Saudi-Arabien im UN-Menschenrechtsrat: Was sind schon "höchste Ansprüche"?

2/2: "Fair equality" statt Gleichheit der Geschlechter

Die Generalversammlung hat allerdings beschlossen, "dass die in den Rat gewählten Mitglieder den höchsten Ansprüchen auf dem Gebiet der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte gerecht werden müssen" und bei der Wahl "der Beitrag der Kandidaten zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte" zu berücksichtigen ist.

Dies ist also die Messlatte für die Kandidaten. Zugegeben, es ist unklar, was genau diese höchsten Ansprüche ausmacht und die meisten Staaten der Welt sind keine demokratischen Rechtsstaaten mit zweifelsfreier Menschenrechtsbilanz – nicht einmal in Europa.

Gleichwohl liegt der Fall Saudi-Arabiens, das bereits zweimal dem Menschenrechtsrat angehörte, anders. In seiner Kandidatur begründet es seine menschenrechtlichen Verpflichtungen mit der Scharia und stellt sie zugleich unter deren Vorbehalt. Statt von einer Gleichheit der Geschlechter, spricht das Land von einer "fair equality", was einigen Interpretationsspielraum zulässt.

Blockbildung lähmt auch den neuen Menschenrechtsrat

Vor allem aber gilt: Ein Land, in dem Frauen eine gehörige Portion Mut brauchen, wenn sie sich hinters Steuer setzen, in dem Hände und Füße als Strafe abgehackt, Homosexuelle ausgepeitscht und sogar hingerichtet werden können, in dem Wanderarbeitnehmer als Sklaven gehalten werden, eine Bibel im Reisegepäck verboten ist und Inspektoren des Menschenrechtsrats zurückgewiesen werden, ein solches Land dürfte höchsten menschenrechtlichen Ansprüchen erkennbar nicht genügen.

Von Seiten der afrikanischen und asiatischen Staaten drohte Saudi-Arabien dennoch wenig Widerstand. Im Menschenrechtsrat zeigen sich bereits Ansätze einer Blockbildung, die seinerzeit bereits die Arbeit der Menschenrechtskommission lähmte.

Auch in den westlichen Staaten, mit der Magna Charta, der Virginia Bill of Rights und der Französischen Menschen- und Bürgerrechtserklärung eine Wiege der Menschenrechte, regte sich kaum Protest. Während Kanada noch Kritik äußerte, gaben sich die europäischen Staaten ausgesprochen konziliant in der Anhörung. Frankreich lobte dem Vernehmen nach gar die (vermeintlichen) Fortschritte bei den Frauenrechten – das Land hat freilich auch selbst erfolgreich kandidiert.

So erhielt Saudi-Arabien schließlich 140 Stimmen – Berichten zufolge auch die Stimme Deutschlands.

Wahl reflektiert Probleme des internationalen Menschenrechtsschutzes

Der Einsatz für Menschenrechte ist ein Balanceakt zwischen Idealismus und Realpolitik. Die jüngste Wahl hat verdeutlicht, dass es Menschenrechte zunehmend schwer haben gegenüber wirtschaftlichen oder Prestigeinteressen. "Höchste Ansprüche" müssen mitunter noch höheren Interessen weichen.

Unter anderen werden Russland, China und Saudi-Arabien ab Januar für drei Jahre im Menschenrechtsrat sitzen. Zum Vorschein kommt ein Menschenrechtsrat, der besser sein sollte, aber nicht besser sein kann als es die Vereinten Nationen und ihre Mitglieder sind. Der neu zusammengesetzte Rat reflektiert die menschenrechtliche Defizite der Staaten, ihre Uneinigkeit hinsichtlich eines universalen und durchsetzungsstarken Menschenrechtsverständnisses sowie die Tendenz, Kritik für eine unzulässige Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten zu halten.

Nur so ist zu erklären, dass 140 Staaten Saudi-Arabien attestiert haben, höchsten menschenrechtlichen Ansprüchen zu genügen.

Der Autor Dr. Michael Lysander Fremuth forscht und lehrt als Akademischer Rat an der Universität zu Köln. Er ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) in Nordrhein-Westfalen, Mitglied des Bundesvorstandes der DGVN und Sprecher der Fachkommission Internationales bei Amnesty International.

Zitiervorschlag

Privatdozent Dr. Michael Lysander Fremuth, Saudi-Arabien im UN-Menschenrechtsrat: . In: Legal Tribune Online, 13.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10030 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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