Der EuGH-Generalanwalt ist dafür, die Linkhaftung für den Bereich des Urheberrechts weitgehend abzuschaffen. Sascha Abrar kritisiert, dass eine solche Gerichtsentscheidung die Interessen der Rechteinhaber zu wenig berücksichtigen würde.
Die Haftung für Framing und Links hat die Gerichte in den vergangenen Jahren sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene auf Trab gehalten. Derzeit sind beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gleich zwei Verfahren anhängig. In einem dieser Verfahren (Az. C-160/15) hat sich der Generalanwalt (GA) des EuGH am Donnerstag dafür ausgesprochen, die Linkhaftung für den Bereich des Urheberrechts weitgehend abzuschaffen.
Nach diesem unerwarteten Vorschlag soll der Verlinkende selbst dann nicht haften, wenn er weiß, dass auf einer verlinkten Webseite Urheberrechtverletzungen begangsen werden, solange die Website frei zugänglich ist. Er argumentiert dabei überwiegend rechtspolitisch und widerspricht damit der bisher geltenden Rechtsprechung aus Luxemburg. Es gibt gute Gründe für den EuGH, der Auffassung des GA nicht zu folgen.
Bisherige Rechtsprechung in Deutschland
Der europäische Gesetzgeber hat die Haftungsvoraussetzungen für die Verwendung von Links auf rechtsverletzende Inhalte nicht gesondert geregelt. Die Klärung dieser Fragen erfolgt durch die Gerichte. Nach wie vor nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Hyperlinker für die "öffentliche Wiedergabe" nach Art. 3 Abs. 1 der Info-Soc-Richtlinie (2001/29) haftet, wenn sein Link auf eine Website verweist, auf der ein urheberrechtlich geschütztes Werk ohne Zustimmung des Berechtigten frei eingestellt worden ist.
In der kontrovers diskutierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) "Die Realität II" (Urt. v. 9.7.2015, Az. I ZR 46/12) hatten die Beklagten auf ihrer Website einen urheberrechtlich geschützten Film mittels eines Frames eingebettet, der über einen Link mit Youtube verbunden war. Wenn der Berechtigte - so der BGH unter Bezugnahme auf die BestWater-Entscheidung des EuGH (Beschluss. v. 21.10.2014, Az. C-348/13) - damit einverstanden ist, dass der Film bei Youtube hochgeladen wurde, soll keine rechtsverletzende öffentliche Wiedergabe vorliegen (es kommt dann noch ein Eingriff in das Urheberbenennungsrecht in Betracht). Hat der Berechtigte seinen Film allerdings nur auf seiner Website frei eingestellt und war er nicht zugleich mit einer Einbindung des Films bei Youtube einverstanden, soll nach Ansicht des BGH die Verlinkung unzulässig sein.
GA: Keine Urheberrechtsverletzung durch Hyperlinks
Spätestens nach den Schlussanträgen des GA vom Donnerstag stellt sich die Frage, ob diese Sichtweise des BGH europarechtskonform ist. Hintergrund des Verfahrens vor dem EuGH ist eine Klage der Firma Sanoma in den Niederlanden, welche die Zeitschrift Playboy verlegt, gegen das Internetportal GS Media BV. Die Plattform hatte auf eine australische Seite verlinkt, auf der ohne Zustimmung der Rechteinhaberin Sanoma vorab Bilder einer noch nicht erschienenen Playboy-Ausgabe geleakt wurden. GS Media hatte die Fotos offensiv angekündigt und war sich der Rechtswidrigkeit der Quelle bewusst, weigerte sich aber nach Aufforderung die Links zu entfernen. Der niederländische Hoge Raad hat dem EuGH hierzu mehrere Fragen vorgelegt, mit denen sich das niederländische Gericht eine Klärung offener Fragen erhofft, was eine "öffentliche Wiedergabe" ist.
Nach Ansicht des GA Melchior Wathelet stellt das Setzen eines Hyperlinks zu einer Website, auf der ohne Zustimmung des Berechtigten frei zugängliche Fotos veröffentlicht worden sind, an sich keine Urheberverletzung dar. Selbst auf die Beweggründe und eine Kenntnis des Verlinkenden von Rechtsverletzungen auf der verlinkten Website soll es nicht ankommen. Ebensowenig wie auf die Frage, ob das Setzen des Hyperlinks das Auffinden des Werks "in hohem Maß" erleichtert. Die Begründung des GA überrascht, steht sie doch im Widerspruch zu der bisherigen Link-Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Svensson (Urt. v. 13.2.2014, Az. C-466/12) und BestWater.
2/2: Keine öffentliche Wiedergabe durch Linksetzung?
Laut GA soll es nämlich bereits an einer Wiedergabe fehlen, da die eigentliche Zugänglichmachung durch die ursprüngliche Wiedergabe alleine auf der verlinkten Website erfolge und nicht durch die Linksetzung. Dieses Argument erinnert an die frühere BGH-Rechtsprechung Paperboy (Urt. v. 17. 7. 2003, Az. I ZR 259/00), wonach ein Link auf ein frei zugängliches Werk per se keine urheberrechtlich relevante Nutzungshandlung darstellen sollte. Dagegen hat jedoch der EuGH in der Anfang 2014 entschiedenen Rechtssache Svensson klargestellt, dass das Vorliegen einer "Handlung der Wiedergabe" weit zu verstehen ist. Die Bereitstellung von Links zu geschützten Werken, die auf einer anderen Seite ohne Zugangsbeschränkung veröffentlicht sind, ist hiernach entgegen der Ansicht des GA ohne weiteres als "Zugänglichmachung" und deshalb als Wiedergabe einzustufen.
Wathelet führt ins Feld, dass eine zu großzügige Auslegung des Begriffs der Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit das Funktionieren des Internets erheblich beeinträchtigen und die Verwirklichung eines Hauptziels der Info-Soc-Richtlinie, nämlich die Förderung der Entwicklung der Informationsgesellschaft in Europa, gefährden würde. Eine zu strenge Linkhaftung sei "dem guten Funktionieren des Internets, dessen Architektur als solcher und letztlich der Entwicklung der Informationsgesellschaft abträglich".
Diese Argumente haben in der Tat ihre Berechtigung, allerdings wertungsmäßig eher in anders gelagerten Fällen: Nämlich in solchen, wo der Linksetzende eben nicht ohne Weiteres beurteilen kann und schon gar nicht positiv weiß, dass auf der verlinkten Website Urheberrechtsverletzungen begangen werden. Nach den Erwägungsgründen der Richtlinie geht es auch darum, für die Inhaber eines Urheberrechts ein hohes Schutzniveau sicherzustellen, worauf der EuGH in der Sache Svensson zu Recht hingewiesen hat. Diesen Umstand berücksichtigt der GA nicht ausreichend.
Aber auch die Hilfserwägung des GA, dass keine Wiedergabe an die "Öffentlichkeit" vorliegen soll, ist mit der bisherigen EuGH-Rechtsprechung nicht vereinbar. Denn eine öffentliche Wiedergabe liegt danach vor, wenn sie sich an ein neues Publikum richtet, also an ein Publikum, das die Inhaber des Urheberrechts nicht hatten erfassen wollen, als sie die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe erlaubten. Da Sanoma die Veröffentlichung der geleakten Fotos zum Zeitpunkt der Verlinkung überhaupt nicht autorisiert hatte, richtet sich die Wiedergabe entgegen der Ansicht des GA durchaus an die Öffentlichkeit im Sinne der vorgenannten Definition des EuGH.
Gravierende Folgen für Rechteinhaber
Der GA versucht hier offensichtlich, rechtspolitisch Einfluss zu nehmen. Das ist nicht seine Aufgabe. Eine Erklärung für die fragwürdigen Schlussanträge könnte sein, dass der EuGH in seinen vorherigen Linking-Entscheidungen auf eine Stellungnahme des GA verzichtet hatte und dieser nun versucht, den rechtlichen Rahmen neu abzustecken. Sollte der EuGH der Ansicht des GA folgen, müsste er seine bisherige Link-Rechtsprechung, die erst circa zwei Jahre alt ist, ändern und gravierende Folgen für die Rechteinhaber in Kauf nehmen.
Zwar können die Rechteinhaber immer noch versuchen, gegen die unmittelbaren Verletzer oder Plattformbetreiber vorzugehen, welche die Fotos auf der verlinkten Website einstellen bzw. speichern. In zahlreichen Fällen wird der Berechtigte aber bereits an praktische Grenzen stoßen, insbesondere wenn die Beteiligten sich unter dem Deckmantel der Anonymität verstecken oder ihren Sitz im außereuropäischen Ausland haben.
Es wäre daher interessengerecht, wenn der Verlinkende im Rahmen eines Notice-and-takedown-Verfahrens zumindest dann haftet, wenn er die Rechtsverletzung kennt oder hiervon in Kenntnis gesetzt wird und dann nicht ausreichend reagiert, so wie es der BGH in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung zum unlauteren Wettbewerb entschieden hat (Urt. v. 18.6.2015, Az. I ZR 74/14).
Dr. Sascha Abrar, LL.M. ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz bei LÖFFEL ABRAR Rechtsanwälte PartG mbB sowie Lehrbeauftragter für IP-Recht an der Hochschule Düsseldorf. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind unter anderem das Urheberrecht und das Recht gegen den unlauteren Wettbewerb.
Dr. Sascha Abrar, LL. M., EuGH-Generalanwalt für Aufgabe der Linkhaftung im Urheberrecht: Die Rechteinhaber nicht vergessen . In: Legal Tribune Online, 08.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19020/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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