 2012 und beraten deutsche und russische Unternehmen in streitigen Auseinandersetzungen.
Thomas Weimann und Christine Heeg, Schutz vor ausländischer Rechtsprechung: . In: Legal Tribune Online, 18.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6411 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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