Computerspiele sollen so realistisch wie möglich sein, bisher fehlt jedoch ein Detail: das humanitäre Völkerrecht. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes will das ändern und berät Spieleproduzenten zu den Feinheiten des Völkerrechts. Künftig sollen auch Ego-Shooter ihre Spieler für Kriegsverbrechen zur Verantwortung ziehen. Virtuelle Strafen sollen das Recht in echten Konflikten stärken.
Ob die Folter eines feindlichen Agenten mit Starkstrom oder die gezielte Exekution eines Gefangenen per Kopfschuss: Viele Szenen aus Computerspielen würden in der Realität als Kriegsverbrechen gelten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) in Genf, das die Einhaltung des humanitären Völkerrechts überwacht, fordert deshalb, auch Computerspieler für ihre Taten zu bestrafen.
Je nach Schwere der Vergehen könnten Punkte abgezogen werden oder ein "Game over" als Sanktion verhängt werden, schreibt die Organisation auf ihrer Website. Dadurch, so die Hoffnung, könnte auch in echten Konflikt-Situationen die Einhaltung des Völkerrechts gestärkt werden.
Computerspiele als Überträger
"Es gibt kaum Zweifel daran, dass Menschen durch ihre Spiel-Erfahrungen lernen", sagt Francois Senechaud, der beim ICRC die Arbeitsgruppe für die Förderung und Einhaltung des Rechts leitet. "Jemand, der im Spiel jedes Mal bestraft wird, wenn er andere foltert, wird eine andere Haltung entwickeln, wenn er in der Realität damit konfrontiert wird."
Unter den Spielern seien sowohl Zivilisten als auch Militärangehörige, künftige Soldaten und Entscheidungsträger, erklärt Senechaud. "Computerspiele sind deshalb einzigartige Überträger um Menschen überall auf der Welt darauf aufmerksam zu machen, dass auch in bewaffneten Konflikten Gesetze gelten." In einem Artikel für das ICRC argumentiert Senechaud, dass virtuelle Strafen das Recht in echten Konflikten stärken können.
Unter anderem die Haager Konventionen von 1907, die Genfer Konventionen von 1949, ihre Protokolle und eine Reihe von anderen internationalen Verträgen, die beispielsweise den Einsatz bestimmter Waffen verbieten.
Kriegsrecht kann komplex werden
Sowohl in der Realität als auch in Computerspielen geht es um offensichtliche Verbrechen: Standrechtliche Hinrichtungen von Personen, die sich ergeben haben oder verwundet sind, verbietet das internationale Recht genauso wie jegliche Form von Folter und Angriffe auf die Zivilbevölkerung.
Aber auch komplexe Situationen im Kriegsrecht könnten in Ego-Shooter aufgenommen werden: So haben Programmierer beispielsweise wie in der Wirklichkeit medizinisches Personal eingeführt. Man müsse dabei zwei Kategorien unterscheiden, erklärt Senechaud: Rot-Kreuz-Helfer, die leichte Waffen tragen um sich selbst verteidigen zu können. Sie kämpfen nicht mit und dürfen deshalb nicht angegriffen werden.
Eine zweite Kategorie sind Soldaten mit spezieller Ausbildung, die Aufgaben des Roten Kreuzes übernehmen, sogenannte "Combat Medics". Außerhalb ihrer medizinischen Tätigkeit gelten sie als Kämpfer und nehmen auch an Gefechten teil. "Die Situation wird unübersichtlich, wenn sie in Spielen mit weißen Uniformen oder Rot-Kreuz-Emblem dargestellt werden", sagt Senechaud. "Spieler bekommen dann den Eindruck, dass medizinisches Personal auf sie schießt und feuern zurück."
Besser nicht zu viele Zivilisten töten
Man sei sich bewusst, dass die Genfer Konventionen und andere Verträge auch in echten Kampf-Situationen verletzt werden, erklärt der ICRC-Mitarbeiter. Es gehe deshalb nicht darum, Spieler für ihre Taten zu bestrafen, die sie als Figur in einem Computerspiel begehen. "Unsere Sorge ist eher, dass der Eindruck entsteht, illegales Verhalten sei in bewaffneten Konflikten akzeptabel oder sogar Normalität."
Das ICRC berät deshalb Programmierer und Computerspiele-Hersteller. In manchen Spielen wurden bereits Details des Kriegsrechts umgesetzt. So wird beispielsweise in "Rainbow Six: Vegas" Spielern die Kommandoführung entzogen, wenn sie zu viele Zivilisten töten. Für denselben Tatbestand werden Spieler auch in "Call of Duty: Modern Warfare 2" bestraft.
Die Mitarbeiter der tschechischen Entwicklerfirma "Bohemia Interactive" wurden in Workshops vom ICRC fortgebildet. Ivan Buchta, der Kreativdirektor des Unternehmens, erklärt: Wenn Elemente wie internationales Recht mitaufgenommen würden, entstehe ein noch authentischeres Spiele-Erlebnis.
Ob dies tatsächlich einen Einfluss auf das Verhalten von zukünftigen Soldaten haben wird und bewaffnete Konflikte so humaner werden? Zweifellos erreichen Computerspiele deutlich mehr Menschen als normale Aufklärungs- und Trainingsprogramme zum humanitären Völkerrecht, so das ICRC.
Benjamin Dürr, Völkerrecht in Computerspielen: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10097 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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