Staatsrechtler zur Einschränkung der Religionsfreiheit: "Wer Schulen öffnet, muss auch Got­tes­dienste erlauben"

Interview von Hasso Suliak

16.04.2020

Auch nach den jüngsten Beschlüssen zur Coronakrise bleiben die Gotteshäuser für die Gläubigen bis auf weiteres geschlossen. Für den Bonner Staats- und Kirchenrechtler Christian Hillgruber ist das verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigen. 

LTO: Herr Professor Hillgruber, seit gut einem Monat gilt wegen der Coronakrise auch ein Verbot für jegliche religiöse Zusammenkünfte. Am gestrigen Mittwoch hat die Bundesregierung bekräftigt, dass es dabei vorläufig bleiben soll. Haben Sie als Kirchen- und Staatsrechtler dafür noch Verständnis? 

Prof. Dr. Hillgruber: Nein. Das vollständige Verbot für die Religionsgemeinschaften, sich zu religiösen Zeremonien wie den Gottesdiensten in den christlichen Kirchen oder den Freitagsgebeten in Moscheen zu treffen, stellt einen unzulässigen Eingriff in den Kernbereich der Religionsfreiheit dar, genaugenommen in den der Kultusfreiheit.  

Um nicht missverstanden zu werden. Natürlich gewährleistet auch Art. 4 Grundgesetz keinen absoluten Grundrechtsschutz. Die Religionsfreiheit findet ihre Grenze in verfassungsrechtlich immanenten Schranken, wie hier im Gesundheits- und Lebensschutz, den der Staat selbstverständlich gewährleisten muss. Aber ein Totalverbot von Gottesdiensten ist aus meiner Sicht spätestens seit den neuen Beschlüssen des Bundes nicht mehr verhältnismäßig. 

"Selbst der Empfang der Kommunion ließe sich organisieren" 

Wie meinen Sie das?  

Nun, es gab ja von Anfang an nie den kompletten Shutdown. Bestimmte Einrichtungen oder auch Gewerbe durften weiter geöffnet bleiben. Doch seit gestern ist mit der beschlossenen sukzessiven Schulöffnung ein Maß erreicht, nach dem es nicht mehr gerechtfertigt sein kann, Gotteshäuser weiter unter Verschluss zu halten. Denn beim Präsenzschulunterricht in Klassenräumen sitzen die Schüler jedenfalls auf engerem Raum länger zusammen als die Gläubigen in Kirchen oder Moscheen während einer Messe, eines Gottesdienstes oder beim Freitagsgebet. 

(c) Barbara Frommann

Wenn nach Auffassung der Regierung Schulunterricht im Hinblick auf den Gesundheits- und Ansteckungsschutz ohne Risiken organisiert werden kann, dann geht das auch bei Gottesdiensten.  

So könnte man ohne weiteres nur eine bestimmte Anzahl von Gläubigen in die Gotteshäuser lassen und Hygiene gewährleisten, indem man zum Beispiel auch Desinfektionsmittel zur Verfügung stellt. Auch könnte man durch die richtige Sitzordnung den nötigen Abstand zwischen den Gläubigen unproblematisch sicherstellen. Und selbst der Empfang der katholischen Kommunion ließe sich aus meiner Sicht mit gutem Willen gesundheitskonform organisieren.

"Den Gläubigen den Trost zu nehmen, war unsensibel" 

Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich Gottesdienste zu Ostern nicht zugelassen und dem Gesundheitsschutz den Vorrang eingeräumt. 

Das BVerfG hat in der angesprochenen Entscheidung aber bereits "einen überaus schwerwiegenden Eingriff in die Glaubensfreiheit" konstatiert und darüber hinaus in diesem Kontext eine "fortlaufende strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit" angemahnt. Ich bin davon überzeugt, dass das Verbot von Gottesdiensten keinen Bestand mehr in Karlsruhe haben wird, sobald man den Schulunterricht wieder zulässt.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, äußerte sich zuversichtlich, in den geplanten Gesprächen mit der Bundesregierung noch eine Lockerung des Gottesdienst-Verbotes zu erreichen.

Das hoffe ich sehr, denn auf eine gerichtliche Entscheidung sollte es die Politik wirklich nicht anlegen. Ich bin aber genauso wie die Deutsche Bischofskonferenz enttäuscht darüber, dass die Bundeskanzlerin nicht schon am Mittwoch ein klares Signal für die Anerkennung der zentralen Bedeutung der öffentlichen Religionsausübung für die Gläubigen gesetzt hat. Gerade in diesen schweren Zeiten den Gläubigen - welcher Religionsgemeinschaft auch immer - weiterhin die in der Versammlung zum gemeinsamen Gottesdient liegende Lebenshilfe und Trost nehmen zu wollen, war zumindest unsensibel. Ich hoffe, die Bundesregierung hat den Mut zur Korrektur.

Der Gesprächspartner Prof. Dr. Christian Hillgruber ist Inhaber des Instituts für Kirchenrecht des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Universität Bonn.

Zitiervorschlag

Hasso Suliak, Staatsrechtler zur Einschränkung der Religionsfreiheit: . In: Legal Tribune Online, 16.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41326 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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