Was das Völkerrecht erlaubt: Darf Russ­land Atom­waffen im Wel­traum sta­tio­nieren?

Gastbeitrag von Philipp Feth, LL.M.

19.02.2024

Medienberichten zufolge plant Russland, Atomwaffen im Weltraum zu stationieren, um Satelliten auszuschalten. Der Weltraumvertrag von 1967 verbietet die Installation von Atombomben, Anti-Satelliten-Waffen könnten aber zulässig sein.

Russland will Atomwaffen im Weltall stationieren, berichteten in der vergangenen Woche mehrere US-Medien übereinstimmend. Demzufolge sollen die Waffen nicht unmittelbar auf die Erde gerichtet sein, sondern Satelliten im All ausschalten können. Russland wies die Berichte zurück, im Detail wolle man sich dazu nicht äußern, bis die US-Regierung Näheres bekanntgebe. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses dagegen bestätigte, Russland arbeite schon länger an einem Einsatz von Anti-Satellitenwaffen. Zugleich teilte er aber mit, dass nach seinen Informationen keine unmittelbare Bedrohung bestehe: "Wir sprechen hier nicht über eine Waffe, die für Angriffe auf Menschen oder physische Zerstörung hier auf der Erde eingesetzt werden kann", wird er in einem Bericht der Tagesschau zitiert.

Schätzungen zufolge gibt es auf der Erde derzeit 12.500 Atomwaffen im engeren Sinne, wohingegen im Weltraum bisher noch keine installiert sind. Woher kommt das? Ist es verboten, Atomwaffen im Weltraum zu stationieren?

Es kommt drauf an: Geht es um Atomwaffen im engeren Sinne, also solche, deren Wirkung auf kernphysikalischen Reaktionen beruht, auch bekannt als "Atombombe"? Oder sollen konventionelle Waffen ins All verbracht werden, deren Antrieb mit Hilfe von Atomenergie gesichert wird. Ungefährlich ist beides nicht.

Weltraumvertrag verbietet Stationierung von Kern- und Massenvernichtungswaffen

Atombomben im All zu installieren, verbietet der Weltraumvertrag von 1967, offiziell der "Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper". Diesen völkerrechtlichen Vertrag haben bislang 114 Staaten unterzeichnet, er erstarkte zu Völkergewohnheitsrecht, weil sich unter den vielen Vertragsparteien alle wichtigen Raumfahrernationen befinden und diese seine Regelungen größtenteils befolgen. Damit bindet er sogar Staaten, die ihn nicht unterzeichnet haben.

Auch Russland ist als Rechtsnachfolger der Sowjetunion an den Weltraumvertrag gebunden. Die Sowjetunion war mit den USA eine treibende Kraft bei den Verhandlungen zum Abschluss des Vertrages, der also ein Produkt des Kalten Krieges ist.

Durch den Fortschritt, den beide Supermächte ab den 50er Jahren in den Bereichen Kernwaffen und Raumfahrt erzielen konnten, bestand die reale Gefahr, dass sich der Kalte Krieg auf den Weltraum ausweitet. Dies wollte man mit der Unterzeichnung des Vertrages verhindern. Zwischen den am Verhandlungsprozess beteiligten Staaten bestand Einigkeit, dass es dringenden Bedarf gibt, den Weltraum frei von Kern- und Massenvernichtungswaffen zu halten.

Dieses Anliegen setzt Art. IV Abs. 1 Weltraumvertrag um. Dieser verbietet den Vertragsstaaten, "Gegenstände, die Kernwaffen oder andere Massenvernichtungswaffen tragen, in eine Erdumlaufbahn zu bringen". Auch werden die Staaten verpflichtet, "weder Himmelskörper mit derartigen Waffen zu bestücken noch solche Waffen im Weltraum zu stationieren".

Keine komplette Demilitarisierung des Weltraums

Worauf man sich ebenfalls zur weiteren Deeskalation im All einigen konnte, war das in Art. II geregelte Verbot zur Aneignung von Himmelskörpern. Dadurch wird verhindert, dass ein Staat territoriale Ansprüche auf Planeten oder Monde erhebt. Dass die Crew um Neil Armstrong 1969 eine US-Flagge auf dem Mond hisste, führte also nicht dazu, dass der Mond zum 51. US-Bundesstaat wurde.

Einigkeit bestand zwischen den Supermächten aber auch, dass konventionelle Waffen durchaus in den Weltraum verbracht werden dürfen. Vorschläge anderer Staaten, das All durch den Weltraumvertrag komplett zu demilitarisieren, lehnten die USA und die Sowjetunion in ungewohnter Einigkeit ab. Und so verbietet Art. IV Abs. 1 Weltraumvertrag nur die Stationierung von Atomwaffen im engeren Sinne. Konventionelle Waffen hingegen sind von dem Verbot nicht erfasst – auch dann nicht, wenn sie atomar betrieben werden.

Damit dürfen auch Anti-Satellitenwaffen im All stationiert werden, wenn sie nicht mit einer Atombombe bestückt sind. Bei den Vertragsverhandlungen zum Weltraumvertrag diskutierten die USA und die Sowjetunion, auch ein Verbot von konventionellen Anti-Satellitenwaffen zu regeln. Sie wurden jedoch von anderen Staaten angehalten, das Thema beiseite zu schieben, um den Verhandlungsprozess zu beschleunigen.

Konventionelle Waffen im All zu stationieren, dient Staaten dazu, Satelliten zu bedrohen und ggf. auszuschalten. Ein großflächiger Satellitenausfall ist keineswegs ungefährlich, sondern hätte ungeahnte Folgen auf der Erde. Denn das Leben so wie wir es kennen, wäre ohne den Einsatz von Satelliten nicht möglich. Auch Kriege, die auf der Erde geführt werden, sind von Satelliten abhängig.

Satelliten als lohnendes Angriffsziel

Satelliten, von lateinisch satelles, also Begleiter oder Leibwächter, sind Objekte, die einen Himmelskörper umkreisen. "Erdsatelliten" sind künstliche Begleiter, die allerhand verschiedenen Zwecken dienen können. Die jeweilige Größe hängt vom Einsatzzweck ab, im All kreisen handballgroße Satelliten und solche, die sieben Tonnen schwer sind und eine 18 Meter hohe Antenne an Bord haben. Meistens werden sie durch Solarenergie betrieben, die die Begleiter auf Geschwindigkeiten von bis zu 28.000 Stundenkilometer bringt. Um die Erde einmal zu umrunden, braucht so ein Satellit dann ungefähr 90 Minuten.

Satelliten werden zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt: Sie sorgen für die TV-Übertragung und ermöglichen die Positionsbestimmung mit Hilfe von GPS oder dem EU-Pendant Galileo. Die Versorgung mit Internet über Satelliten hat sich gerade in entlegenen Gegenden immer mehr verbreitet. Auch Bankgeschäfte werden mit Hilfe von Satellitentechnik abgewickelt.

Der Krieg in der Ukraine hat zudem gezeigt, dass Satelliten auch als Instrument der Kriegsführung immer wichtiger werden. Die von Russland und der Ukraine eingesetzten Artillerie- und Drohnenwaffensystem brauchen Internet, um gesteuert zu werden. Auf dem Schlachtfeld lässt sich das am einfachsten und stabilsten über Satelliten zur Verfügung stellen.

Was der einen Kriegspartei als Hilfsmittel dient, ist für die andere ein Angriffsziel. Vieles deutet darauf hin, dass Russland direkt zu Beginn seiner Invasion einen Cyberangriff auf das US-amerikanische Unternehmen Viasat verübt hat. Viasat versorgt seine Kunden mit Satelliten-Internet. Mit Beginn des Krieges wurde Viasat Opfer einer Cyberattacke, die dazu führte, dass die Firma ihren Kunden – dazu gehörten damals auch die ukrainische Armee und der Windanlagenhersteller Enercon mit Sitz in Aurich – ihre Dienste nicht mehr zur Verfügung stellen konnte. Über die Folgen des Ausfalls für die ukrainische Armee weiß man wenig; bekannt ist aber, dass die Steuerung und Fernwartung von mehr als 5.000 deutschen Windkraftanlagen von Enercon wegen des Ausfalls über Wochen gestört war.

Massenkarambolage in der Erdumlaufbahn

Darüber hinaus kann die Zerstörung eines einzelnen Satelliten auch Folgen für andere Satelliten haben: Weltraumschrott, also die Überbleibsel außer Dienst gestellter Satelliten, oder natürliche Weltraumbestandteile sind schon heute ein großes Problem für die um die Erde kreisenden Satelliten. Bei den hohen Geschwindigkeiten, mit denen die Satelliten durch das All kreisen, kann eine Kollision mit einem kleinen Gegenstand erhebliche Schäden an diesen hervorrufen. Satellitenbetreiber kartographieren schon jetzt die jeweilige Satellitenumlaufbahn und leiten bei Kollisionsgefahr Ausweichmanöver ein.

Dadurch, dass immer mehr Satelliten ins All geschossen werden, steigt auch die Gefahr, dass das sog. Kessler-Syndrom zum Tragen kommt. Der Astronom Donald Kessler hat schon 1978 vor einer Massenkarambolage im All gewarnt. Deren Wahrscheinlichkeit erhöht sich mit jedem weiteren Stück Weltraumschrott und jedem weiteren Satelliten in der Erdumlaufbahn, denn eine Kollision kann – wie auf der Autobahn – schnell weitere Kollisionen nach sich ziehen.

Abschließend bleibt zu hoffen, dass alle Vertragsparteien des Weltraumvertrages sich an die Einigkeit erinnern, die bei der Schaffung des Weltraumvertrags herrschte und dafür sorgte, dass der Weltraum bis heute kern- und massenvernichtungswaffenfrei ist.

Die EU-Kommission jedenfalls hat aus den Vorfällen rund um Viasat ihre eigenen Schlüsse gezogen und die Wichtigkeit des Schutzes von Satelliten für das Funktionieren der Wirtschaft und des täglichen Lebens erkannt. Sie will Satelliten resilienter gegenüber Cyberattacken und Weltraumschrott machen. Noch in diesem Frühjahr will sie einen Entwurf für einen EU-Weltraumrechtsakt vorlegen.

Philipp Feth, LL.M. (Exeter), arbeitet als Rechtsanwalt in den Bereichen Weltraumrecht und Strafrecht. Er promoviert zum Thema Weltraumbergbau am Kölner Institut für Luftrecht, Weltraumrecht und Cyberrecht.

Zitiervorschlag

Was das Völkerrecht erlaubt: . In: Legal Tribune Online, 19.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53906 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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