EuGH zu Ad hoc-Mitteilungen: Schrempps teurer Weg aus dem Amt

28.06.2012

Der EuGH hat am Donnerstag seine mit Spannung erwartete Entscheidung zur Ad hoc-Publizität verkündet. Auch Zwischenschritte eines noch nicht abgeschlossenen Entscheidungsprozesses, dessen Ergebnis den Börsenpreis erheblich beeinflussen kann, müssen schon dann publiziert werden, wenn vernünftigerweise anzunehmen ist, dass es zu der Entscheidung kommt. Christian Schröder sieht die Möglichkeit irreführender Meldungen.

Im Fall Schrempp ging es um einen solchen Entscheidungsprozess. Der Vorstandsvorsitzende der damaligen Daimler-Chrysler-AG, Jürgen Schrempp, trug sich im Frühjahr des Jahres 2005 mit dem Gedanken, zum Jahresende und damit vorzeitig aus dem Amt zu scheiden. Im Mai 2005 setzte er davon den Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper in Kenntnis. Im Juni und Juli 2005 wurden zwei weitere Aufsichtsratsmitglieder mit dem Sachverhalt vertraut gemacht. Informiert wurde auch das Vorstandsmitglied Zetsche, der als neuer Vorstandsvorsitzender in Betracht kam.

Am 18. Juli kamen Schrempp und Kopper schließlich überein, in der Aufsichtsratssitzung vom 28. Juli 2005 das Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden zum Jahresende vorzuschlagen. Zwischenzeitlich wurde auch noch der Vorsitzende des Konzern- und Betriebsrats informiert. Am 27. Juli 2005 schlug ein dafür zuständiger Präsidialausschuss dem Aufsichtsrat vor, dem vorzeitigen Ausscheiden zuzustimmen, am 28. Juli 2005 fasste der Aufsichtsrat diesen Beschluss gegen 9.50 Uhr.

Wie in § 15 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) vorgesehen, wurden nun die Geschäftsführungen der Börsen und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) informiert und um 10.32 Uhr wurde die entsprechende Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht. Infolge der Veröffentlichung stieg der Kurs der Daimler-Chrysler-Aktie an. Das bevorstehende Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden wurde an den Börsen gefeiert, denn Jürgen Schrempp stand für die glücklose Fusion Daimlers mit Chrysler. Die Börse deutete den Personalwechsel als Aufbruch in eine bessere Zeit.

Warum Aktionäre klagten

In den Tagen vor der Ad-hoc Meldung hatten einige Anleger ihre Aktien verkauft. Sie kamen nicht mehr in den Genuss des Kursanstiegs und fühlten sich geschädigt. Nach ihrer Auffassung hatte die Daimler-Chrysler-AG die Ad-hoc-Meldung zu spät verbreitet. Die Klage stützte sich auf § 37b Abs. 1 WpHG und stieß als ein so genanntes "Kapitalanlegermusterverfahren" auf breites Interesse.

Nach Ansicht der Kläger hätte der bevorstehende Amtswechsel bereits vorher publizieren werden müssen, denn auch Zwischenschritte "auf dem Weg" zu endgültigen Entscheidungen seien Insiderinformationen, die publiziert werden müssten.

Informationen werden ad hoc publiziert, weil Anleger ihre Anlageentscheidungen auf einer möglichst vollständigen und aktuellen Grundlage treffen sollen. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften will das Insiderrecht hinsichtlich der wesentlichen Informationen, die das Unternehmen betreffen, Transparenz herstellen. Ferner geht es um einen chancengleichen Zugang der Anleger zu solchen Informationen, die einen erheblichen Einfluss auf den Börsenpreis einer Aktie haben können. Damit soll der Gefahr des Insiderhandels vorgebeugt werden.

Entscheidungsprozesse und Insiderrecht

An dieser Stelle kommen die im Fall Schrempp interessierenden Auslegungsfragen ins Spiel: Wann liegt eine Insiderinformation vor, die ad hoc veröffentlicht werden muss?

Art. 1 Abs. 1 der einschlägigen Marktmissbrauchsrichtlinie (Richtlinie 2003/6/EG) versteht unter der Insiderinformation eine "nicht öffentlich bekannte präzise Information, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten von Finanzinstrumenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betrifft und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs sich darauf beziehender derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen".

Das soll nach Art. 1 Abs. 1 einer weiteren Richtlinie (2003/124/EG der Kommission) auch bei Umständen der Fall sein, die "bereits existieren oder bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren werden" oder bei einem Ereignis, "das bereits eingetreten ist oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten wird".

Wann ist eine Entscheidung eine publikationspflichtige Entscheidung?

In der Lebenswirklichkeit gehen wichtige Entscheidungen sehr oft auf komplexe und zeitlich gestreckte Entscheidungsprozesse zurück. Die "endgültige" Information entsteht erst durch Zwischenakte, die ihrerseits einen Informationsgehalt haben können. Bei der Aktiengesellschaft ist das mitunter sogar rechtlich so vorgesehen.

Die Rücktrittspläne des Herrn Schrempp bilden ein gutes Beispiel. Der Vorstandsvorsitzende muss seinen Aufsichtsrat über etwaige Rücktrittspläne informieren. So will es das Aktienrecht, denn der Aufsichtsrat ist für die Ernennung und Entlassung von Vorständen zuständig.

Wie eine solche Suche ausgeht, ob sich der Vorstand vielleicht noch umstimmen lässt und wann es zum Personalwechsel kommt, weiß am Anfang aber niemand. Die Frage ist eben, wann sich der Entscheidungsprozess so verfestigt hat, dass der Kapitalmarkt ad hoc informiert werden muss, aber auch guten Gewissens informiert werden kann. Eine voreilige Information birgt nämlich die Gefahr, Gerüchte und Spekulationen ins Kraut schießen zu lassen oder die Anleger sogar falsch zu informieren, wenn sie gegebenenfalls im Nachhinein sogar wieder zurückgenommen werden muss.

Ergebnis, Zwischenschritt und Wahrscheinlichkeiten

Der Fall Schrempp landete schließlich beim Bundesgerichtshof (BGH), der dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Auslegung der einschlägigen EU-Richtlinien zwei Fragen vorlegte. Die Karlsruher Richter wollten zunächst wissen, ob bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem über mehrere Zwischenschritte ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, nur das Ergebnis als Insiderinformation in Betracht kommt oder auch Zwischenschritte, die bereits existieren oder eingetreten sind und die mit der Verwirklichung des künftigen Umstands oder Ereignisses verknüpft sind.

Ferner fragte der II. Zivilsenat, welches Maß an Wahrscheinlichkeit das EU-Recht meint, wenn neben bereits existierenden Umständen auch solche in Betracht kommen, bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren werden.

Konkret fragte der BGH, ob Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 eine Wahrscheinlichkeitsbeurteilung mit überwiegender oder hoher Wahrscheinlichkeit meint, oder ob die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung so zu verstehen ist, dass das Maß der Wahrscheinlichkeit vom Ausmaß der Auswirkungen auf den Emittenten abhängt und es bei hoher Eignung zur Kursbeeinflussung genügt, wenn der Eintritt des künftigen Umstands oder Ereignisses offen, aber nicht unwahrscheinlich ist.

EuGH: Auch Zwischenschritte können entscheidend sein

Auf die erste Frage antwortet der EuGH, dass "bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, nicht nur dieser Umstand oder dieses Ereignis präzise Informationen im Sinne der genannten Bestimmungen sein können, sondern auch die mit der Verwirklichung des Umstands oder Ereignisses verknüpften Zwischenschritte dieses Vorgangs".

Nach der zweiten Antwort ist Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 dahin auszulegen, dass die Formulierung "eine Reihe von Umständen (…), (…) bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren werden, oder ein Ereignis, das (…) mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten wird", auf künftige Umstände oder Ereignisse abzielt, bei denen eine umfassende Würdigung der bereits verfügbaren Anhaltspunkte ergibt, dass tatsächlich erwartet werden kann, dass sie in Zukunft existieren oder eintreten werden.

Dabei muss die Frage nach dem Ausmaß der Auswirkung solcher Umstände oder Ereignisse auf den Börsenpreis nach Ansicht der europäischen Richter nicht berücksichtigt werden. Der EuGH verlangt auch nicht, dass der zukünftige Umstand mit hoher Wahrscheinlichkeit eintritt, er muss ex ante nur vernünftigerweise zu erwarten sein (EuGH, Urt. .28.06.2012, Az. C-19/11).

Zu frühe Mitteilungen können in die Irre führen

Für börsennotierte Aktiengesellschaften bedeutet das, dass sie bei gestuften Entscheidungsprozessen zukünftig darauf achten müssen, nicht nur das Ergebnis des Entscheidungsprozesses ad hoc zu publizieren. Sie müssen vielmehr bereits dann an die Öffentlichkeit gehen, wenn die anstehende Entscheidung kursrelevant oder dies jedenfalls vernünftigerweise zu erwarten ist.

Die Entscheidung aus Luxemburg bestätigt eine seit geraumer Zeit zu beobachtende Tendenz. Der Begriff der Insiderinformation wird immer großzügiger ausgelegt. Das mag zur Bekämpfung des Insiderhandels geboten sein, im Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen nach § 37b WpHG überzeugt das jedoch nicht. Die Zahl der Ad hoc-Meldungen, mit denen auf zukünftig zu erwartende Umstände hingewiesen wird, dürfte steigen. Das ist nicht ungefährlich, denn Anleger können in die Irre geführt werden, wenn der in Aussicht gestellte Umstand wider Erwarten doch ausbleibt.

Bei sensiblen Vorgängen, die auch Geheimhaltungsinteressen des Unternehmens berühren, kann § 15 Abs. 3 WpHG weiterhelfen. Nach dieser Vorschrift ist der Emittent so lange von der Pflicht zur Veröffentlichung befreit, wie es der Schutz seiner berechtigten Interessen erfordert, keine Irreführung der Öffentlichkeit zu befürchten ist und der Emittent die Vertraulichkeit der Insiderinformation gewährleisten kann.

Der Autor Prof. Dr. Christian Schröder hat einen Lehrstuhl für Straf- und Strafprozessrecht. Er leitet die Forschungsstelle Kapitalmarktstrafrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und ist Autor des "Handbuch Kapitalmarktstrafrecht", das sich auch dem Insiderrecht widmet

Zitiervorschlag

EuGH zu Ad hoc-Mitteilungen: . In: Legal Tribune Online, 28.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6493 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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