Bevor er in den Bundestag einzog, hielt sich Richter Maier mit heftigen Aussagen nicht zurück – trotz Verwarnung. So forderte er, die ZDF-Moderatorin Marietta Slomka zu "entsorgen". Warum ihn diese und andere Äußerungen noch einholen könnten.
Bis zur Rückkehr bleibt nicht mehr allzu viel Zeit, genau genommen bis Ende März. Bis dahin muss das sächsische Justizministerium dem vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte AfD-Politiker und Richter Jens Maier wieder einen Richterposten zuweisen. Seitdem ist hektische Betriebsamkeit in der Justiz und der Landespolitik ausgebrochen. Sie zeigt sich mittlerweile auch an der Oberfläche, wenn sich ein Bremer Verfassungsrechtler und die sächsische Justizministerin öffentlich über den richtigen Umgang mit dem Fall streiten.
Das Justizministerium Sachsens sieht sich nicht zuständig und der CDU-Fraktion im Landtag ist das bislang vorbildlose Sanktions-Schwergewicht der Richteranklage nicht geheuer. Aber zu erwarten ist, dass der künftige Dienstvorgesetzte Maiers an einem sächsischen Gericht sich mit der Einleitung eines Disziplinarverfahrens beschäftigen muss.
Die letzten Monate Maiers vor dem Mandat – bislang wenig beachtet
Es wäre nicht das erste, bereits 2017 kassierte der Richter für seinen Auftritt im Dresdner Ballhaus Watzke und für zwei Facebook-Einträge einen Verweis vom Landgericht (LG) Dresden. Maier warnte vor der "Herstellung von Mischvölkern" und forderte ein Ende des "Schuldkult". Worauf sich der Verweis – die mildeste Sanktion im Disziplinarrecht – damals im August 2017 genau bezog und überhaupt zu dem Fall Maier will der Pressesprecher des LG Dresden auf Nachfrage von LTO heute nichts mehr sagen.
Besonders interessant ist die Phase nach dem Verweis im Sommer 2017 und bevor Maier Ende Oktober 2017 Bundestagsabgeordneter wurde. In diesen Monaten war Maier Richter. Und damit galten für ihn die allgemeine Verfassungstreuepflicht, und auch das spezielle Mäßigungsgebot für Richter im Dienst. Zudem musste Maier durch den Verweis bereits gewarnt sein.
Seine Aussagen vor Mandatsantritt liegen zwar mittlerweile eine ganze Zeit zurück, für ein Disziplinarverfahren mit dem erklärten Ziel der Entfernung aus dem Dienst läuft aber keine "Verjährung", wie der Blick in § 15 Sächsisches Disziplinargesetz zeigt. Besonders interessant ist diese Phase auch deshalb, weil sich in diesen Monaten noch nicht die juristisch heftig umstrittene Frage stellt, welche Verhaltenspflichten gelten für einen Richter, der Bundestagsabgeordneter ist.
Es finden sich in der Zeit zwischen Spätsommer und Herbst 2017 noch Aussagen Maiers, die bisher nicht disziplinarrechtlich berücksichtigt wurden. Ihnen könnte auch deshalb für eine Gesamtbewertung ein besonderes Gewicht zukommen, weil es der letzte Eindruck von Maier im Justizdienst ist und vor allem, weil er einschlägige Aussagen nach dem Verweis gegen ihn tätigte.
Facebook-Post zu ZDF-Moderatorin: "Slomka entsorgen"
TV-Zuschauerinnen und Zuschauer konnten Anfang September 2017 verfolgen, wie die damalige AfD-Spitzenkandidatin für den Bundestag Alice Weidel die Politiker-Runde in der ZDF-Wahlsendung "Wie geht’s, Deutschland" vorzeitig verließ –später wurde diskutiert, ob es sich dabei um einen vornherein inszenierten Abgang handelte. Moderiert wurde die Sendung von der Journalistin Marietta Slomka. Kurz nach Weidels Abgang erschien auf Jens Maiers Facebook-Account folgender Post: "GEZ ABSCHAFFEN, SLOMKA ENTSORGEN!". Damit kommentierte der Post eine Stellungnahme Weidels zu dem Vorfall. Mittlerweile ist der Post nicht mehr auffindbar.
Wie die Forderung, Menschen zu "entsorgen", rechtlich einzuordnen ist, dazu hat das Landgericht Berlin 2020 im Fall von Online-Beleidigungen gegen die Grünen-Politikerin Renate Künast Ausführungen gemacht (Beschl. v. 21.01.2020, 27 AR 17/19). Die Richterinnen und Richter sahen darin "eine Anspielung an (sic, Anm. d. Red.) die Vernichtung von Menschen während des Nationalsozialismus" und "einen Angriff auf die Menschenwürde der Antragstellerin in dem Sinne, dass ihr die personale Würde abgesprochen, sie als unterwertiges Wesen beschrieben" werde. Und weiter: "Selbst wenn unterstellt wird, die Kommentare dienten der Kritik an der in dem Posting zum Ausdruck gebrachten Position (…), so steht aufgrund der Beschränkung allein auf (…) die Forderung die Antragstellerin zu entsorgen, die ehrherabsetzende Wirkung der Äußerungen und die von diesen ausgehende Aggressivität derartig im Vordergrund, dass eine etwaige beabsichtigte Kritik vollkommen in den Hintergrund tritt."
Maier benutzte offenbar gezielt die Wortwahl seines AfD-Kollegen Alexander Gauland. Der hatte mit seinem Satz, man solle die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD) in Anatolien entsorgen ein paar Tage zuvor für Aufregung gesorgt. Strafrechtlich hatte das für Gauland keine Konsequenzen, im Dienstrecht aber gelten andere Maßstäbe.
Für Beamtinnen und Beamten, wie auch für Richterinnen und Richter, gilt unter anderem das Mäßigungsgebot. Ihnen ist es nicht grundsätzlich untersagt, sich politisch zu äußern. Sie müssen dabei aber Mäßigung und Zurückhaltung an den Tag legen, die sich aus ihrer Stellung und den Pflichten ihres Amtes ergeben. Sprich: Sie haben Verantwortung für die Außendarstellung der Justiz als einer ihrer Vertreter.
Der letzte Eindruck von Maier im Justizdienst
In § 39 des Deutschen Richtergesetzes heißt es: "Der Richter hat sich innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, daß das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird." In der Vorschrift stecken gleich mehrere zentrale Aussagen: Ein Richter, der sich politisch betätigt, bleibt eben immer ein Richter, der sich politisch betätigt. Und das Gebot der Mäßigung ist gewissermaßen die Kehrseite der den Richtern verliehenen Unabhängigkeit im Verfassungsstaat.
Daneben gilt für Beamtinnen und Beamten und qua Verweis auf für Richterinnen und Richter eine Verfassungstreuepflicht, sie ist bereits Voraussetzung bei der Einstellung und dauert auch noch im Ruhestand an (§ 47 Abs. 2 BeamtStG). Richterinnen und Richter müssen durch ihr gesamtes Verhalten für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten. Rechtsextreme, rassistische oder gewaltvolle Aussagen und Verhaltensweisen stehen dazu im Gegensatz.
Wie der Verfassungsrechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz bei Verfassungsblog betont, gilt disziplinarrechtlich eine Art Gesamtbetrachtung. Verfolgt werden nicht einzelne mutmaßliche Pflichtverletzungen, sondern ein Gesamteindruck. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) sagt dazu grundsätzlich: "Der Beamte wird disziplinarisch nicht gemaßregelt, weil er bestimmte Pflichten verletzt hat, sondern weil er dadurch Persönlichkeitsmängel offenbart hat, die eine Pflichtenmahnung oder eine Beendigung des Beamtenstatus für geboten erscheinen lassen." Es geht um ein Gesamtverhalten, dass Aussagen über die Persönlichkeit zulässt, so das BVerwG (Urt. V. 14.11.2007, Az. 1 D 6.06). Die letzte Gesamtbetrachtung mit einem Disziplinarverfahren hat das LG Dresden im August 2017 mit dem Verweis gegen Maier abgeschlossen.
Nicht berücksichtigt wurde bisher, wie er darauf reagiert hat. Der Post zu Slomka erschien kurz nach dem Verweis an Maier. Maier war gewarnt. Genau das soll der Verweis als mildestes Mittel bewirken, er ist ein schriftlicher Tadel. Offenbar war Maier davon wenig beeindruckt. Vermutlich hatte er die AfD-Karriere im Blick und rechnete nicht damit, noch einmal in den Richterdienst nach Sachsen zurückzukehren. Eine Facette seiner Richterpersönlichkeit, die für ein neues Disziplinarverfahren durchaus eine Rolle spielen könnte.
Ein anstachelnder AfD-Auftritt in Dresden – trotz Verweis
Nur wenige Tage nach seinem Verweis vom Landgerichtspräsidenten hielt Maier eine Rede auf einer AfD-Wahlkampfveranstaltung auf dem Dresdner Neumarkt an der Frauenkirche. In seiner Rede ging er sogar einleitend auf das Disziplinarverfahren gegen ihn als Richter ausdrücklich ein und holte dann zum politischen Rundumschlag aus. Bombardements Dresden im Zweiten Weltkrieg als Kriegsverbrechen, Elitenbeschimpfung, und die gleichgeschlechtliche Ehe als "dekadentes Konstrukt".
Besonders unheimlich wirkt ein rhetorischer Kniff zum Höhepunkt seiner Rede: "Ich frage euch, wie nennt man denn Politiker, die andere Interessen aber nicht die Interessen der eigenen Bevölkerung…wie nennt man die?" rief er der Zuhörerschaft vor ihm zu. Die skandierte: "Volksverräter, Volksverräter" und Maier lächelte zufrieden. Das Video von seinem Auftritt ist im Netz auffindbar.
Maier, Breivik und das verschwundene Video aus dem sächsischen Landgasthof
Einen weiteren bemerkenswerten Auftritt Maiers aus der Übergangszeit hat das LG offenbar wahrgenommen, in der Pressemitteilung zum Verweis taucht der Vorfall aber nicht mehr auf.
Am 19. April 2017 trat Maier bei einem Vortragsabend des rechtsextremistischen Compact-Magazins in einem Landgasthof bei Pirna in Sachsen auf. Dort soll er laut Medienberichten gesagt haben, "Breivik ist aus Verzweiflung heraus zum Massenmörder geworden". Er soll weiter geäußert haben, ob Anders Breivik, ein Rechtsextremer, der 2011 in Norwegen mehr als 70 Menschen ermordete, sinngemäß nicht einer von ihnen sein könnte, so hält es der Antrag auf Parteiausschluss fest, mit dem der AfD-Landesvorstand Sachsen 2017 erfolglos versuchte, Maier aus der Partei zu entfernen. Maier bestritt, dass die Aussagen so gefallen sein sollen: "Ich habe die Taten von Breivik weder entschuldigt, noch verharmlost." Er habe für den Täter auch kein Verständnis, sondern lediglich nach einer "Erklärung" für die furchtbaren Taten gesucht.
Interessant: Eine vom Veranstalter angekündigte Filmaufnahme verschwand nach kurzzeitigem Erscheinen wieder aus dem Internet, seitdem bleibt die Aufnahme des Abends und damit der Beweis verschwunden. Auch das Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur AfD von Januar 2019 listet diesen Abend mit Richter Maier auf. Im Gutachten heißt es bemerkenswerterweise im Indikativ: "[…] als auch bei einer Veranstaltung nahe Pirna einen Monat später, wo die folgende Äußerung fiel: 'Breivik ist aus Verzweiflung heraus zum Massenmörder geworden'". Vielleicht war auch der Verfassungsschutz, an diesem Abend anwesend, an dem auch andere Hochkaräter der rechten Szene wie Jürgen Elsässer und Martin Lichtmesz als Sprecher eingeladen waren.
Fehlte es dem LG Dresden 2017 damals an einem Beweis, oder stufte es die Aussage zu Breivik als nicht relevant ein? Damit entscheidet sich auch, ob der Vorfall noch einmal Gegenstand eines Disziplinarverfahrens werden könnte, oder ob er quasi verbraucht wurde.
Auf jeden Fall wird sich ein zukünftiger Vorgesetzter oder das Justizministerium mit dem Richter disziplinarrechtlich auseinandersetzen müssen. Bereits wenige Wochen im Spätsommer 2017 bieten Anlass, eine neue Gesamteinschätzung zu Maier anzustellen.
Rückkehr des AfD-Politikers in die Justiz: . In: Legal Tribune Online, 09.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47482 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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