Die Sächsische Zeitung hat angekündigt, in Zukunft stets die Nationalität von Straftätern nennen zu wollen – auch, wenn es Deutsche sind. Das schließt eine Diskriminierung von Ausländern für Presserats-Geschäftsführer Lutz Tillmanns nicht aus.
LTO: Herr Tillmanns, Sie sind Geschäftsführer des Presserats, dessen Kodex die Sächsische Zeitung in Zukunft nicht mehr zu beabsichtigen gedenkt. Die Nationalität von Straftätern und Tatverdächtigen will man dort in Zukunft immer nennen – gemäß Richtlinie 12.1 des Pressekodex ist das bei Angehörigen religiöser oder ethnischer Minderheiten aber nur zulässig, wenn ein begründbarer Sachbezug zu der Meldung besteht. Wird der Presserat bald reihenweise Artikel der Sächsischen Zeitung beanstanden?
Tillmanns: Das wird man sehen. Bislang handelt es sich ja nur um eine Ankündigung. Ich gehe nicht davon aus, dass die Sächsische Zeitung nun versuchen wird, den Pressekodex mit Füßen zu treten. Das Ziel der Ziffer 12 – die Vermeidung der Diskriminierung von Minderheiten – teilt man dort ja ohnehin. Über die Mittel zur Erreichung dieses Ziels mögen die Vorstellungen auseinandergehen. Ich denke aber, dass die Redaktion der Sächsischen Zeitung sich der Frage nach der Nennung von Nationalitäten auch in Zukunft konstruktiv und mit Fingerspitzengefühl nähern und versuchen wird, den Pressekodex gemäß ihrem Verständnis weiterhin zu beherzigen.
LTO: In der Erklärung der Redaktion heißt es aber ausdrücklich: "Deshalb haben wir nach durchaus kontroversen Diskussionen beschlossen, uns bei der Berichterstattung über Ausländerkriminalität ab heute nicht mehr an die Richtlinie des Deutschen Presserates zu halten."
Tillmanns: Wie gesagt, man wird sehen, wie die Praxis der Redaktion in Zukunft konkret ausfällt. Bislang liegen uns jedenfalls keine Beschwerden über Artikel der Sächsischen Zeitung vor, und ohne diese können die Beschwerdeausschüsse des Presserats ohnehin nicht tätig werden.
"Straftaten von Deutschen werden nicht in derselben Form verallgemeinert wie solche von Ausländern"
LTO: Die Sächsische Zeitung erklärt ihre neue Redaktionslinie mit einer zuvor durchgeführten Leserbefragung. Danach dächten immerhin 25 Prozent der Abonnenten, dass die Medien die Herkunft ausländischer Täter aus Rücksicht auf diese verschwiegen. Um dieser Vorstellung entgegenzuwirken und zugleich bewusstzumachen, dass die Mehrheit aller Verbrechen eben nicht von Ausländern begangen wird, wolle man stets auf die Nationalität hinweisen – auch, wenn die Täter Deutsche sind. Schließt das nicht bereits eine Diskriminierung aus?
Tillmanns: Nein, das allein reicht nicht aus. Insofern ist die Richtlinie 12.1 eindeutig: Es muss ein konkreter inhaltlicher Bezug zu der jeweiligen Tat bestehen. Der ganz allgemeine Bezug, dass es sich um irgendeine Straftat handelt, und man bei sämtlichen Straftaten die Herkunft nennt, reicht nicht aus. Das hat auch seinen Sinn. Es macht einen großen Unterschied, ob Sie schreiben: "Bei dem Einbrecher soll es sich um einen Algerier gehandelt haben" oder: "Bei dem Einbrecher soll es sich um einen Deutschen gehandelt haben". In letzterem Fall wird niemand auf die Idee kommen, dass die meisten oder alle Deutschen kriminell sein könnten – im ersteren Fall bezogen auf die Algerier aber evtl. schon. Das ist gerade der Unterschied zwischen der Zuschreibung einer Gruppenzugehörigkeit bei Minderheiten und derjenigen bei Mehrheiten in der Gesellschaft.
LTO: Welche Sanktionsmöglichkeiten haben Sie denn, wenn gegen den Pressekodex verstoßen wird?
Tillmanns: Bei leichten Verstößen erteilt der Presserat einen entsprechenden Hinweis an die Redaktion. Bei mittelschweren Fällen spricht er seine Missbilligung aus und empfiehlt, diese abzudrucken. Bei schweren Verletzungen des Pressekodex ergeht eine Rüge, die die Redaktion abdrucken muss, sofern ihr Verlag – wie etwa 80-90 Prozent der deutschen Verlagslandschaft – sich zur Einhaltung des Pressekodex verpflichtet hat. Bei Verstößen gegen den 12.1 wurde meiner Erinnerung nach aber in den letzten Jahren keine Rüge ausgesprochen, weil es sich dabei meist um eher fahrlässige oder in einen Grenzbereich fallende Übertritte und nicht um grobe Verletzungen handelte.
2/2: "Debatte um den Pressekodex zeigt, dass er ernstgenommen wird"
LTO: Mit anderen Worten: Spürbare Konsequenzen gibt es nicht.
Tillmanns: Das sehe ich anders. Wir sind kein Ersatzgericht, das zu Schadensersatz oder Unterlassung verurteilt, und wollen auch keins sein. Dass dem Pressekodex dennoch Bedeutung beigemessen wird, zeigen aber schon die regen Diskussionen, die er regelmäßig auslöst. Gerade der 12.1 war ja in den vergangenen Monaten ein sehr präsentes und kontroverses Thema in den Medien, und ist es noch immer.
LTO: Mit dem recht klaren Auslöser der Kölner Silvesternacht. Sind die Medien seitdem allgemein schneller damit bei der Hand, auf die Herkunft von Tätern hinzuweisen?
Tillmanns: Ob das objektiv so ist, kann ich nicht sagen. Fest steht aber jedenfalls, dass wir mehr Beschwerden wegen Verstößen gegen den 12.1 erhalten. In den vergangenen Jahren machte die Vorschrift etwa fünf Prozent aller Beschwerdefälle aus, 2016 sind es bisher etwa zehn bis zwölf Prozent. Das ist eine spürbare Steigerung, aber auch keine totale Explosion der Zahlen.
LTO: Die Debatte rund um die mediale Behandlung von Ausländerkriminalität hat im März auch dazu geführt, dass der Presserat sich mit einer Änderung oder Abschaffung des 12.1 befasst hat – letztlich blieb dann aber doch alles so, wie es war. Ist das Thema damit vom Tisch?
Tillmanns: Wirklich vom Tisch sind solche Themen nie – der Pressekodex bildet ja immer einen gesellschaftlichen Ethikkonsens ab, der sich im Laufe der Zeit und durch Änderung der Umstände auch verschieben kann. Wir haben uns im März aber gründlich mit dem Thema befasst und etliche Experten angehört und sind letztlich zu der Überzeugung gelangt, dass eine Änderung der Vorschrift momentan mehr schaden als nutzen würde.
Bei der Diskussion ist allerdings auch offenbar geworden, dass in vielen Redaktionen große Unklarheit darüber herrscht, wann denn nun "für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht", der die Nennung z.B. der Ethnie oder Religion rechtfertigt. Deshalb arbeiten wir momentan an einem Leitfaden, der eine Orientierung für die typischen Konstellationen ermöglichen soll, in denen sich diese Frage stellt.
LTO: Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Tillmanns.
Lutz Tillmanns ist Rechtsanwalt und seit 1992 Geschäftsführer des Presserats.
Constantin Baron van Lijnden, Nennung der Nationalität von Straftätern: "Nicht in Ordnung, nur weil man es immer macht" . In: Legal Tribune Online, 08.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19928/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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