3/3: "Der NSU-Prozess zeigt: Mehr Daten bringen auch nicht mehr Sicherheit"
LTO: Im Kontext des laufenden NSU-Verfahrens und der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses werden Forderungen nach mehr Austausch und Vernetzung zwischen Polizei und Geheimdiensten, aber auch zwischen den Ländern lauter. Wie ist ein effektives Vorgehen auch und gerade gegen den Terrorismus aus Ihrer Sicht mit den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zu vereinbaren, das die Antiterrordatei erst vor kurzem nur noch gerade eben so als verfassungsgemäß ansah?
Leutheusser-Schnarrenberger: Das lässt sich gut vereinbaren, wie auch diese Legislaturperiode zeigt. Nach der PIN- und PUK-Entscheidung haben wir ja auch schon nachgebessert – und zwar mehr, als Karlsruhe verlangt hat. Sie werden aber kein verschärfendes Sicherheitsgesetz finden. Die Antiterrordatei ist ja in bestimmten Punkten durchaus verfassungswidrig – das sind genau die Punkte, die wir schon damals massiv kritisiert haben, als ich noch in der Opposition an den Verhandlungen beteiligt war.
Mit seiner Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht erstmalig das Trennungsprinzip ausdrücklich benannt, es kann also nicht alles miteinander verbunden werden. Aufgrund von Einzelgesetzen kann man natürlich innerhalb der Verfassungsschutzbehörden Informationen weitergeben – das ist mit Datenschutz in Einklang zu bringen. Im NSU-Ermittlungsverfahren hat man aber diese Daten ja gar nicht weitergegeben, weil man den Fokus der Ermittlungen gar nicht im rechten Milieu gesehen hat. Die eigentliche Konsequenz, die wir aus den Schwächen in diesem Zusammenhang ziehen müssen, ist doch die Frage, wie wir besser erkennen können, wann ein rechtsextremistischer Hintergrund vorliegt. Dabei aber helfen bloß mehr Daten auch nicht.
"Nichts Fertiges zur Gerichtsöffentlichkeit in der Schublade"
LTO: Der NSU-Prozess ist nur ein äußerst prominentes Beispiel für die Frage, ob die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens sich dem 21. Jahrhundert anpassen muss. Beabsichtigen Sie, mehr oder andere Öffentlichkeit möglich zu machen? Wie stehen Sie zur audiovisuellen Übertragung von Gerichtsverhandlungen – in einen Presseraum oder gar darüber hinaus?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe nichts Fertiges in der Schublade. Die Debatte ist ja auch jetzt wieder abgeebbt, der Prozess läuft. Ich möchte an § 169 Gerichtsverfassungsgesetz derzeit nichts vor dem Hintergrund dieses oder eines anderen konkreten Verfahrens ändern. Wenn man da rangehen und sich fragen will, ob und gegebenenfalls was man ändern könnte, dann nur mit Ruhe und Besonnenheit und nicht anhand eines Einzelfalls.
Dabei müssen wir uns nicht nur den technischen Fortschritt und die damit einhergehenden Möglichkeiten ansehen, sondern uns auch fragen, was das für die Grundsätze der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung bedeutet. Mehr Öffentlichkeit zuzulassen, könnte die Verfahrensbeteiligten, aber auch Zeugen beeinträchtigen. Der Richter zum Beispiel – trüge er auch die Verantwortung für andere Säle? Und wir wollen keine Prozesse, die Prangerwirkung haben.
Wir sollten die Debatte in der kommenden Legislaturperiode führen – aber es kann keine Regelung geben, die Auswirkungen auf den laufenden NSU-Prozess hat.
LTO: Frau Ministerin, vielen Dank für das Gespräch.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist seit 2009 Bundesministerin der Justiz. Das Amt hatte sie bereits von 1992 bis 1996 inne.
Das Interview führte Pia Lorenz.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Interview: . In: Legal Tribune Online, 07.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8872 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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