Die neue Bundesregierung hat Ihre Absicht bekräftigt, zügig ein sog. Rüstungsexportkontrollgesetz auf den Weg zu bringen. Das Gesetz könnte eine Revolution bedeuten, meint Viktor Winkler - nicht nur für die deutsche Rüstungsindustrie.
Es ist nicht alles Corona und Klima. Die neue Bundesregierung hat sich zuletzt auffällig häufig auch zum Thema Rüstungsexporte geäußert. Im Zentrum steht dabei das geplante sogenannte Rüstungsexportkontrollgesetz (REKG).
Auffällig vehement betonte die neue Außenministerin Baerbock zum Jahreswechsel gegenüber der Deutschen Presseagentur, dass das Gesetz kommen werde. Anlass waren Berichte von "Last Minute"-Genehmigungen durch die Vorgängerregierung. Doch schon der Koalitionsvertrag der Ampel enthält die Feststellung: "Wir setzen uns für ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz ein".
Der politische Druck ist enorm. In einem gemeinsamen Appell haben zuletzt nicht weniger als 33 Nichtregierungsorganisationen das REKG gefordert. Georg Mascolo, immerhin einer der einflussreichsten Journalisten des Landes, schrieb vor wenigen Tagen zu diesem Satz aus dem Koalitionsvertrag: "Man kann nur hoffen, dass dieses Versprechen nicht wieder so endet wie bisher die allermeisten Ankündigungen in diesem Bereich".
Die Regierung scheint liefern zu wollen. "Wenn alles nach Plan verläuft, haben wir im zweiten Halbjahr einen ersten Gesetzentwurf", erklärte Wirtschafts-Staatssekretär Sven Giegold gegenüber der taz. Bereits im Frühjahr sollen Expertenanhörungen erfolgen.
Was hat es auf sich mit dem Gesetzesprojekt? Warum eigentlich ein Gesetz? Und was wird drinstehen?
Eine grüne Idee
Wer auf diese Fragen Antworten sucht, kann nicht einfach in einen Entwurfsvorschlag schauen. Den gibt es nämlich nicht. Was es gibt, ist ein ausformulierter Vorschlag von Greenpeace. Er stammt aus dem Jahr 2021, liest sich wie ein Gesetzentwurf, geriert sich wie ein Gesetzentwurf, hat dessen Layout und Form - ist es aber nicht. Die grünen Entscheiderinnen und Entscheider in der Regierung haben bereits deutlich gemacht, dass das REKG gerade keine Umsetzung des "Greenpeace-Gesetzes" werden wird, wie die Befürworter den Vorschlag meist nennen.
Wer verstehen will, was in Sachen REKG auf uns zukommt, muss stattdessen zurückgehen in das Jahr 2011. Damals hat die frisch - zwei Jahre zuvor - in den Bundestag eingezogene Abgeordnete Katja Keul das REKG nämlich "erfunden".
Anlass waren im Sommer 2011 umstrittene Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien. Als Rechtsanwältin, als Mitglied des Verteidigungsausschusses, als leidenschaftliche Außenpolitikerin, die immerhin 1999 mitten in der Ära Fischer aus Protest über den Kosovokrieg aus der Partei ausgetreten war, suchte sie die eigene und die Empörung Vieler politisch in eine Form zu gießen: Ein Gesetz, das Rüstungsexporte in Drittstaaten wie Saudi-Arabien wirksamer verhindern können sollte als bisher.
Ab da wurde das REKG zu einem Dauerbrenner. Immer wieder brachte die grüne Bundestagsfraktion Anträge dazu ein, immer wieder wurden sie abgelehnt. Der Linken gingen die Vorschläge meist nicht weit genug, der Mehrheit im Parlament gingen sie zu weit.
Sogar Sigmar Gabriel, immer mit feinem Gespür für Populäres, machte sich eine Zeit lang zum Bannerträger, forderte 2017 in Interviews das Gesetz als Mittel einer umfassenden Reform der Rüstungspolitik. Geworden ist auch daraus nichts. Das REKG blieb ein grünes Lieblingsprojekt ohne parlamentarischen Erfolg.
Katja Keul blieb offenbar während dieser gesamten Zeit diejenige, die das Konzept intellektuell forttrug. Auf sie ging auch wesentlich die Klageinitiative der Grünen zurück, die 2014 zur Grundsatzentscheidung über die - durch das Urteil massiv erweiterten - Informationspflichten der Bundesregierung bei Waffenexporten führte (BVerfG, Urt. v. 21.10.2014, Az. 2 BvE 5/11) - ein Meilenstein des Rüstungsexportrechts, bis heute.
Was bringt ein Gesetz?
Das REKG besaß in dieser gesamten Zeit einen Kerngedanken: Ein Gesetz bringt mehr Verbindlichkeit, bringt mehr Transparenz. Das wird bis heute für das REKG angeführt, überall. Dieser Kerngedanke, der unverändert geblieben ist seit 2011, klingt plausibel, ist für Fachleute aber überraschend.
Denn politisches Ziel ist doch die Beschränkung der Exporte. Alle Bundesregierungen aber, die in der Vergangenheit nach Mitteln suchten, in politischen Drucksituationen - vor allem medial - Exporte beschränken zu können, nutzten gerne die besonders weit formulierten Normen des Exportkontrollrechts in diesem Bereich, um Genehmigungen zu versagen, zu widerrufen - oder einfach auszusitzen. Die Rüstungsunternehmen klagten und klagen hiergegen selten bis nie.
Mehr Durchnormierung kann also das Ziel nicht sein, das würde mehr Überprüfbarkeit und damit weniger politischen Entscheidungsspielraum schaffen, gerade dann, wenn man an der Regierung ist.
Aber wäre es nicht schon ein Vorteil, dass die politischen Grundsätze der Bundesregierung in einem Gesetz festgeschrieben wären? Das propagierten Gabriel 2017 bis Mascolo 2022. Auch dieses Ziel verwundert aber ein wenig, denn die Grundsätze sind durchaus Recht. Sie sind nicht unverbindlich, sondern (nur) Innenrecht, das aber, wie Juristinnen und Juristen wissen, eine durchaus harte Selbstbindung entfaltet, die - im Prinzip - auch einklagbar wäre, auch im Falle eines REKG. Aber von wem eigentlich? Will die Regierung die Klagen von Rüstungsunternehmen erleichtern?
Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass von Beginn an im Zentrum der Idee des REKG immer noch etwas Anderes stand: das Projekt einer Verbandsklage. Ziel ist ein Klagerecht gegen erteilte Genehmigungen für Friedens- und Menschenrechts-NGOs (deren Anerkennung übrigens laut Greenpeace-Vorschlag das Auswärtige Amt (AA) erteilen soll).
Dieses Ziel macht ein REKG erst voll plausibel, einschließlich Einklagbarkeit und Normierung in einem Gesetz.
Die Verbandsklage wäre eine Revolution der Rüstungsexportkontrolle. Anders als bei der Musterfeststellungsklage ließen sich Genehmigungen mit dem Ziel der Aufhebung angreifen. Jede Genehmigung wäre dem Risiko einer Genehmigungsanfechtung ausgesetzt. Umso erstaunlicher: Viel diskutiert haben Politik, Rechtswissenschaft oder Praxis darüber noch nicht. Dabei gehörte die Verbandsklage seit jeher zum innersten Kern des Projekts REKG, es war bereits bei den früheren grünen Gesetzesinitiativen, etwa 2015, ausdrücklich enthalten.
Die eigentliche Revolution
Zurück ins heute, 2022. Denn jetzt ist Katja Keul, die "Erfinderin" des REKG, Staatsministerin im AA, ist politisch die Nummer Zwei am Werderschen Markt in Berlin Mitte. Schon dass es Baerbock war, die das Thema REKG in dieser Form medial aufgenommen hat, wurde in der Fachwelt, wie man so schön sagt, mit Interesse zur Kenntnis genommen. Tatsächlich war Teil des Projekts REKG seit jeher auch, dass die Genehmigungszuständigkeit für Rüstungsexporte vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) auf das AA übergehen soll.
Selbst wenn sich am Recht, also den Genehmigungsvoraussetzungen, inhaltlich nichts ändern sollte, der Zuständigkeitswechsel aufs AA könnte sich als noch brisanter erweisen als die Verbandsklage (die kommen kann oder auch nicht).
Denn nicht nur funktional wäre die Genehmigungsentscheidung damit von einer wirtschaftsrechtlichen zu einer außenpolitischen Frage gemacht - ein Punkt, der, obwohl ohne unmittelbare rechtliche Auswirkungen, beim REKG immer eine enorme Rolle spielte.
Und es geht auch nicht um Etiketten, also Genehmigungsbehörde in grüner statt (wie davor) in schwarzer oder (davor) roter Hand. Im Auswärtigen Amt würde vielmehr inhaltlich eine Strömung in der Rüstungsexportkontrolle - ganz konkret auch in der Person Katja Keul - politisch Traktion gewinnen, nicht in der radikalen Form der Rüstungsgegner und äußeren Linken aus dem "Greenpeace-Gesetz", aber in Form einer sehr deutlich beschränkten Genehmigungspraxis, vor allem bei Drittlandexporten.
Was, wenn das Genehmigungsrecht dann im Wesentlichen gleichbliebe, also weiterhin mit den dort üblichen vielen unbestimmten Rechtsbegriffen und exekutiven Einschätzungsprärogativen? Käme dann noch eine Verbandsklage hinzu, zeigte sich die eigentliche Revolution: Ein nicht rechtliches, aber faktisches Verbot von Rüstungsexporten, jedenfalls in Drittstaaten außerhalb der NATO, indem dieses Geschäft betriebswirtschaftlich unrentabel wird. Dass die Rüstungsindustrie ihre traditionelle Scheu vor Klagen gegen Exportkontrollmaßnahmen dann beibehält, ist unwahrscheinlich. Dann würde ein REKG sein Ziel - auf Umwegen - doch erreichen: Ein für Deutschland schon aufgrund historischer Verantwortung zentrales Thema endlich stärker zu verrechtlichen.
Der Autor Dr. Viktor Winkler, LL.M. (Harvard), war vor seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt langjähriger Head of Global Standards Sanctions der Commerzbank AG. Davor war er auch im Auswärtigen Amt tätig.
Das geplante Rüstungsexportkontrollgesetz: . In: Legal Tribune Online, 08.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47458 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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