Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht in Presse und Fernsehen von verschiedenen Berufsgruppen ethisches Verhalten eingefordert wird. Auch für die Judikative wird die Einführung eines richterlichen Ehrenkodexes – durchaus kontrovers - diskutiert. Andrea Titz fordert eine offene und konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema richterliche Ethik.
Erwacht auch in manchen Berufszweigen die Ethikdiskussion erst im Anschluss an eklatante Fehlentwicklungen, wächst doch zunehmend die Erkenntnis, dass die Bindung an bestimmte unveränderliche ethische Grundsätze nicht nur für die Gesellschaft als Ganzes, sondern auch in spezifischer Ausprägung als Berufsethik für einzelne Berufsgruppen unabdingbar ist. Dass sich also auch Richter und Staatsanwälte damit auseinandersetzen, welche spezifischen ethischen Anforderungen ihre Berufe an sie stellen, liegt vor diesem Hintergrund nahe.
Der Deutsche Richterbund (DRB), der größte Berufsverband der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Deutschland, hat bereits seit einigen Jahren die richterliche und staatsanwaltschaftliche Berufsethik zu einem seiner zentralen Themen gemacht.
Die richterliche Berufsethik als Ausdruck des Richtereides
Die Diskussion gerade über richterliche Ethik ist nach wie vor nicht unumstritten. Sorgt bei manchen schon der Begriff "Ethik" für Unbehagen, halten andere die Diskussion aus grundsätzlichen Erwägungen heraus für überflüssig. Nicht selten wird nämlich die Auffassung vertreten, dass der Richter kraft seines Amtes wisse, wie er sich "ethisch richtig" zu verhalten habe und dass sich im Übrigen der Inhalt der richterlichen Berufsethik im Wortlaut des Richtereides zusammenfassen lasse.
Dieser Hinweis greift indessen zu kurz.
Zwar stellt der Richtereid eine wichtige Grundlage bei der Annäherung an das Thema dar, er allein hilft aber nicht weiter, wenn der Begriff "Richterliche Ethik" mehr sein soll als nur ein inhaltlich schwer fassbares Prinzip, dem sich Richter und Staatsanwälte theoretisch verpflichtet fühlen. Wenn diese Theorie auch mit Leben gefüllt werden soll, müssen sich Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte mit ihrem ethischen Selbstverständnis in der täglichen Praxis beschäftigen.
Im Zuge einer solchen Auseinandersetzung wächst bei vielen schnell die Erkenntnis, dass ethische Probleme richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Handelns nicht nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen auftreten können, sondern dass auch alltägliche Situationen im Berufs-, aber auch im Privatleben ethische Dilemmata auslösen können.
Hierfür zu sensibilisieren, die Richterinnen und Richter und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zu konstruktiver Auseinandersetzung mit ihren ethischen Problemen zu ermutigen und im Einzelfall tragfähige Lösungen zu finden, ist eines der Ziele der Debatte über richterliche Berufsethik.
Anforderungen an das berufliche Selbstverständnis
Die Auseinandersetzung mit dem Thema kann darüber hinaus den Kolleginnen und Kollegen dazu dienen, ihr berufliches Selbstverständnis nicht nur zu reflektieren, sondern auch nach außen darzustellen. Für junge Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die sich häufig besonders hohem Arbeits- und vor allem Erledigungsdruck ausgesetzt sehen, stellt sie ein wichtiges Signal dar, dass Eingangs- und Erledigungszahlen nicht das Maß aller Dinge sind.
Nicht zuletzt ist es aber auch angesichts der zum Teil kritisch zu beobachtenden Einstellung mancher Landesjustizministerien gegenüber der Dritten Gewalt von großer Bedeutung, keinen Zweifel daran zu lassen, welche Anforderungen wir selbst an uns und unsere Arbeit stellen. So kann dem Vorwurf vorgebeugt werden, die begründeten Forderungen nach amtsangemessener Besoldung, nach besserer Personal- und Sachausstattung dienten nur unserer eigenen Bequemlichkeit und seien "Jammern auf hohem Niveau".
Die Debatte über richterliche und staatsanwaltschaftliche Berufsethik darf schließlich nicht durch die Angst verhindert werden, hierdurch würden Kategorien von "richtigem" und "falschem" Verhalten geschaffen und die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt.
Ziel einer Diskussion über richterliches Selbstverständnis und ethische Grundsätze ist gerade nicht die Schaffung eines neuen Disziplinarrechts mit Sanktionscharakter. Im Gegenteil haben wir nur die Möglichkeit, das Thema richterliche Ethik mit den Inhalten, die uns wichtig sind, zu behandeln und zu befördern, wenn wir uns offen der Diskussion stellen.
Die weiteren Chancen einer solchen Diskussion liegen auf der Hand: Durch sie kann das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz gewahrt und gestärkt werden. Nur wenn die Bürger Vertrauen in die Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Integrität der Richter haben, werden sie deren Entscheidungen akzeptieren – Akzeptanz der richterlichen Entscheidungen aber ist unabdingbare Voraussetzung für die Wahrung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit.
Die Autorin Andrea Titz ist Oberstaatsanwältin und Mitglied des Präsidiums des Deutschen Richterbundes
Richterlicher Ehrenkodex: . In: Legal Tribune Online, 04.05.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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